Kirchliche Blätter, 1912 (Jahrgang 4, nr. 1-52)

1912-01-06 / nr. 1

kraftweiht.Aber nicht die Volksmehrungsarbeit unserer Kirche,zu der auch andere Kräfte mitberufen sind,ist Gegenstand dieser Ausführungen,sondern die Arbeit, die sie allein zur Förderung des Volkswohles tun kann und tun muß. Wir begeben und auf das ureigene Gebiet unserer Kirche und ziehen ihre besonderen Kräfte in Betracht. Unsere Kirche ist eine Hristliche und ruht auf dem Evan­­gelium Seju EHristi. Dieses Evangelium ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben. Die Erfahrung der Geschichte, aber auch die des einzelnen Menschen, bezeugt, daß im Evangelium unseres Heilands wirklich Gottes Kraft gleichsam auf die Erde gebracht und für das Menschenleben wirksam gemacht worden ist. Das Lebensrezept Jesu ist unwiderleglich bewährt und erhält den Menschen sittlich gesund, macht ihn selig. Ein Leben in seiner Gesinnung führt zum höchsten Erdenglack. Ein Bolt, das im Evangelium feststeht, ist in seinem Bestande gesichert. Wir können es nach unseren Erfahrungen bestätigen, was ein konservativer Theologe ausge­sprochen hat: „Das Ch­ristentum ist die Wahrheit des Menschentums.” Von den lebhaften Bedürfnissen der Menschenkraft nimmt er seinen Ausgang und stellt das Leben zugleich unter den höchsten Gesichts­­punkt. Wir können uns seine höhere Sittlichkeit er­­denken, als sie aus der Gesinnung, aus den Worten und dem Leben Sefu spricht. Etwas Göttlicheres und ich will gleich Hinzufügen etwas Praftischeres hat noch niemand gedacht und empfohlen als er. Wollte jemand einen noch Höheren Gesichtspunkt für die Lebensführung finden, er wäre unmöglich. Ich verschreibe mein Leben dem Besten und Höchsten, wenn ich es ihm verschreibe. Auch meine äußer­­lichten Lebensinteressen sind am besten geborgen bei ihm. Wer das Leben in der Tiefe sieht, findet fort­­während die ewige Wahrheit der s christlichen Ge­­danken bestätigt. Sefus­­ leuchtet in die Tiefe hinein. Worte genügen ihm nicht, auch Taten noch nicht, er geht der Menschensache auf den Grund: auf die leiseste Negung des Herzens, auf die Gesinnung kommt er an. So hat noch niemand die Sittlichkeit an der Wurzel gepackt. Christliche Srömmigkeit ist sehr einfach: Leben vor Gott, der in die geheimsten alten des Herzens sieht. Christus kam, um die Menschen an ihre Hohe Bestimmung zu mahnen. Was er sagt, klingt so selbstverständlich, als ob er und nur erinnern wolle an etwas, das wir schon wissen, das schon in uns lebt. Auf dem Grund unserer Seele ruht etwas, das ihm entgegenformt: er spricht nur das erlösende Wort. In den andern bekannten Religionen sind gewiß auch große Kräfte lebendig, aber sie finden in nichts zusammen gegenüber den Kräften, die die Gesinnung Kefu entbindet. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.” Die reifsten Früchte sittlichen Lebens wachen auf dem Baume des Christentums. Die höchste sittliche Entfaltung quillt aus der Religion des Kreuzes. Das deutsche Volk zumal Hat in der Reformation eine dauernde Erneuerung seiner Kraft durc das recht erfaßte, Durch Luther wieder auf den Leuchter gestellte reine Evangelium erlebt. 8 ist der einzige Weg, auf dem ein Volk seine Sittlichkeit und damit die Bedingungen seines Bestandes er­­halten und vermehren kann. Das religiöse Kapital des Christentums trägt unerhört reiche Zinsen des sittlichen Lebens. Daraus ergibt si) mein erster Sa: Um eine Mehrerin des Volkes zu sein, muß unsere Kirche vor allem im Evan­gelium Jesu Christi festgegründet sein. 2. Nun ist aber unsere evang. Laudeskirche hier in Siebenbürgen ein gar eigenartiges Gebilde. Bei ihrer Gründung war der sächsische Volksgeist ganz hervorragend mittätig und hat ihr sein Gepräge auf­­gedrüct. Er hat auch später nie geruft und Die Entwiclung unserer Kirche wesentlich beeinflußt. Er ist auch heute am Werke, sie als sein Geisteskind zu bewahren und zu benügen. E 3 war seine zufällige Bezeichnung, wenn unsere Kirche »ecclesia Dei nationis Saxonicae« genannt wurde, die Kirche Gottes sächsischer Nation. Die Bezeichnung ist ung­lieb, weil sie den Zusammenhang mit unserer Kirche in der vorreformatorischen Zeit herstellt; wir waren eben immer die Kirche Gottes sächsischer Nation, auch in der katholischen Zeit. Und vielleicht geht es vielen so wie mir, daß sie es nicht recht glauben können, daß wir einmal katholisch waren, weil das Sächsische in unserer Kirche vor und nach­ der Re­­formation so beherrschend auch das kirchliche Leben durchwaltet hat, daß der Unterschied der beiden Hiit­­arier auf das geringste Maß herabgegeht wird. Das schließt keine Geringschäßung des reformatorischen Werkes unseres Honterus und seiner Mitarbeiter ein, wir meinen vielmehr, daß gerade die Refor­­mation dem innersten Wesen unseres Volkes entsprac­h, in ihrem Verlauf ihm Rechnung getragen und so gleichsam unser Volk neugegründet hat. Sie überkam aus der katholischen Zeit den fertigen Rahmen, den sie für den neuen Inhalt benügen­­ konnte. Sie gab unserm Bolk erst die volle kirchliche Einheit und Unabhängigkeit. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß unsere Kirche — ein Uniktum — nir nur eine Konfession hat, sondern auch­ eine Nationalität, sie ist Sächstich. E 3 ist mehr als Niedensart, wenn wir vom sähhltichen Bischof sprechen und wenn wir umgekehrt unsere Mundart als die evangelische bezeichnen. ES Liegt darin ein wesentliches Merk­mal unseres Glaubens und unserer firchlichen Gesinnung. Tatsächlich gibt es bei uns seine kirchliche Einrichtung, die nicht zugleich fächsisc­h wäre; es gibt seinen Geistlichen, der gleich dem Katholischen der Kirche allein im engsten Sinne diente und nicht zugleich auch seinem Bolte, das bei seinen Sorgen aufzusuchen und in dem, was not tut, zu beraten Die vornehmste Aufgabe unserer Kirche ist. Wie die Stolzenburger im Jahre 1394 ihrem Pfarrer, der einen für die Kirche nachteiligen Vertrag geschlossen, vorhielten: „Ehrwürdiger Here Pfarrer, euer eigen Gut und

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