Kaschauer Zeitung, Januar-März 1892 (Jahrgang 54, nr. 1-38)

1892-01-02 / nr. 1

­ Vierundfünfzigster Jahrgang 1892. Nr. 4. Redaction und Expeditions-Bureau Kaschau, Hauptgasse Nr. 64. Kaschau, Samstag 2. Jankar. nauer Zeitung. Kal * 272042525 . 5.---, halbjä­hr. r: a Bet Fuseraten, welche größeren Raum einnehmen und öfter eingeschaltet werden wird ein entsprechender Na­chlas gewährt. | INN Zum 1. Januar 1892. Das alte Lied tönt heute wieder, Daraus so süß die Hoffnung klingt, Das alte Lied, das man am Grabe Des hinges<wund'nen Jahres singt Es ist vor hunderten von Jahren Erklungen schon, wie heut' es tönt, — Das Lied, d'rin sich die Menschheit immer Umsonst nach Glüc und Frieden sehnt. Die Jahre flieh'n ; vergeblich kämpfet Der Mensch den Kamf mit dem Geschid, Des Lebens Jugendträume sterben, Doch nie der Hoffnungstraum vom Glück. Er lebet fort und fort im Herzen, Ob es im Greis, im Jüngling schlägt, Bis man am Markstein seiner Jahre Das müde Herz zu Grabe trägt. Und also auch tönt heute wieder Das alte Lied im Menschenherz, Die alten Träume steigen wieder In ernster Stunde himmelwärts! Ob uns dies Jahr das Glüh wird bringen, Das uns noch kein Jahrhundert gab, Ob sich der alte Traum erfüllte Vielleicht an dieses Jahres Grab?! Wir wollen's hoffen, es erstreben, Mit frischem Muthe vorwärts geh'n, Stets denkend, daß wir an der Pforte Des künftigen Jahrhunderts steh'n. Der neuen Zeit, die neue Thaten Und neue Ziele ernst begehrt, Vielleicht dem kommenden Geschlechte Den schönen Völkerlenz beicheert ! „Vorwärts“ — so soll die Lösung schallen, Dem Vaterland, dem König treu, Und immerdar und allerwegen Für Recht und Wahrheit ohne Scheu ! ! Eee KETTE EN IBIE = I Ne „ Eh + ij N ARE vn ER ER pr: Ft a N 8 Neujahr 1892. Ein bewegtes Jahr. «war es, dad uns verlassen, ein nicht minder bewegtes steht und mit dem bevor, das gestern seinen Einzug gehalten. Hoch gingen die Wogen des Jahres­­ 1891 und oft drohte der Friede an den Riffen zu zerschellen, wohin ihn die politische Brandung geschleudert. Dank dem Streben und Wirken der besonnenen Factoren der Weltlage klangen die Glocken des vergangenen Jahres im Frieden G­­eläute aus und läuten sich die­ des neuen Jahres auch in Frieden ein. Wir begrüßen das neue Jahr ohne Pessimismus, um nicht kleinmüthig zu werden, ohne Optimismus, um nicht überschwenglich zu werden ; aber auch der Fatalismus muß uns fremd sein, wir müssen mit den gegebenen Factoren rech­­nen, um den Boden unter uns nicht zu verlieren und dürfen nicht aufhören mitzuhelfen, die Wege zu ebnen, auf welchen die Zukunft herangezogen kommt, wir müssen weiter thätig am Aufbau jener Stüßen mithelfen, die geeignet sind, das Bestehende zu erhalten, hingegen Anstürme zu schüßen, welche geeignet sind, den Friedensbau zu unterbrechen. Da müssen wir uns Alle zu der großen gemeinsamen Aufgabe vereinen, alle Selbstsucht, allen Haß, allen Neid ab­­streifend, zum Wohle unser Alter, dem Ganzen leben, dem wir angehören, der großen Familie der Menschheit und wenn wir als die Glieder dieser mit deren Cultur und Fortschritt in gleiches Tempo gelangen ,­ im engeren Kreise der patri­­otischen Bethätigung zum Wohle des Vaterlandes, zu wirken, dessen einzelne Bürger, wir leider in dieser Aufgabe nicht vereint sehen, obzwar jeder gewiß den aufrich­­tigsten Willen hat, es zu thun. Es ist dies der Krebsschaden unserer Zeit, daß sich die nie rosig