Kirchliche Blätter, 1918 (Jahrgang 10, nr. 1-52)

1918-01-05 / nr. 1

­ hat der Priester in der Hand.So ist er der Bes­herrscher seiner Gemeinde,nicht nur in religiösen und sittlichen Dingen, in allen Fragen des Gemeinde­­ebens­­. Da ist nichts, was ihm nicht anginge, nichts, worin er seinen Einfluß durchzufegen unterlassen dürfte. Je nach der Eigenart des Priesters bekommt­­ die Gemeinde ihre Richtung, auch in gesellschaftlicher, in wissenschaftlicher, in politischer Beziehung. Stomm­­fein bedeutet, dem Pfarrer folgen. Auch selbständigere Geister, die Aufgeklärten, die Freisinnigen, die Fort­schrittler können si, wie die Erfahrung bezeugt, dem Bannkreis der Kirche und ihres Pfarrers auf die Dauer nicht entziehen. Sie müssen zugeben, daß es gar bequem ist, sich von der Kirche leiten zu lassen, ja daß es für die Masse des Wolfes ein hohes Gut bedeutet, in den Priestern ihre zuverlässigen Führer zu wissen. Auch unser einer erhält bei längerem Auf­­enthalt et­wa in Tirol, in der Steiermark, im Salz­kammergut den Einbruck: hier ist kraftvolle, nach­baren Zielen geordnete Führung, hinter den Pfaffen eine blindfolgende, gedankenlose­ Masse. Aeußerlic und oberflächlich angesehen nimmt sich die feste Zu­­sammenfassung des Volkes ih­rer schön aus, ebenso schön, wie die allerwärts auf den Höhen aufragenden Kapellen und Kirchen, die über das herrlich schöne Band den Hand) gottergriffener Poesie ausgießen. — Aber evangelich ist diese Führung nit. Luther hat dem Christenmenschen die Freiheit wieder erobert: si und sein Gewissen mit Gott und dem Heiland unmittelbar zu verbinden. eder Christ sein eigener B­riefter ; jeder selbst verantwortlich für sein Seelen­­heil. Das ist u­sre Freiheit, daß wir das Gute nicht zwangmäßig tun sollen, sondern freiwillig tun wollen. So erhält die evangelische Seelsorge und damit das evangelische Pfarramt von vornherein einen anderen Inhalt. Nicht mehr ist der Pfarrberuf der über allen anderen Berufen stehende Beruf und der Pfarrer der über allen Seelen stehende Beherrscher; vielmehr: Gottes heiliges Wort ist Herrscher und der Pfarrberuf ein Beruf neben anderen Berufen. Honterus in der „Kirchenordnung aller Gottes Wort rein und lauter an die Seelen heranzubringen, sei es in Predigt und Gebet oder im Handeln des Sakra­­ments, in die Hauptaufgabe des evangelischen Geist­­lichen. Er­st Lehrer und Verkündiger des göttlichen Wortes, deutschen in Lybembürgen“ schreibt: „Nachdem das fürnehmst jind christliches glaubens an der leer ge­­legen ist, die leer aber fol i­en grund haben aus dem wort Gottes, solen sich alle gemeinen befleiffen, das sie am ersten Gott um seine gnad anruffen. Darnach mit reiffem rat und gutem verstand zu G Seelsorgern eintrecht iflich erwesen, die an irem leben und verstand mit ehren befannt sein.“ Und immer wieder fordert Honterus, daß die Seelsorger in Lehre und Leben entsprechen, daß sie „den tert der heiligen Lection ungefelicht und flerlic dem volf auflegen“ und „mit irem Leben und werden andern leuten ein exrempel zu chriftlicher tugent geben,“ ja nicht „sich auf ihr angeboren geschwäß verlaffen, unbelesen und unbe­­dat zu predigen aufftreten und die zeit mit leicht­­fertigen Fabeln zubringen, auff daß sie allein der gewohnheit genug tun, und machen ihnen viel zu schaffen, aber daneben gar nichts ausrichten.” — Die Tehre, das angelegte Gotteswort ist so ehr. Kern der geistlichen Arbeit, daß der Pfarrer, al Träger des Pfarramtes, sogar von allen kirchlichen Hand­­lungen entlastet, ja geiliffentlich von ihnen fern­ge­­halten wird, damit er ja mir si in die heilige Schrift recht eindringlich vertiefen und der Predigt sich ganz widmen künne. Allerdings wurde während des 16. und 17. Jahrhunderts täglich, an manchen Tagen sogar mehreremal gepredigt und auch der Katechismus ausgelegt. Die Diaconen aber, bei uns in den Städten Priesterherren, auf dem Lande Priester genannt, versahen die sogenannten Casualien. Der Pfarrer im Zeitalter der protestantischen O­rthodoxie ist aber nicht nur Volkslehrer; er ist auch Volkserzieher. Wohl ist es wahr, daß die Religion den Menschen von Innen heraus bessern muß, und daß diese innerlich wirksame Erziehung der Gemeinde gleich mit der Reformation einjehte, — aber das Zeitalter des Medergangs hatte doch noch äußere Erziehungsmittel, namentlich züchtigendes Strafverfahren nötig. Darum find unsre Pfarrer bis in die neuere Zeit herein auch Gerichtsherren. Die geistliche Gerichtsbarkeit hatte einen ausgebrei­­teten Rechtpfreis mit Bann und Strafe. Allmählig, erst mit der aufsteigenden sittlichen Kraft der Ge­­meinde, schrumpft dieser Rechtstress ein. Das 19. Jahrhundert erst macht die geistlichen Gerichte Tangsam verschwinden. Noch schimmert über unsern Vorgängern im Amt vor 40-50 Jahren der verglimmende Ab­­glanz auch weltlicher Gewalt ; das spanische Rohr mit dem G Silberm­aul in ihrer Rechten ist nicht bloße Bier oder angenehme Stüße des Alters ; noch erinnert es: „alles Regiment ist vom Stod ausgegangen“. Doch ist gewiß festzustellen, daß Stod und Strafe nicht Hauptmittel, sondern nur selten notwendiges Hilfsmittel der geistlichen Zucht waren. Die Glie­­derung der Gemeinde in Zünfte und Nachbarschaften, in Bruder- und Schwesterschaften war auf das Evan­­gelium gelagert und mit der Kirche eng verbunden. Die Versammlungen der Verbände wurden mit Gebet und Gottes Wort begleitet ; jeder Verband war zum Besuch des Gottesdienstes verhalten. Heute noch er­­kennen wir in der von alter her erhaltenen Anord­­nung der Gestühle, z. B. in unseren Kronstädter Kirchen das Bild der Zünfte und Bruderschaften. So war der Pfarrer des Reformationszeitalters bis zum Eintritt des Pietismus dem Wesen und Be­­griffe nach Theologe. Gottes Wort sollte er gründlich rennen und aus der Tiefe auslegen. Die Geschichte auch­ unsrer Kapitel verzeichnet in jenen Zeiten öfters Streit und Streitigkeit um der reinen Lehre willen ; und in der Reihe auch unsrer Pfarrer gab es streitsüchtige Bänker. Dennoch sind diese Theologen keine Welt­­verächter. Die Art ihrer Besoldung, die Bewirt­­schaftung ihrer Tuschländer und die Verwertung des Hattertzehntens nötigt sie und ihre Familien zum Betrieb der Landwirtschaft und der Viehhaltung, und der reichliche Ertrag seiner Wirtschaft verführt Manchen von ihnen zu einem durchaus weltlichen Leben nach |

Next