Kaschauer Zeitung, April-Juni 1873 (Jahrgang 35, nr. 27-52)

1873-06-11 / nr. 47

XXXV. Jahrgang 1873. Xaschau, Mittwoch 11. Juni. Erscheint jeden Mittwoch und Samstag. Pränumeration für Kaschau vierteljährig 1 fl. 25 Sendung kr., mit Postver­­t fl. 50 kr. Pränumeration wird jeden Tag angenom­­­men bei der Administration der Kaschauer Zeitung, Hauptgasse Nr. 60, bei al­­ten Postanstalten u. Buch­­ Megjelen minden Szerdán és Szombaton. unfrankirte Briefe an die Redaktion werden nicht angenommen. Nr. 47. ac Inserate, 58kr. für eine fünfmal gespaltene Petit­­zeile. — J Inseratenstempel 30 kr. für jede Anzeige. Bei größeren Ankündigung­­en und öfterer Einschaltung entsprechender Nachlaß. In Wien übernehmen Inserate für uns die Her­­ren A. Oppelik, Wollzeile Nr. 22,­­ Vogler, Neuer­ Markt Nr. 11 und Rudolf Messe Annoncen - Expedition. Haassenstein Inserate übernimmt für uns die Inter­­nationale Annoncen - Expedition von Lang , Schwarz Pest, Badgasse und Wien, Wollzeile 6. — In Berlin S. Kornik. In Stuttgart E. Stöck­­hardt. In Paris Havas Laffitte Bullier & Comp; Anonyme Briefe werden nicht berü­ck­­sichtigt und Manuskripte nicht zurück­­gegeben. Handlungen. Kaschauer Zeitung Kundschaftsblatt für Kaschau und Spezies. Fokalblatt für Bolkst, Haus­ und Landwirthschaft, Industrie und geselliges Leben. (KASSA-EPERJESI ERTESITÖ.) Kaschau, 10. Zuni. Der Ezar von Rußland ist, wie uns der Telegraf meldet, am 7. d. M. von Wien über München nach Ems abgereist, um die Badekur in gewohnter Weise dort zu ge­­brauchen. Sein Aufenthalt in Wien war daher nur ein verhältnismäßig kurzer, was jedoch durch den Zustand der Gesundheit des russischen Kaisers vollständig erklärlich er­­scheint. Außer den Mitgliedern der russischen Kaiserfamilie, die sich in Wien recht gut amüsirt zu haben scheinen, ist es wohl der Fürst Gortschakoff, der vierjährige Leiter der äußeren Politik Rußlands, welcher unter dem Gefolge des Czars am meisten geeignet war, die öffentliche Aufmerksam­­keit des Publikums in Wien auf sich zu lenken, und dessen dortige Anwesenheit die Conjecturalpolitik als einen kant­baren Stoff der publizistischen Erörterung sofort benügte. Unserem Leserkreise gegenüber glauben wir darauf verzichten zu dürfen, über die zu Ehren des Czaren in Wien veran­­stalteten Festlichkeiten, über die verschiedenen Toaste, welche von den fürstlichen Persönlichkeiten dort bei geeigneten An­­lässen ausgebracht wurden, über Damentoiletten und Herren­­costüme, Militärparaden und Il­luminationen, kurz über den Pomp, den Glanz, die Pracht und die Herrlichkeiten zu be­­richten, welche von Seite des gastlichen Wiener Hofes bei diesem außerordentlichen Anlasse entfaltet wurden; dagegen erscheint es uns von Wichtigkeit, die Thatsache hervorzu­­heben, daß dieser Besuch und der dabei stattgefundene Aus­­tausch von­ Freundlichkeiten zwischen zwei der mächtigsten Monarchen­­ Europas jedenfalls und um so mehr ein Er­­eigniß von hoher­ politischer Bedeutung­ ist, als die politische Geschichte der jüngst verflossenen fünfundzwanzig Jahre eine Fülle von Begebenheiten enthält, welche von einem tief gehenden, politischen Gegenfage zwischen Oesterreich-Ungarn und dem russischen Reiche unwiderlegliches Zeugniß geben. Der Wille des Czars ist in Rußland noch immer ent­­scheidend für die Beschaffenheit der russischen Politik und es bedeutet, deshalb der in Rede stehende Besuch nicht blos einen Akt gewöhnlicher Höflichkeit, sondern er ist ein Merk­­mal“ der freundlichen Gesinnung eines mächtigen und