Kirchliche Blätter, 1911 (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1911-07-22 / nr. 29

» »i- Hirchlicheg Blätter Bezugspreis: Inland: wanapaır. 7­19, halbjähr. KB Ausland­­s SG « aus der ev. Landeskirche R. 3». in den siebenbürg, Landesteilen Ungarns Ganzjähr. ME 10, Haldj. ME 5 Ev. Wochenschrift für die Glaubensgenosen aller Stände Verlag: Sof. Drotleff, Hermannstadt Erscheint jeden Somitabend Nr. 29 Hermannstadt, den 22. Juli 911 III. Jahrgang Inhalt: Lebendiges Maß. — Die Generalkirchenvisitation im Bittrnger Kirchenbezirk. — Gebet. — Die zweite Tagung Jahresversammlungen unserer Gustav Adolf-Zweigvereine. — Nachrichten aus Nah und Fern. — Anzeigen­ der Konferenz für evang. Gemeindearbeit in Darmstadt. (Fortsegung.) Injertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Bet­tzeile fostet bei einmaligem Einrücen 20 Heller, bei jedem weiteren Einrücken je 15­ Heller — Eine neue Wertung der Realschulbildung. — Lebendiges Maß. %oh. 13, 15. Der Mensch ist fn das Maß aller Dinge, auch feiner selbst. Zunächst rein Leiblich gedacht. Die ragende Gestalt des Mannes gab das höchsste Srößenmaß, seine Glieder die kleineren Maßein­­heiten und mit dem Schritt bestimmte er die Länge des Weges. Von der lebenden Gestalt Löten ich dann die Einheiten [o8 und erstarkten zu feststehen­­den] Maßstäben, die man vergleichend an die Dinge legte, um ihre Größe und ihren Wert sich zu­ vergegenständlichen. &8 war Handlicher, dies Mal, und schmankte nicht wie die wechselnde Ent­­wiclung des Menschen. Gerne aber kehrte zu allen Zeiten des Menschen­­ Vorstellung über den abge­­leiteten Maßstab zum ursprünglichen ebendigen Maß zurüc, wenn sie etwas unmittelbar vergleichen und sich besonders anschaulich machen wollte. Wie die Seligstädter im Jahr 1389 für die Tiefe eines Teiches nicht after und Fuß, sondern den größten Mann ihrer Gemeinde am Maß hinstellten, so mißt man auc heute in stillen oder lauten Vergleichen den einen am andern; am Vater, an der Mutter hebt sich das wachsende Kind in die Höhe und freut sich, wenn es ihnen gleichgenommen ist oder sie gar noch überragt; schreitend bestimmt der Landmann die Länge seines Aders, die Spanne gibt am un­­mittelbarsten eine Vorstellung von dem größern oder geringeren Umfang und noch immer wandelt der größte Mann der Gemeinde als lebendiges Richtmal vor den Augen der andern. Und fast mehr noch gilt das nach innen ge­­wendet, zunächst für die rein geistige Entwicklung. Wohl besteht ein gewisses Maß geistigen Könnens. Und doch vergleicht der Lernende sich immer wieder mit dem Mitschü­ler oder mit den früheren Schülern, deren Ruhm noch unter den Nachwachsenden lebendig ist. Am Meister mißt man den Jünger, am Vor­­gänger den Nachfolger. Die Ueberlieferung erzählt anspornend von den Leistungen der Vorfahren und als leuchtende Vorbilder hält die Geschichte das Leben einzelner auserwählter Geister fest. Die Helden­­verehrung, was ist sie anders als ein bewunderndes Aufschauen und begeistertes Aufstreben zu der durc­ |­­ staunendes Nachmessen erkannten Größe! Aber lebens­­voll muß die Gestalt vor uns stehen, wandeln und handeln, dann treten wir ihr zur Seite und wandeln ihr nachh. Am innigsten aber verlangt unsere Seele für ihre Innenwelt ein lebendiges Maß. Eine Summe von Lehren genügt ihr nicht, in dieser Welt sich zurechtzufinden und ihr eigenes Werden zu ver­­stehen und zu bestimmen. Die Lehren regen wohl auch Ziele, aber deren Höhe ist der Seele nicht faßlich und der Weg dazu nicht rar. Sie braucht ein lebendiges Vorbild, nach dem sie sich bilden fan, ertten Führer, der ihr sichtbar der Weg voran­­schreitet. Ein wesenloses Gedankenbild hat nicht Leben und fan in seines weden, das hat und fan nur eine Persönlichkeit mit sichtbaren Zügen, mit Haren Worten und beispielgebendem Handeln; sie bietet jedem das, werfen er bedarf zur eigenen Ent­­faltung der Seelenkräfte, jeder vermag zu ihr in ein persönliches Verhältnis zu treten, unmittelbar, nah und traut, lebendig mit ihr sich zu berühren. Die Gesamtheit wird wohl immer die Haupt­­züge herauslösen und zu einem allgemein geltenden Vorbild emporheben; der Einzelne sucht seinen Heiland, der vor ihm wandelt, ihn zu sich hinan­­zieht, ihn mahnt und tröste. Die Kirche wird des gemeinsamen Grundes der Lehre nicht entbehren können; die gibt Maß und Plan für ihren großen, wachsenden Bau. Das Leben in ihr aber fan nur vom Leben erwegt werden; immer wieder muß aus der starren Fassung der Lehre der Heiland lebendig erstehen, wenn die Herzen schlagen und die Seelen warm werden sollen. Darum das große Sehnen und Suchen unserer Zeit nach ihm! — Und wo Lehre und Leben des Heilands einander entgegengestellt werden, durch ein Miverstehen der einen oder des andern, da darf nicht diese3 verdrängt oder niedergedrüct werden durch jene, sonst wird auch das Nachleben ersu­den und ersterben. Dann geht das Wort leer aus und fehrt Leer zu end, die Seele findet in ihm nicht, werfen sie bedarf. Das kann ja doch nur der ihr geben, nach s einer und nach ihrer Art, der da sagte: „Ein­­ Beispiel habe ich Euch gegeben, auf daß ihr tut, wie ich euch getan habe.“ ER

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