Kirchliche Blätter, 1898. Mai -1899. April (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1898-05-04 / nr. 1

—D ee Sr.Hochwürden Herrn Daniel Filtsch,dem verdienstvollen Vorsteher der Hermannstädter Kirche veranstaltete,ge­­schmackvolle Sammlung neuer Lieder zum allgemeinen Kirchengebrauche eingerichtet sein wird.«s«sind in der That ist diese Sammlung damals die Grundlage des neuen Gesangbuches geworden.Freihe­rr Samuel von Brukenthal hatte an die Synode in Birthalmeisz das Ersuchen gestellt,sie sollte eine gleichförmige,»diesen Zeiten d­er An­klärung anpassende Liturgie«feststellen und­ namentlich »bessere Gesänge und Gebetformulare« schaffen Der Super­­­intendent übernahm, nachdem die Synode dementsprechend die Herstellung eines­ neuen Gesangbuches beschlossen hatte, die Bearbeitung und Auswahl der Lieder, unterstütkt von den genannten Geistlichen aus Hermannstadt. Doc erst sein Nachfolger 3. A. Müller erlebte die Vollendung des Werkes. Der Synode von 1793 lag e8 gedruckt vor und jedem­ Dechanten wurde ein Exemplar überreicht, „um von seiner Vortrefflichei­ Kenntnis zu nehmen.“ Das neue Gesangbuch bedeutete, wie überhaupt sen­­ Nationalismus das Verständnis für das geschichtlich Ge­­wordene abging, einen völligen Bruch mit den früheren Gesangbüchern. Statt der früheren 694 Lieder enthielt es nur noch 471 und auch unter diesen waren nur 78 aus den älteren Sammlungen herübergenommen.­ Ausgeblieben ist der größere Teil der Lutherlieder, von denen nur 7 beibehalten wurden — selbst das Reformationslied „Eine feste Burg ist unser Gott“ fiel mit den andern Psalmenumdichtungen dem „bessern Geschmac“ zum Opfer, — ebenso der weitaus größere Teil der Baul Gerhardt’schen Lieder, 3. DB. das schöne Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Nun ruhen alle Wälder“, „Schwing dich auf zu deinem Gott“. Dafür aber drangen die Lieder der neuen Zeit ein, von Klopftod 9, von seinem Freunde Cramer 31, von Gellert 42. Namentlich die leteren bilden so recht den Grundstod des vor hundert Jahren neuge­­schaffenen Gesangbuches. Es ist dabei charakteristisch, wie diese Lieder, die doch auch ihren­ ganzen Geiste nach einer vor der Aufklärungszeit liegenden Periode angehören, doch in ihrer verdünnten Moral dem Zeitgeschmaß besser zu= —— sagten, als die grobschlächtigen Lieder­ des Reformations­­und Nachreformationszeitalters. Nationalistisches ist in­­ diesen Gellert’schen Liedern im Grunde noch wenig, aber ihnen ist mit der Zeitrichtung, der das neue Gesangbuc­­h entstammte, gemeinsam die Betonung des Sittlichen neben dem, rein Religiösen, öfter. Die Verflachung der religiösen Empfindung zur­ prüfenden Betrachtung des täglichen Lebens. Auch Gellert hat in­ einer Reihe von Liedern tiefe Töne angeschlagen — wir denken nur­ an sein Buß­­lied „An dir allein hab’ ich gesündigt“, das Kommunion­­lied „Ich komme Herr und suche dich“, — aber oft ver­­flüchtigen sich auch und gerade bei ihm die religiösen Grund­­empfindungen der reformatorischen, die Bek­ensung in die­­ Person Jesu des pietistischen Liedes zum Breife der Mäßig­­keit, der Friedfertigkeit, des tugendsanen Lebenswandels. Aber je­doch als durch Auslastung und Aufnahme von Liedern ist dieses Gesangbuch durch die vorgenommenen Änderungen der Liederterte als Kind seiner Zeit gekenn­­zeichnet. Die Bezeichnung „verbessertes“ Gesangbuch, die damals einer Reihe von deutschen Gesangbüchern gegeben wurde, ging vornehmlich auf diese inhaltlichen Anpassungen der alten Terte an die neue Zeit. Was bisher als unmittelbare Empfindung gelungen war, sollte man als Ausdruck der „Überzeugung“ gelten, was dem­ gewöhnlichen Beistand widersprach, sollte abgeändert oder ausgemerzt werden, da es unwürdig erschien zu singen, was nicht denkend erfaßt und bewiesen werden konnte. In Deutschland ging man Damit recht weit; es gab Gesangbücher, deren Heraus­­geber ich rühnten, nicht ein Lied unverändert gelassen zu haben. Wie und warum dieses geschah, dafür nur ein Beispiel. Ein schönes Abendlied Paul Gerhardts in Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Meenichen, Städte und Felder. Es schläft die ganze Welt. Das hatte man lange Jahre hindurch gesungen und sich daran erbaut. Nun nahm aber der prüfende Verstand schon an der ersten Zeile Anstoß. Friedrich der Große meinte, das solle singen wer wolle, er könne es nicht, denn in der Nacht ruhten ja die Wälder nicht, die Bäume wachsen Tag und Nacht.. War das vielleicht nur scherzhaft gemeint, so gingen andere ernster vor. Sie sagten, die Worte „es schläft die ganze Welt“ erhielten Falsches, denn während es hier Nacht sei, habe ja die jenseitige Erdhalbkugel Tag. So änderten denn die „verbesserten Gesangbücher": „es schläft die halbe Welt“ und nun konnten Die „vernünftigen Berehrer Gottes" beruhigt das Lied mitsingen, ohne in Widerspruch mit ihrem astro­­nomisch-physikalischen Misen zu geraten. So geschmahle8 Hatten es nun die Herausgeber des „Neuen Hermannstädter Gesangbuches“ nicht gemacht. Aber, daß sie z. B. das genannte Lied, das in den früheren Samm­lungen enthalten war, nicht mit aufnehmen, mag doc aus Ähnlichen Erwägungen entsprungen sein. " Im anderen Liedern dagegen, sind in der unverkennbaren Absicht, ent­weder dem besseren Geschmach oder dem ver­­nünftigen Verständnis zu entsprechen, erhebliche Ände­­rungen vorgenommen beziehungsweise aus deutschen Ge­­sangbüchern übernommen worden. Im Paul Flemming’schen Liede „In allen meinen Thaten“ hieß es ursprünglich (9. 3) æ 3 kann mir nichts geschehen, Als was Er hat versehen Und was mir selig ist. . Dafür wurde nun eingeseßt: æ 3 kann mir nit geschehen Als was dein Rath ersehen Und für mich nüßlich hält. -

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