der österreichisch-ungarischen Monarchie bis vor nicht langer­­ Zeit keineswegs freundlich gesinnt gewesenen Staates. Wenn „man ferner in Erwägung zieht, daß die zahlreichen pansla­­vistischen und centrifugalen Bestrebungen, welche in den­­ Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie diesseits und jenseits der Leitha seit vielen Jahren stattfinden, in Rußland ihr Ziel, ihre Stüße und ihren Hort erbliken, so begreift man sofort die Bedeutung und die Tragweite, welche die freundliche Annäherung des russischen Hofes an den­jenigen unseres Monarchen mit Bezug auf unsere innere Politik in Von sich schließt, diesem Standpunkte aus betrachtet, muß der in den jüngst verflossenen Tagen stattgefundene Besuch des russi­­schen Kaisers am Wiener Hofe auch von denjenigen Männern in Oesterreich-Ungarn als ein freudiges Ereignis begrüßt werden, denen weder der äußere Glanz der Erscheinungen, noch der Schwall von Redensarten imponirt, sondern die ihr Urtheil doch die nüchterne Prüfung der vorliegenden ernsten Thatsachen und der obwaltenden Verhältnisse bilden. Während daher alle diejenigen Journale des Aus- und In­­landes, welche, den Bestand der österreichisch - ungarischen Monarchie und die Fortentwicklung desselben im Geiste des wirthschaftlichen und politischen Fortschrittes ernstlich gesichert wünschen, diesen Fürstenbesuch am Wiener Hofe in dem vor­­anstehenden Sinne auffassen und besprechen, gibt die slavisch­­ultramontane und föderalistische Parteipresse ihrem ver­­bissenen Zugrimme hierüber einen theilweise abschwächenden und andererseits bis zur Tollheit heftigen Ausdruc. Die Redaction des Wiener „Vaterland“, das Organ der extrem­­sten sogenannten staatsrechtlichen Opposition, der Herren Grafen Leo Thun, Clam-Martinig und Consorten wurde durch den Schmerz über jenes Ereigniß derart in ihren Cerebralverhältnissen erschüttert, daß sie den Lesern ihres Blattes eine Geschichte mit allem Ernste aufzutischen ver­­‚mochte, die an Abgeschmacktheit und Ungeheuerlichkeit alles­­ dasjenige überbietet, was in dieser Richtung bisher geleistet worden war. Das „Vaterland“ versichert nämlich, die Fürsten Bismark und Gortschakoff hätten bei der letzten Begegnung ihrer Monarchen in St. Petersburg, also un­­mittelbar vor dem Zeitpunkte, wo diese beiden Monarchen nach Wien kommen, um dem Kaiser Franz Josef die Hand zu drücken, die Theilung Oesterreichs „im Prinzip“ verein­­bart und die faktische Theilung werde nur durch den Um­­stand verzögert, daß man über den Besitz Böhmens nicht handelseinig geworden sei, Rußland dieses Böhmen, als den Schlüssel zur Herrschaft über ganz Oesterreich, nicht an Preußen, und Preußen dasselbe nicht an Rußland aus­­liefern will, weil ihm dadurch der Weg nach Wien und Triest versperrt würde; bis diese Differenz erledigt sei, werde also „der Aufmarsch Preußens gegen Oesterreich, den viele schon zu Anfang dieses Jahres mit Sicherheit erwar­­teten, nicht beginnen, was jedenfalls als ein kleiner Trost zu betrachten sei. — Nach solchen Aeußerungen wollen die Partisane dieses „Vaterlandes“ noch regierungsfähig in Oesterreich sein! Aus der Wiener Weltausstellung. Zur ersten Serie der internationalen Thierausstellung wurden im Ganzen 1481 Stück Schafe angemeldet, wovon 467 Stück seitens Oesterreich, 431 Stüd von Ungarn, 377 Stü von Deutschland, 135 Stüd von England, 49 Stüd von Frankreich und 22 Stüd von Italien. Es läßt sich zwar heute noch durchaus nicht constatiren, in welchem Verhältnisse die Anmeldung zur Zurücziehung bei