Kirchliche Blätter, 1902. Mai -1903. April (Jahrgang 7, nr. 1-52)

1902-06-11 / nr. 6

3 Az. 6. 4 sind seßhafte Christen geworden;aber immerhin finden die Forderungen,die der Herr an jene dreistellte,eine bedingte Anwendung au­ch auf uns,sind sie belehren uns darüber,wie tot ernst auch wir es mit unserer Aufgabe nehmen müssen,wenn­­­ir geschickt sein wollen zum­ Reiche Gottes. Der zuerst kommt,ist,wie der Evangelist Mat­­thäus berichtet,ein­ Schriftgelehrter.Also einer von denen,­ mit den­en Jesus sein ganzes Leben lang zu kämpfen ge­­habt hat,erklärt sich überwunden und fragt nicht,was werden deine Komm­iliton­en,­deine Freunde und Kollegen dazusagen­,sondern spricht:»Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehes.!«Welch’ein Triumph für den Herrn in den Augen des Volkes noch das Unerwartete geschieht.Und Jesus sprach zu ihm:,,Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem­ Himmel haben Nester,aber des Menschen Sohn hat nicht,da er sein Haupt hinlege.«Offenbar haben wir es hier mit einem zu thun,der,wie so viele »—«-Juden seinerzeit von dem neuen Messias irdischen Glan­z, weltliche Macht und ein behagliches Leben erwartete. So sagt ihm der Herr, der die Schar seiner Zünger nicht mit Falschen Hoffnungen mehren will, daß er von ihm vergeblich etwas für diese Welt suche, denn des Menschen Sohn habe nicht, da er sein Haupt hinlege, sein Haus und sein Heim. Wer mit Jesu geht, soi nur Himmlisches, nicht Irdisches im Auge haben. Muß man aber nicht auch Heutzutage so vielen Christen die gleiche Lehre er­­teilen? Grade bei denen, die sich als die wahren Jünger Sefu fühlen, trifft man gar oft die Meinung, weil sie fromme Leute seien, müßte es ihnen allzeit gut ergehen. Werden sie frank, kehrt der Tod in ihr Haus ein, ver­­armen sie, so fünnen sie das nicht begreifen, und doch hat der Herr niemals ein Hehl daraus gemacht, daß man durch viel Trübsal in das Neid­ Gottes eingehen müsse. Gutes in irdischen Dingen, Wohlergehen erleichtert die Z Jüngerschaft nicht, sondern macht ihre Aufgaben nur­ no­ schwerer. Auf der andern Seite aber darf unsere Schrift­ 0­stelle nicht in dem Sinne ausgelegt werden, als ob man bloß in der Einsamkeit der Klosterzellen geschickt werden könnte zum Neid­e Gottes, als ob die Nachfolge Christi von uns fordere, uns abzuwenden von all’ dem Schönen und Herzerfreuenden, das diese Erdenwelt in so reicher Fülle darbietet. Das wäre eine falsche Auslegung. Auch die Güter und Freuden­ dieser Welt sind Gaben des heiligen Gottes, und der Herr selber hat als ein fröhlicher Gast an der Hochzeit zu Kana teilgenommen und sich die Salbung mit dem festlichen Nardenöl aus der Hand der Maria gefallen lassen. Aber eine gewisse Heimatlosigkeit in dieser Welt gehört doch dazu, um gejöhtet zu sein zum Neid­ Gottes. Die Welt vergehet mit ihrer Luft, wer aber den Willen Gottes thut,, der bleibet in Diwigkeit. Obgleich ein Christ ein Herr ist aller Dinge, so muß er doch, wie Luther sagt, frei und ledig sein von allen Dingen. Sind wir das aber? Haben wir jene harte Selbstüber­­windung, die uns ihr ernstes Angesicht zeigt in dem Worte: Des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege ? Wer wollte dem Urteile widersprechen, daß unser Christentum viel zu weichlich ist, daß wir selber viel zu wohllebig und zu wehleidig sind, um geschicht zu sein zum Reiche Gottes. Ob wir uns bessern werden? Möchten wenigstens die Eltern aus jenem Worte die Mahnung heraushören und zu Herzen nehmen: Wachet über die Seelen eurer Kinder, gewöhnet ihnen seine unnötigen Bedürfnisse an, verweich­­lichet sie nicht, sondern machet sie Hart für das harte Leben, erziehet sie so, daß sie ohne Verdrosjjenheit ent­­behren künnen, und lehret sie, wie der Herr, mitten in der Heimat sich heimatlos zu fühlen, als hätten auch sie nicht, da sie ihr Haupt hinlegen, damit, wenn sie an unsere Stelle treten, sie besser als wir, gesöhtet sind zum Neid­e Gottes. Und der Zweite , wie geht der Herr mit ihm um? Da bei ihm ein Antreiben nötig erscheint, fordert der Herr selber ihn auf: „Folge mir nach!” Der sprach aber: „Herrl erlaube mir,daß ich zuvor h­ingehe und meinen Vater begrabe." War das nicht ein selbstverständlicher Vorbehalt, eine edle Pflicht der Pietät, die er gegen den Vater erfüllen mußte, wenn er sich nicht dem Vorwurfe der Gefühllosigkeit ausregen wollte, und doch auch hier wieder geschieht das Unerwartete. Aber Jesus sprach zu ihm: „Laß die Toten ihre Toten begraben, du aber gehe hin und versündige das Reich Gottes." Welch’ ein scheinbar hartes Wort, und doch will der Herr damit seinem Toten und seinem Lebendigen wehe thun, sondern nur die Ge­­fühlsbedürfnisse und die Gefühlsergüffe in die gebotenen Schranken zurücweisen. Giebt es doch schon unter den irdischen Angelegenheiten solche, die das Opfer von uns verlangen, um einer höhern Pflicht willen, eine traute Liebespflicht zu versäumen. Wir denken hiebei beispiels­­weise an den Sänger der Freiheitsfriege Max von Schenfen­­dorf, der seinen Vater sterbend zurücließ und dem Rufe seines Königs folgte, dann aber dem verewigten Vater nachsang: Haben Fremde dich begraben, . Sollst in freier Erde ruh'n ! Lieber Vater! schau, wir Haben Set­was Größeres zu thun! Können die Menschen je die Liebsten Bande lösen und die Arme, die sie zurückhalten wollen, auseinander legen und bitten: „Saltet mich nicht auf, wenn Bolf und Baterland rufen,“ dann ist es weit mehr gestattet, die Toten zu laffen, wenn der Herr zu seiner Nachfolge ruft. Darin besteht ja eben die Majestät der göttlichen Dinge, daß das Neid­ Gottes mehr ist, als alles Irdische und Menschliche und daß, wenn es Jesum gilt, auch Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weib und Sind verlassen werden müssen, um geschi­t zu sein zum Reich Gottes. Ob der Mann im Evangelium die Probe bestanden |

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