Kirchliche Blätter, 1911 (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1911-06-10 / nr. 23

—276— be­stimmt,daß die Ordensverleihung in keinem Kausal­­zusammenhang mit der Zurücksetzung,die unsere Kirche durch den Spruch des Magnatenhauses er­­fahren hat,steht.Es wäre ja auch die Annahme, daß die Verdrängung unseres Landeskirchenkura­­tors aus dem Magnatenhaus durch eine unserem Bischof und unserem Bischofsvikar ad personam verliehene Auszeichnung gutgemacht und daß über­­haupt eine Rechtsentziehung durch einen persönlichen Huldbeweis ausgeglichen werden könnte,zuwider­­sinnig.Wir würden mit einer solchen Auffassung unserem weisen Herrscher und seiner Regierung eine Absicht unterschieben,die einen Mangel an Rechts­­gefühl und an Kenntnis unserer Volksseele zur Voraussetzung hätte,da für ihre Regierungsmaß­­nahmen keinen Grund und Anhaltspunkt bieten. Es wäre daher nicht wohlgetan,dem zeitlichen Zu­sammentreffen so viel Bedeutung beizulegen, weil dadurch der Huldbeweis entwertet und die Rechts­­frage zurückgeschoben oder gar verschleiert werden könnte. Wohl aber glauben wir, an der unseren geist­­lichen Doberhirten bewiesenen allerhöchten Wert­­schältung die Hoffnung ableiten zu künnen, daß auch die von ihnen geleitete Kirche Berückschtigung ihrer Lebensinteressen finden werde. Die Kulturarbeit, die sie für das Ganze immer geleistet hat und weiter zu leisten gewillt und wedlich bemüht ist, kan­n sie nur dann erfolgreich weiterführen, wenn sie in der erworbenen und geieglich zugestandenen Rechtsstellung nicht beeinträchtigt wird; denn jede solche Beein­­trächtigung zieht eine Störung und Beunruhigung innen und außen nach sich, die Hemmend und­­ähmend auf die Arbeitsfreudigkeit und Fähigkeit wirkt. Beide Orden sind in Zeiten gestiftet worden, da unser Land nach äußeren und inneren Erschütterungen sich wieder des Friedens zu erfreuen begann, und ihre hohen Stifter haben gerade durch sie das Friedenzwert auch an einem Teile zu stärken und zu wahren beabsichtigt. Wir nehmen sie zum guten Zeichen, daß auch unserer Kirche zu allen Zeiten zuteil werden werde, was zu ihrem Frieden und zum Ge­­deihen ihrer Friedenstaaten dient. —p 1. Die Eröffnung wurde nachmittags 5 Uhr mit Gesang — 2 Beife des Chorals „Wac) auf, du Geist der ersten Zeugen“, von allen Anwesenden auswendig gesungen — und Schriftlesung, ein Abschnitt aus dem zweiten Kapitel des ersten Petrusbriefes, vorgenommen, woran sich die Eröffnungsrede des Vorfigenden, Pfarrers Stod aus Groß-Lichterfelde, anschloß. Der Gedankengang war folgender: .. Zum zweiten Male tritt die Konferenz für evangelische Gemeindearbeit zusammen, diesmal im Die zweite Tagung der Konferenz für evang.. Gemeindearbeit in Darmstadt am 25. und 26. April. (F­ortlegung.) Süden Deutschlands, in der Hessischen Haupt- und Residenzstadt Darmstadt. Die Sorge um den Fort­­bestand der ev. Kirche, die vielen auf dem deutsch­­evangelischen Kirchentum hastenden Nöte haben zu ihrer Einberufung geführt und sie möchte die Ver­­antwortung für den Fortbestand der evangelischen Kirche den evangelischen V­olksgenossen auf die Seele binden. Jeden möchten wir fragen, ob er mit Schuld trägt an der Auflösung der evangelischen Kirche. Wo gilt es, Hand anzulegen? Was ist zu tun? Unsere Zeit Hungert traß alles Individualismus nach Gemeinschaft, auch wir Theologen Hungern dar­­nac, Taten zu tun. Ein Student, der von P­ro­­fessor Rade, dem Herausgeber der „Christlichen Welt“, um einen Artikel aufgefordert wurde, hat ihm geant­­wortet, er wolle nicht Artikel schreiben, sondern prak­­tische Arbeit leisten, und das wollten mit ihm die jüngeren. Er geht nicht mehr an, daß Sonntag für Sonntag Leute in der Kirche figen, die er in der Woche um einander weiter nicht sümmern. Die Vor­­nehmen müssen herabsteigen zu den Geringen und ich ihrer annehmen. Das ist aber nur dann recht möglich, wenn die großen Gemeinden zerschlagen und kleinere Einzelgemeinden gebildet werden. Man könnte und vorwerfen, wir seien zusammen­­gekommen, um unser Licht leuchten zu lassen. Dem it nicht so. Vox viva docet, Bücher tun das nicht in dem Maße. Wir wollen das Bewußtsein der Verantwortlichkeit in uns sehärfen und wollen dog­­matischen Auseinanderlegungen hier energisch ent­­gegentreten (Bravorufe) und etwas von dem Geist der Brüdergemeinde in uns lebendig werden Lassen. Die evangelische Kirche Hat sich ihr Programm bisher von reifen bestimmen lassen, die außerhalb dieser Kirche waren, jegt will sie ich es selbst bestimmen. Am Schluffe seiner temperamentvollen, ziel­­weisenden Rede begrüßte Pfarrer Stod die Er­­schienenen, insbesondere die in der Gemeindearbeit rühmlichst bewährten Frauen. Eine offizielle Be­­grüßung unterblieb, „da sie niemand sonderlich Freude macht“. „Wir wollen feine Festgemeinschaft, sondern eine Arbeitsgemeinschaft sein” — deshalb auch die vom Borsiger ausgesprochene Bitte, er möge niemand vor dem Schluß der Verhandlungen den Saal ver­­lassen. Lebhaft begrüßt wurde der greife D. Lulze, der, obwohl er ins 80. Lebensjahr eingetreten, dennoch nach Darmstadt gekommen war. Er mochte an der Tagung seine besondere Freude haben. Der Eröffnungsrnde folgte 2.d­er Vortrag Prof.D.Rendtorffs-Leipzig über Boltstiche, Kirchengemeinde, Gemeinschaft. Nicht praktische Winte und Notschläge will der Vortragende erteilen, sondern Grundlinien zeichnen, die Frage grundfäßlich, nicht Fafuistisch behandeln. In den Mittelpunkt stellt er den Begriff der Kirchen­­gemeinde, der seine eigentüm­liche Beleuchtung durch die beiden anderen Begriffe erfährt. Von der Wolfskirche als einer territorialen Einheit ausgehend, stellt Rendtorff fest, daß es in diesem Sinne nur eine V­olfsfirche gebe, die der Siebenbürger Sachsen. Die V­olksfirche als „Nachwuchs- oder Kindertauffirche“

Next