gewesenen Verhältnisse der Angehörigen unseres Vaterlandes untereinander, welche vereint , jedem von Außen kommenden Anstoße erfolgreich entgegentreten und in der Bewahrung ihrer Rechte von Niemand beeinträchtigt, so recht dem Frieden, dem Fortschritt leben könnten, daß sich diese Verhältnisse durch Unduldsamkeit "einerseits und durch Verbitterung andererseits, nicht besser gestalteten und die Bür­­ger dieses Landes da und dort noch immer nach Sprache u. Denken, trozdem sie alle gleich gut patriotisch gesinnt sind, "Gepack­t sind sich gegenseitig nicht unterstoßen, nicht gemein­­sam handeln, ja oft sich gegenseitig zu verdächtigen trachten, "ohne zu bedenken, daß sie dadurch den gemeinsamen Feinden nur in die Hände arbeiten. Wie schön wäre er bei gegenseitigen Entgegenkommen, den Frieden unter uns zu erhalten, mit vereinten Kräften an der Verbesserung unserer Lage, an der Verbesserung der Gesellsc­haft­sHäden, zu arbeiten und unsere vereinte Kraft dem Wohle des Vaterlandes, zu unserem und zum Besten un­­serer Nachkommen zu verwerthen. Dann erst, wenn wir unte uns selbst den Frieden geschlossen haben und nicht mehr Je­­rx den, der eine andere politische oder Glaubensansicht hat, einen andern Tod trägt oder eine andere Sprache spricht, dabei aber ein ehrlicher und loyaler Patriot ist, als frem­d betrachten, wenn wir Freund unserer nächsten Mitbürger sein, jeden Bürger des Landes gleiche Achtung zollen werden und sie damit von ihm zu fordern uns berechtigen, dann wird auch unserem Vaterlande Werth u. demselben sein Plaß im Weltrathe zuerkannt werden ; bis die Völker nicht unter sich in Frieden leben, muß man für diesen immer zittern, er in Händen liegt, welche die Schwäche der Menschen­, weil der Völker auszunügen verstehen und dort ihre Mind­arbeit am leichtesten verrichten können, wo Racen-, Religions- und Sprachenhaß ihre Blüthen treiben. Der Friede bedingt die Harmonie mit sich selbst, mit unseren Freunden und Mit­­bürgern, mit den Menschen, die ehrlich und offen das Gu­te und Rechte wollen, die Harmonie mn der Welt! Wenn wir diese Harmonie nicht zu erzielen vermögen, wird der Traum vom Frieden immer nur ein Traum bleiben ! | Reueste FNachrichten. Ungarn. Der Banus von Kroatien beantwortete am 30. v. M. im Landtage die Interpellation wegen der Fiumaner Bors­gänge gelegentlich der Anwesenheit Sr. Majestät in dem Sinne, daß wenn sich die Ungarn mit der Antwort des Ministerpräsidenten über die Interpellation U­gro­n's zu­frieden gaben, dieß auch die Kroaten sein können. In Doroz3ma haben am 29. v. Fortsezungen der sommerlichen agrarischen Unruhen stattgefunden und mußte zu deren Dämpfung Militär requirirt werden, wobei ein­ige Verwundungen vorkamen. “ Deutschland. Der Kronprinz von Sachsen, Georg ist an einer Darmverschlingung erkrankt, welche eine gefährliche Opera­­tion nöthig macht. Frankreich. General J­a­p­y nennt die Fortifikationen an der Ost - Grenze, welche drei Milliarden kosteten, reine Ehmnejereien. Aus dem Vatikan. E38 hat hier peinlich berührt, daß der Bruder des Ezard, Großfürst Paul, anläßlich seines jüngsten Aufenthalts in Rom, obgleich er nicht inkognito reiste und dem italienischen Königspaare im Quirinal seine Aufwartung machte, es unterlassen hat, dem Papst­ einen Besuch abzu­­statten.­ Verstärkt wird diese richte aus Rußland, welche neue Verstimmung ferner duch Re­­lexationen der katholischen Bevölkerung im Königreich Polen seitens der Behörden melden. 