Kirchliche Blätter, 1898. Mai -1899. April (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1898-05-04 / nr. 1

.—0­3 N Sm 5. Bers hieß es: Er wolle meiner Sünden In Gnaden mich entbinden, Durchstreichen meine Schuld. Er wird auf mein Verbrechen, Nicht strads das Urteil sprechen Und haben noch Geduld. Die „Verbesserten Gesangbücher” haben dafür: Laß alle meine Sünden Bor dir Vergebung finden Und tilge meine Schuld. Bum Heiligungsgeschäfte Berleih mir Mut und Kräfte, Und habe noch mit mie Geduld. Auch in anderen kleineren Abweichungen zeigte sich das Bestreben, den Glauben mit dem Wissen auszugleichen und an Stelle nur geahnter oder mit dem Gemüte er­­b­auter Bilder genau erfaßbare, aus dem menschlichen Leben erfahrungsgemäß begreifbare zu sehen, oft natürlich auf Kosten nicht nur des lebendigen Gefühls, sondern auch der poetischen Anschaulichkeit. In Paul Gerhardt Lied „Be­­fiehl du deine Wege“ hieß es in gut biblisch-volkstüm­­lichem Bilde: Befiehl du deine Wege Und was dein Herze tränst Der allertreuesten Pflege Des, der den Himmel lenkt;­­ Der Wolfen, Luft und Winden Giebt Wege, Lauf und Bahn, Der wird auch Wege finden, Die dein Fuß gehen Fanı. Das war nun poetisch schön, aber nicht verständig klar. So wurde statt „Herz“, das nach alter Bolfsan­­schauung als der Gib des Gemütes gilt, der neugefun­­dene wissenschaftliche Begriff „Seele“ gejebt, „was Dich, wo Seele, tränst” ; Gott lenkt nicht nur den Himmel, daher: „wer den Weltfreis senkt“; Luft und Wind künnen nicht in dieser Art nebeneinander gestellt werden, Wind ist bewegte Luft; deshalb wurde dafür „Flut“ eingeseßt. Ebenso kennzeichnend nach der Seite der moralischen Verdünnung ist die Abänderung der zweiten Strophe. 68 hieß da: Mit sorgen und mit grämen Und mit selbst eigner Bein Läßt Gott ihm gar nichts nehmen. Es muß erbeten sein. Die ganze Fülle des Glaubens liegt hier in dem unbestimmten „es“ der legten Beile, das im Gegensat­zum „gar nichts“ steht. Alles, was nur der Mensch an innerem göttlichem Gute hat, was er aus Gottes Wesen an sich trägt, fließt aus der Gnade Gottes. Wie mensc­­­­l hausbaden die Abänderung: „Gott läßt... sich seine Wohlthat nehmen, sie muß erbeten sein“. In Neumark Lied. „Wer nur den lieben Gott läßt walten“, heißt es in der 3. Strophe: Man halte nur ein wenig stille Und sei doch in sich selbst vergnügt, Wie unsrei Gottes Gnadenwille, Wie sein’ Allwissenheit es fügt. Welch’ glückatmendes Bild das „in sich selbst ver­­gnügt“! Dichter aller Zeiten haben von Horaz bis Jean Paul, Seidl und den Dichter des „Glücks im Winkel“ die religiös-sittliche Stimmung ,­ieses „in sich vergnügt sein’s“, in dem genügen lassen und sich glücklich fühlen vereint ist, gezeichnet. Nun aber die geschmachtose, Fast sinnlose Änderung: „Zu Gott sei deine Seele stille, mit feinem weisen Rat vergnügt.“ Und ebenso mußte sich Gellert in seinem Liede „Ich komme Herr und suche dich mühselig und beladen“ die mehr selbstbefriedigt tapfere als poetisch schöne Änderung gefallen lassen „Ich kommte Herr und suche dich mit Mängeln noch beladen.“ Wir wollen die Beispiele nicht häufen; wir würden sonst nach der andern Seite dem 1793=er Gesangbuch ein Unrecht anthun. Denn nicht alle Abänderungen des ursprünglichen Textes sind nur gut gemeinte aber fatbel ausgefallene „WVerbesserungen“, sondern in manchen Liedern und Berjen galt es auch die ungeglättete Form glatter und sangbarer zu machen, sprachliche Härten, wie Zusam­­menziehungen von Wörtern, Verschleifungen von Silben u. s. w., die einer früheren Sprachperiode nicht über einem entwwicelteten Sprachgefühl angemessen waren, zu tilgen. Und wie unter den nicht mehr aufgenommenen Liedern auch solche waren, die als bloß versifizierte bib­­lische Geschichten oder dogmatische Grübeleien mit echt ausgelassen werden konnten, so kann auch in den Einzel­­änderungen die Abfragung von breiten Wiederholungen oder unklarem Bilderschmuck als gerechtfertigt angesehen werden. Und noch auf eines sei hingewiesen als Zeugnis, daß wohl Zeitgeschmack und Zeitgeist bei Bearbeitung der Herausgabe dieses 1793­er Gesangbuches in einer Weise Einfluß genommen haben, die unserem Empfinden oft widerstrebt, daß aber gegen den tiefen religiösen Ernst und Willen der Herausgeber seine Anschuldigung sich erheben darf. An manchen Stellen haben sie­ das religiöse Empfinden zu vertiefen gesucht, indem sie statt der fühleren Betrachtung von Gott und Menschen das vertrauliche „du“ einjeßten ; im B. Flemming’schen Lied schrieben sie „laß ich Dich,­­ Höchster raten“, statt „den Höchsten“, in Gellerts Lied „du Herr wirst alles Iensen“ statt „der Herr wird alles lensen“. Das hier gekennzeichnete Gesangbuc ist nun, außer in Kronstadt, wo das einheimische Gesangbuch in ähn­­licher Weise einschneidende Umänderungen erfuhr, in den Gemeinden der Landeskirche bis zur Gegenwart im Gebrauch geblieben. An Stimmen, die vor allem reinere, wenn auch in Form und Ausdruck der Gegenwart an­­gepaßte Texte verlangten, hat es nie gefehlt; zugleich auch ergab sich das Bedürfnis den seither zugewachsenen Liederschag zu verwerten. So famt denn, besonders seit­­ * -

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