Kirchliche Blätter, 1912 (Jahrgang 4, nr. 1-52)

1912-01-06 / nr. 1

Besitztum könnt ihr nach eurem Belieben geben, wem ihr wollt; denn das ist euer. Aber die Güter der Kirche des 6. Bartholomäus in Stolzenburg müßt ihr mit uns mehren und nicht mindern, da wir auf seine Weise dulden wollen, daß unserer Kirche Gut verschleudert werde,“ so fordert unsere ganze Bolksgemeinde die Kirche auf, das Volksgut mehren zu helfen. Auch die evang. Kirche in Deutschland dient ja dem deutschen Volke und doch — es ist, als ob wir den Unterschied spürten — wir hier werden noch­ ganz anders in den unmittelbaren Dienst unseres Bolkes gezwungen. Es ist eine ergreifende Szene im zweiten Buch der Könige, wenn der Prophet Elija der Sunamitin seine Hilfe anbietet und sie weist ihn zurück mit den Worten: „Ich wohne unter meinem Bolfe,“ d. h. ich bedarf deiner düriprache nicht, ich habe alles an meinem Volke. Mir ist, als ob unsere Kirche gegenüber mancher feindlichen und freundlichen Zumutung von außen spre­chen könnte: „Ich wohne unter meinem Wolfe,“ laßt mich in Frieden, ich habe alles an meinem Volke. Auch­ kann ich mir nicht denken, daß ein sächsischer Geist­­licher Hinauszöge in die weite Welt unter fremde Völker als Missionar. Es hängt nicht nur mit unserer geringern Untern­ehmungsluft zusammen, sondern vor allem auch damit, daß gerade unsere Kirche ganz eingesponnen ist in unser Bolt. Wer einmal unserer Kirche verschrieben ist, fühlt sich nicht wohl anderswo, nicht einmal im deutschen Reich: „So wohne unter meinem Volke.“ Die doppelte Anrede „Liebe Volks- und Glaubensgenossen“ hat in unserem Bolt ihre Berechtigung wie sonst nirgends. Unsere Kirche wird auch in ihren intimsten Einrichtungen stets von den Bedürfnissen unseres Volkes beeinflußt sein, und umgekehrt hat sie eine erhöhte Verantwortung gegenüber den Lebensbedin­­gungen unnseres Volkes, das sie mit allen seinen zeitlichen Bedürfnissen in Pflege genommen hat. Ich sehe die Sache so an: unsere Kirche stellt unser Volk gleichsam aus der Zeit hinein in die Ewigkeit. Wenigstens grundmäßlich verleiht sie unterm Bolt ewige Dauer. Sie ist die Zusammenfassung unseres Wolfslebens unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit. Was unser Vol dauernd erhalten kann, das hat ihm die Kirche zu leisten. Eine Riesenverantwor­­tung legt sie dadurch auf ihre Schultern. Wenn eine Sache von völkischem Standpunkt als gut und näglich erkannt ist, so muß sich unsere Kirche als ihre erste verantwortliche Hüterin und Beichüßerin fühlen, wenns nicht angeht durch unmittelbares Ein­­greifen, so doc mindestens durch das eigene gute Beispiel. Klar ausgedrückt: wenn z. B. der Boden- Schuß als ein Gebot unserer Lebenserhaltung feststeht, so darf nicht der Pfarrer in Person oder seine Kirchengemeinde gegen dieses Gebot sündigen und den nötigen Schu außeracht laffen, vielleicht selber gedankenlos Grund und Boden preisgeben, so daß sich die eigenen Kirchenfinder Höhnisch Darauf berufen können. Wenn der Kampf gegen den Alkohol als ein notwendiges Mittel zur Vollegefundung gepredigt wird, so darf nicht die Kirchengemeinde in ihren maßgebenden Personen und Einrichtungen in ober­­flächlicher Weise gerade diesem Uebel Vorschub teisten, auch nicht doch einfaches Augenschließen, was ja immer als Zustimmung ausgelegt wird. So ließe sich eine ganze Reihe von Dingen des praktischen Lebens anführen, wo unsere Ricche, wenn nit zur Lührerin, so doch zur tätigen Mithelferin berufen ist. Sie muß in allen Dingen das Gewissen des sächsischen Volkes sein. Es ist das Zeichen höchster Gesundheit, wenn das Volk fragt, was sagt die Kirche dazu, und wenn die Kirche nur das sagt und tut, was sich vor dem höchsten sittlichen Maßstab rechtfertigen (äht. Wir verlangen von jedem Volksgenossen Ver­­ständnis für die Bewahrung unserer Volksgüter, aber im Schoße unserer Kirche sollen sie am sorgfältigsten geborgen sein. So komme ich zum zweiten Sache: Die Eigenart unserer evang. Landes­kirche als einer Schöpfung des fächsifhen Geistes zwingt alle ihre Einrichtungen und Angestellten in den unmittelbaren Dienst des jächrlichen Volkes. 3. Sst sein Zwiespalt zwischen Kirche und Soltg­­tum denkbar? Könnten sie si nicht einmal ins Gehege kommen? Kann man ihren Wirkungskreis abgrenzen? Nun wohl, die Kirche beansprucht kraft ihres ursprünglichen Berufes den unbedingten Ein­­fluß in religiöser und sittlicher Hinsicht. Sie muß immer wieder den Grund legen, damit es troß redlichster Wolfsarbeit nicht heiße: „Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach, es wanzt der Grund, auf dem wir bauten.” Ein Volkshaus ist ein lebendiges Ding und nicht ein für allemal fertig; ganz abgesehen von den notwendigen Ausbesserungen ist es in beständigem Aufbau und Ausbau begriffen. Die Arbeit daran ruht nie. In unserer Volfs­­organisation gibt es allerlei Körperschaften und Ein­­richtungen, die im Innern des­­ Volkshauses bauen, vielleicht an der äußern Ausschmüdung oder gar schon an den Zinnen, wir künnen solche Arbeit nicht entbehren, aber unsere Kirche ist immer an den Grundfesten beschäftigt, sie darf sich von dieser Arbeit nicht auf nebensächliche Gebiete verladen Lassen, aber diese Arbeit beansprucht sie auch vol für sich und muß ihr au voll genügen. Diese immer erneute Grundlegung ist der Dienst, dem sie unserm Bolte leisten muß. Nun kann es nicht ausbleiben, daß unsere Kirche, vor allem in ihren Vertretern, fortwährend ins Ge­­triebe des täglichen Lebens h­ineingezogen und für allerlei weltliche Arbeit in Anspruch genommen wird. Wo sie si dazu hergibt, darf er nie ohne religiöse Beeinflussung und ohne Stärkung der sittlichen Kräfte geschehen, sie darf ihren eigenen Boden nie verlassen. Sie darf sich nie hinabziehen haffen, muß immer selber zu sich Hinaufziehen. Wenn man sagt, daß in unsern eigenartigen Verhältnissen dur­ unsere Volkssliche das ganze Leben verschriftlicht sei, die Kirche freilich dafür starf verunweltlicht, so wollen wir hoffen, daß man mit immer größerem Recht mehr

Next