7 —— d (Nachdru> verboten.) Eine angenehme Todesart. Neujahrsgeschichte von Leopold v. Sacher-Mason. „Sie jagen mich nicht fort?" fragte Graf Spangen, indem er den Hut, den er in der Hand hielt, wieder auf den Teppich neben seinen Stuhl stellte. „Im Gegentheil," erwiderte Gräfin Lohberg: „Sie müssen bleiben und mir die Zeit vertreiben. Wie jedes Jahr will ich auch diesmal die Mitternachtsstunde erwarten und das Neujahr begrüßen.“ Die Gräfin, eine junge Witwe in der Mitte der „Zwanziger“ war eine Erscheinung, die selbst einen so gries­­rähigen Hypochonder, wie es Spangen war, festhalten und seinen Vorsätzen untreu machen konnte, denn eigentlich war er gewohnt, aus Rücksicht für seine kostbare Gesundheit, sich täglich um 10 Uhr zu Bette zu legen, und hatte auch an diesem Abende durchaus nicht die Absicht gehabt, seiner Ge­­wohnheit untreu zu werden. Aber wer konnte dieser mittel­­großen, sc­hlanken Liebesgöttin mit den wunderbaren weichen „Formen widerstehen ?, Wer diesem zugleich edelgeschnittenen und pikanten Kopf ? Wer dem Glanz dieses röthlichen Gold­­haares oder den hellen, bald in Himmelbläue, bald in Wel­­lengrün schillernden Augen ? „Die Zeit vertreiben !“ wiederholte Graf Spangen seufzend,­­ „ein Mann wie ich, der ganz und gar mit­m Leben fertig ist, langweilig wie eine alte Kanone im Arsenal, die längst kein Schießpulver mehr gesehen hat.“ Der große, kräftige Mann mit dem hübschen, frischen Gesicht, das von dunklem Haar und Bart um­ahmt war, hatte in der That einen Zug von Müdigkeit, ja von Schwert­muth in den dunklen Augen. „Alles Einbildungen, lieber Graf,“ rief die Gräfin Lohberg. „Wenn­ nicht schon Molisse den „eingebildeten Kranken“ geschrieben hätte, ich glaube, doch Sie wäre ich selbst Haben zur Lustspieldichterin geworden. Seitdem ich Sie kenne, Sie mindestens ein halbes Hundert Krankheiten ge­­habt, und dabei befinden Sie sich wohler als wir Alle.“ Sie lehnte sie in dem kleinen Fauteuil zurück, und ihr Lachen klang silberhell durch das trauliche, reich und behaglich eingerichtete Gemach, an den Gesang einer Lerche mahnend. „Und doc bin ich des Lebens überdrüssig,“ murmelte Spangen, indem er den Kopf auf die Brust sinken ließ und „an die rothe Gluth des Kamins starrte. “ Die Gräfin lachte wieder, und dieses Lachen that Spangen­wehe. Er empfand es wie Nadelstiche, es war ihm, als schwärme ein Heer lustig Müden um ihn und singe ihm in die Ohren. Er stand auf und ging auf dem weichen Teppich auf und ab, blieb dann in der Nähe des Fensters stehen und sah die noch immer lachende Gräfin an. Wahr­­haftig, sie war schön und begehrenswerth. Mehr als einmal hattle sie ihn berauscht und ihm fast ein Geständniß entlodt. Er betete sie an, und mehr als das, sein Herz hing mit aufrichtiger Zärtlichkeit an ihr, die ihm zugleich eine treue Gefährtin und eine liebenswürdige­ Freundin war, aber er fand nicht den Muth, hr zu sagen, wie theuer sie ihm war, immer wieder waren es dieselben Gedanken, die ihn abhielten : „Was will ich weg ? Ich bin zu alt, ich bin fertig mit dem Leben, ich bin ein todter Mann.“ „Sie feinen mir wirklich beweisen zu wollen, daß Sie nicht amüsant sind,“ sagte endlich die Gräfin.“ „Da Sie also gar nichts thun, um uns die Zeit zu vertreiben, so will ich Ihnen einen Vorschlag machen. Thun wir, was alle andern thun, befragen wir, wie es Sitte ist, seit uralten Zeiten, in der Neujahrsnac­ht das Schicksal !