dieser Thierart auf der Weltausstellung steht ; so viel aber ist gewiß, daß nahezu der vierte Theil der angemeldeten Schafe ausgeblieben ist, so zwar, daß die gesammte Schaf- Ausstellung nicht viel mehr als 1200 Stüc Schafe aufzu­­weisen hat. Schon das flüchtige Ueberschauen dieser wirklich ganz imposanten Vertretung der europäischen Schafzucht bringt uns zunächst zur Ueberzeugung, daß unser Continent bei der Schafzucht die Züchtungsrichtung nach Wollproduction mehr und mehr den überseeischen Colonien, namentlich Australien, überläßt, und sich das Gebiet von Tag zu Tag erweitert, wo der europäische Landwirth sein Heil in der Zucht des Fleischschafes sucht. Auffallend ist nämlich die große Anzahl der ausgestellten, eminent für Fleisch­­gewinnung gezogenen Schafracen Kreuzungen, auffallend namentlich und ihrer mannichfaltigen die Vermehrung und ums­teugbar auch die Vervollkommnung dieser Zuchtrichtung in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Wenn aber der denkende Volkswirth die Verbreitung dieser Richtung der Thierproduction in dem cisleithanischen Theile Oesterreichs, sowie auch in dem westlichen Theile Ungarns als voll­­kommen gerechtfertigt, ja gewissermaßen als ein Zeichen dessen anerkennen muß, daß hier die Fabriks-Industrie, der Wohlstand der­ Bevölkerung und mit diesem die größere Fleis<consumtion bereits einem mächtigen Aufschwung ent­­gegen geht, die Weidewirthschaft mehr und mehr verdrängt und der intensiveren Bodenkultur ihren Platz anweist , so kann er sich dennoch­­ leiser Zweifel nicht entschlagen, ob­wohl diese Richtung der Schafzucht im östlichen und südlichen Theile Ungarns, und nam­entlich in Siebenbürgen, heute schon gerechtfertigt werden kann. Kann diese Züchtungs­­richtung in den erwähnten Theilen Ungarns nicht als eine verfrühte, ungerechtfertigte, auf­ falschen oder gar keinen Calcus gegründete Experimentirung betrachtet wer­­den? Oder ist es als eine bloße Nachahmung einer mo­­dernen, nur von gewissen Wirthschafts- und national-ökono­­mischen Verhältnissen dirtirten Anschauung zu­­ betrachten ? Nichtsdestoweniger betrachten wir die ausgestellten Kreu­­zungen des Herrn Ladislaus v. Tisza, von englischen Lincoln­ mit Siebenbürger Landschafen als ein sehr achtungs­­weithes Streben des Züchters, das vielleicht in der nächsten Zukunft bereits reiche Früchte tragen und in volkswirth­­schaftlicher Beziehung als ein bedeutender Gewinn für Sie­­benbürgen betrachtet werden dürfte. Uebrigens werden wir später Gelegenheit haben, auf die Beurtheilung der einzelnen Partien dieses namhaften Theiles der Schaf-Ausstellung zurückzukommen und wollen uns heute ausschließlich nur auf die Betrachtung des Woll­­schafes beschränken. Auch hier zeigt sich unstreitig das Streben der Shafe­züchtet, mit der ausgiebigsten Wollproduction zugleich Körper — also Fleischmaffen — zu verbinden, im Allgemeinen die hervorragendste Erscheinung­ jenen netten, kleineren Merinos Der überraschende Mangel an früherer Ausstellungen, die als Träger des sogenannten „goldenen Vließes" Herz und Auge des wollkundigen Befchauers erfreuten, läßt keinen Zweifel übrig, daß der Wunsch nach imponirenden Körper­­gestalten mit der allerseltensten Ausnahme die ganze Welt der Schafzüchter ergriffen hat. Ob bei dem von Niemanden geleugneten Umstand, daß wirklich edle und feine Wolle auf massenhaft ausgebildeten Körpern und Schafcolossen ein­ für allemal nicht zu erzeugen ist, dieses allgemeine Feldgeschrei für alle Wirthschafts- und Landesverhältnisse