Der Nachbar, 1915 (Jahrgang 67, nr. 1-52)

1915-01-03 / nr. 1

Luk. 4, 21. Se) 2° tcht ist es nicht, Lieben Freunde, nach einem Jahre, wie Das, welches wir verlebt haben, in ein neues einzutreten. W­enigstens die gewöhnlichen Grüße­n und Wünsche des Neujahrstages­ ersterben einem auf der Zunge. Wir haben es doch zu gewaltig und er­­schütternd erlebt, wie unvermutet aus friedlich glücklicher Zeit das Gegenteil werden kann. Wer, als wir vor einem Jahre durch die sich öffnende Pforte des Neujahrs traten, ver­dachte daran, daß Krieg und Kriegeslärm und Krieges­­not die Welt erfüllen würde, wenn wieder die Jahre wechselten. Und es ist so gekommen. Alle die Hoffnungen, die wir etwa im Sommer hatten, daß mit dem Jahre auch der Krieg zu Ende gegen möchte, sind trügerisch gemesen — noch sohen die Flammen des Streits, und wie hoch Iodern sie noch. Ach, alle anderen Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft wagt man ja kaum zu hegen, geschweige aus­­­zusprechen: allen voran steht der eine, große, verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unseren Zeiten. Nicht wahr, wir haben ihn alle? Gemwiß, wir begehren keinen Trieden, der unser Baterland demütigt oder machtlos macht. Wie sollten wir es tragen, daß so viel teures Blut unserer Helden umsonst getroffen sei? Durchhalten wollen wir bis auf den legten Mann und den feßten Heller. Aber wir wollen, wir ersehnen den Frieden aus Erbarmen. Nicht in Feigheit, aber in Mitleid, daß nicht noch so viel Herzen mehr brechen müssen und so viel Elend mehr über­­handnimmt. Des Herzeleides ist schon so viel worden ,unter der Sonne. Das sei unser erster Neujahrswunsch untereinander und unser erstes Neujahrsgebet: Herr Gott, der du unsere Zuflucht bist für und für, wenn es nach deiner Weisheit sein kann, das vorige Jahr hat im Frieden bes­­onnen und endete mit Krieg: dieses beginnt im Kriege , ehe es endet, schenk uns den edlen Frieden wieder. Und alles Bolk, das sein Land lieb hat, soll jagen Amen. Dürfen wir so bitten? Ich sollte es meinen. Unser Neujahrsspruch, der über diesen Zeilen steht, ermutigt uns dazu. Er will nur recht verstanden sein, so verstanden, daß die Fülle seiner Verheißung, wie sie für alle Zeiten, nicht bloß für die drei Heilsjahre Israels gilt, klar und offenbar wird. Laßt es euch gefallen, daß wir sie deuten, sind es zunächst keine Neujahrsgedanken, so sind es doch Gottes­­gedanken. Es hat immer seinen Segen, sich demütig darein zu vertiefen, und es werden zuleßt doch wohl Gedanken werden, die trostreich und verheißgend über den Lauf des ganzen Jahres Licht verbreiten von oben. Heute ist diese Schrift erfüllet vor euren Ohren, jagt der Herr in der Schule von Nazareth. Welche Schrift? Nun, die er eben verlesen hat. Das Wort des Propheten Seratas von den Wundern der Zeit des Neffias, daß die Gefangenen los und ledig und die Blinden sehend und die Berstoßenen gesund sein sollen und den Armen wird das Evangelium geprediget werden . Kurz, daß das angenehme Jahr des Herrn, die Zeit der Erlösung und des Heiles, an­­gebrochen is. Ganz unzweideutig sagt er es, daß die große Hoffnung des Gottesvolkes nun Wirklichkeit werden will. Offenbart er sich­ auch noch nicht ganz, daß er selber es ist, das offenbart er doch, daß der Messias unter sie ge­treten ist. Daß der solches tun werde, war verkündigt: Zum Neuen Fabre. Und er fing an, zu sagen zu ihnen: Heute ist Diese Schrift erfüllet bei euren Ohren. 1.1­67.Jahrg. «HeN W E SonntagT­ 3.Jan.1915T

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