“ „Wie Sie befehlen !“ sagte Spangen. „Gut, dann klingeln Sie gefälligst.“ . Der Graf drühte auf den Elfenbeinknopf und sofort erschien die kleine zierliche Zofe im kurzgeschürzten geblümten Kleid, ein französisches Häubchen auf dem Kopf und rothe Schuhe an den Füßen. Die Gräfin ertheilte 4: die nöthigen Befehle, und es währte nicht lange, so war das Orakel auf einem kleinen Tischchen hinter einer spanischen Wand instal­­­lrt, wobei die hübsche muntere Zofe als Pythia fungirte. „So, meine Herrschaften,“ rief sie.­­ „Spangen folgte der Gräfin Lohberg, die sich dem Tischchen näherte und erblinte auf demselben fünf umgestürzte friesisce Porzellanschalen, welche verschiedene Gegenstände en bedeuten. „Wählen Sie!“ sprach die Gräfin. „Nach Ihnen,“ erwiderte der Graf. Sie legte ihre weiße Hand auf die mittlere der fünf Tassen und als sie dieselbe fezt aufhob, lag ein Ring unter derselben. „Was bedeutet das ?" fragte Graf Spangen, „Besizen Sie nicht mehr Scharfsinn, lieber Freund ?" rief die schöne Frau. „Offenbar werde ich im nächsten Jahre heirathen.“ „Die heutige Nummer umfaßt 6 Seiten. Eine Wolke überflog das hübsche Gesicht Spangen 3. „Kommen Sie,“ fuhr die Gräfin fort, „das Orakel muß jegt von neuem arrangirt werden.“ Die Herrschaften zogen sich zurück und als sie wieder vor dem Tischen standen, legte Graf Spangen seine Hand auf die Schale rechts an der Ecke. Als er dieselbe aufhob, zeigte sich ein kleiner Hügel aus Ecde. „Was spricht das Orakel ?" fragte er. Die Gräfin sah ihre Zofe an. „Der Hügel bedeutet ein Grab.“ sagte Kiefz. „Das hättest Du bleiben lassen sollen, Lisa,“ rief die Gräfin. „Graf Spangen ist ohnehin Hypochonder genug, nun wird er überzeugt sein, daß er in diesem Jahre stirbt.“ Die Gräfin kehrte zu ihrem Fauteuil zurüc und Spans­gen nahm ihr gegenüber Platz. „So glaube an solche Vorherbestimmungen,“ mur­­melte er, „und dieses Prognostikon entspricht ganz meiner Empfindung, io weiß, daß ich bald sterben werde. Vielleicht daß ich selbst einem unnüßen und freudenlosen Leben ein jähes Ende bereite.“ : „Sie sind nicht vernünftig, Spangen,“ fiel die Gräfin ein, während sie ärgerlich den schönen Kopf zurückwarf. „Aber wozu rege ich mich auf? Es find ja doch nur Redens­­arten bei Ihnen, und ebenso wenig wie Sie an einer Ihrer fünfzig Krankheiten gestorben sind, ebenso wenig werden Sie jemals eine Pistole laden und freiwillig den Spaziergang in das Jenseits antreten.“ „Fordern Sie mich nicht heraus, Gräfin!“ „Warum nicht ?“ „Ihr Spott thut mir wehe, mehr als Sie ahnen. Er bedarf nur eines ganz kleinen Anstoßes von Ihrer Seite, und ich reise ab in das Land, aus dem kein­ Wanderer wiederkehrt.“ Z csi Me. „So nehme Sie beim Wort,“ entgegnete ‚die­ schöne Frau. „Sie sind in diesem Augenblik fest überzeugt, daß Sie in diesem Jahre sterben­ werden. Sie schwanken nur noch, ob Sie den Besuch Freund Hains abwarten oder selbst Ihrem Dasein ein Ende machen sollen.. Wenn Sie also schon sterben müssen oder wollen, dann kann dies doch wenigstens in einer Weise geschehen, die mir zu gleicher Zeit einen lang gehegten Wunsch befriedigt.“ „Und das műre?" fragte Spangen gespannt. „Sehen Sie, mein lieber Graf,“ fuhr sie fort, wäh­­rend sie seine beiden Hände ergriff und ihm nahe, ganz nahe­­ i x -

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