dauerhaft, rationell und nachhaltig gewinnbringend sei, ist gewiß wenigstens eine berechtigte Frage. Unsere Ausstellung constatirt aber die Manifestirung dieser „Parole“ als voll­­endete Thatsache, und die glücklichen bo>verkaufenden Schäfe­­reien, namentlich die alten Koryphäen derselben, Gabe­gast aus Ofchak, Steiger aus Leutevig und so viele andere hervorragende Thierproduzenten aus Deutschland (England arbeitet ohnehin seit jeher, Frankreich seit geraumer Zeit in dieser Richtung) traten auch diesmal mit Thieren in unserer Arena auf, die dem nun so allgemein gewordenen Zuge durch ihre unleugbare Vollendung, ja blendende Schön­­heit den größten Vorschub leisten und uns die verzweifeln­­den Physiognomien einiger Wollhändler erklärlich machten, die offenbar ihre Befürchtung darüber ausdrückten, daß die ohnehin schon so rar gewordene hochfeine Schafwolle gänz­­lich aus dem Handel zu verschwinden droht, was durch diese internationale Schaf-Ausstellung beinahe zur Gewißheit er­­hoben wird. Und in der That, die Besorgniß dieser Herren er­scheint nicht ungerechtfertigt, wenn man die hier erschienenen Schaustü>e sogar der einst so entschieden nur das Höchste in Adel und Feinheit der Wolle, vertretenden Schäfereien Hennersdorf, Großherrlig, Großhosn üß, Ezernahora und zahllosen anderen jezt in Augenschein­­ nimmt, und auf jene kleinen Electoral-Gestalten, wie sie uns damals vorgeführt wurden und wie wir sie heute nur höchst vereinzelt, etwa bei Liptin und Drnowiß, wo­ vorfinden, dieses imposante Exterieur, diese vollkommene Bewachsenheit und diese Massen von Wolle plößlich hinauf­­­gezüchtet erblickt. Allein der Triumph der heutigen Wissen­­schaft, daß sie die Umgestaltung der Thierformen nach den jeweiligen Bedürfnissen und dem Begehr in der That ver­­mag, ist wohl kaum bei irgend einer anderen großen Thier­­schau so evident zu Tage getreten, wie wir ihn hier bei den zahlreichen, in diesem vorläufigen Berichte kaum namentlich anzuführenden Meisterzuchten anerkennen zu müssen Gelegen­­heit haben. Zu diesem Triumphe trägt Ungarn keinen unwesent­­lichen Theil­ bei. Ein Drittel der ausgestellten Schafe ge­­hört diesem Lande an, und wenn obiges Feldgeschrei Die Züchter auch hier offenbar beeinflußt — so sehr es bei den Landesverhältnissen und der noch größtentheils extensiveren Wirthschaftsweise hier viel weniger Berechtigung hätte — so sind es doch zumeist ungarische Schäfereien, bei denen die eben erwähnten trüben Mienen der Wollhändler sich in heitere verwandeln, und bei denen ihnen das wirklich feine und edle Wollhaar noch nicht als ganz abhanden gekommen zu sein erschien. Wir begegnen den bekannten vier Korgz­phäen: Urmeny-Tarany (Graf Emerich Hunyady), Karlburg-Sarndorf (Gräfin Henel, früher Graf Felix Zichy-Ferraris), Stampfen (Graf Alois Károlyi) und Guthor (Dr. Robert Czilhert), wie auf allen bis­­herigen Weltausstellungen auch hier vor allen Anderen. Alle vier sind Repräsentanten der feinsten Wollproduction und so sehr auch sie, was Körperformen und Wollreihthu an­­belangt, dem Drucke des allgemeinen Begehrs Rechnung tragen, was, da dies in der Schäferei des Grafen Alois Károlyi (unter der Leitung eines der tüchtigsten Schaf­­züchter Ungarns, des Herrn Johann Hondlik) und ganz besonders des Grafen Emerich Hunyady auch schon früher wahrnehmbar war, jeht bei der Sarndorfer und noch mehr bei der Guthorer Heerde (siehe der Guthorer Schäferei wirklich eminenten Bad Nummer 9­­94) ganz besonders _ -

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