Neue Zeitung, 1967 (11. évfolyam, 1-52. szám)

1967-01-06 / 1. szám

Budapest, 6. Januar 1967 Zwei Wochen in der Tschechoslowakei D er Schleifstein seufzt und kreischt. Wasser rinnt in ei­nem dünnen Faden darüber, und schmutzige Tropfen fallen in den Handteller. Behutsam, doch mit sicherer Hand dreht der Ätzer die Vase und den Schleifstein, der scharfe Narben in die glatte Flä­che ritzt. Bald blühen herrliche Rosen am Glas. Der Gravierer hat dem toten Glas Leben eingehauoht. „Ein einziger Fehlgriff und man kann das Glas zu den Scherben werfen” — klärt mich Gravierer Rudolf Schwammberger auf. Glas ist in Böhmen seit jeher zu Hause. Und unsere technisch und mit Kunststoffen überflutete Welt sehnt sich heute mehr denn je nach ehrlicher, präziser Handar­beit, die durch die perfekteste Ma­schine nicht ersetzt werden kann. Der Meister der zarten Pracht, Konstantin Hable, am Schleifstein Fehlgriffe sind bei ihm aber so gut wie ausgeschlossen. Handge­schicklichkeit, Sinn für schöne Formen und Hang zum Beruf sind ihm angeboren. Sein Vater, sein Grossvater, sein Urgrossvater und auch sein Ururgrossvater waren Glasbläser. Er selber ist in der Glasfabrik aufgewachsen und sei­ne beiden Söhne Norbert und Ru­dolf wandeln in Vaters Spuren. Die Schwammberger-Dynastie stammt aus dem Böhmerwald, wo es seit eh und je Glashütten gab. Seit 110 Jahren wird in Karlovy Vary Glas hergestellt. Die 350 Ar­beiter der heutigen Glasfabrik produzieren ausschliesslich für den Export. Weltgrössen aller Art sind ihre Abnehmer. König Eduard VII. von England, Papst Pius XI. ga­ben ihnen genauso Aufträge wie der Schah von Persien, der Kaiser Haile Selassie von Äthiopien und der Filmstar Sophia Loren. Denn das Kristallglas von Kar­lovy Vary — nach dem Begründer der Fabrik auch Moser-Glas ge­nannt — ist nicht weniger be­rühmt als die Genesung spenden­den Heilquellen, das Porzellan, die Oblaten von Karlovy Vary und jüngstens die Internationalen Filmfestspiele, die alljährlich in der Erholungsstadt von Weltruf abgehalten werden. Für den ersten Weltraumfahrer Juri Gagarin fertigte die Beleg­schaft eine Geschenkvase mit gol­dener Verzierung an, die den Kos­mos symbolisiert. Mit ihren Rie­senkelchen trug die Fabrik auf der Brüsseler Weltausstelung 1958 den Grosspreis davon. „Saubere Handarbeit, eigene Formen — darauf beruht der gute Ruf des Kunstglases von Karlovy Vary” — berichtet der junge Werkmeister Konstantin Hable. „Nicht selten kommt es vor, dass wir an einem Stück zwei Monate oder noch länger arbeiten. Aber dann ist es sicher auch ein Stück, dass sich auch unter den präch­tigsten Exemplaren dieser Kunst sehen lässt.” Konstantin kam mit 13 Jahren in die Fabrik, wurde von Vater und Grossvater hier unterwiesen und übernahm von Onkel Con­ V. \ stantin die Leitung der Werkstatt. Er steht im Ruf eines hervorra­genden Fachmanns und zeichnet mit Vorliebe selber neue Formen und Muster. Er verdient monatlich 2150, sei­ne Frau, die in einem Kurbad in Karlovy Vary arbeitet, 1000 Kro­nen. Die beiden Söhne Konstantin und Radimir sind Lehrlinge in der Fabrik und „bringen auch schon was nach Hause”. Die Tochter Ve­ra geht noch" in die Grundschule. Vor vier Jahren erhielt die Fa­milie vom Betrieb eine neue Drei­zimmerwohnung zugewiesen. „Sie entspricht allen unseren Ansprü­chen. Wir haben sie bereits ein­gerichtet und uns auch schon ei­nen Kühlschrank und einen Fern­sehapparat angeschafft. Jetzt spa­ren xoir auf ein Auto” — erzählt der Meister der zarten Pracht. In der Werkstatt arbeiten Deut­sche und Tschechen zusammen. Es sind alles Spezialisten ihres Be­rufes. „Wir verstehen uns recht gut, und nicht nur im sprachli­chen Sinne des Wortes. Wir stehen einander bei und treffen uns oft auch in unserer freien Zeit” — sagt der Gravierer Josef Dedii. Auf Bitte der deutschsprachi­gen Arbeiter, die die tschechische Sprache nicht vollkommen be­herrschen, liess der Betrieb Tsche­­chisch-Kurse starten. Tschechische Arbeiter wiederum lernen Deutsch. Cranz Schneider sitzt an seiner ■ Schreibmaschine. Der Berg­mann im Ruhestand hat ein Ge­dicht verfasst, das er nun ins Rei­ne tippt. Eine Kopie wird er der Prager „Volkszeitung” zuschicken, in der schon mehrere seiner Ge­dichte und Humoresken erschie­nen sind. Durch das Fenster sei­nes Arbeitszimmers bietet sich ein schöner Ausblick auf die Gruben­stadt Sokolov. Sioher hat ihn die­ses Panorama zu dem Gedicht mit der Überschrift „Friedensweih­nacht” inspiriert. Er erinnert darin an die „Schreckenszeiten”, als die Stadt im Trauerkleid dalag, als „Blut und Tränen flössen” und ruft dann die Menschen auf, alles zu tun, um die Gefahr eines neuen Weltbrandes abzuwenden, damit die Lichter in der Stadt nie wie­der erlöschen. (Sokolov ist eines der fünf grössten Braunkohlenre­viere der CSSR. Zur Zeit wird hier die zweitgrösste Investition des Landes vorgenommen: Ausser der bereits produzierenden Brikett­fabrik sollen hier ein Gas- und ein Elektrizitätswerk und voraussicht­lich auch ein Chemiewerk errich­tet werden. Die Grube beschäftigt 14 000 Mann, darunter viele deutschsprachige Kumpel.) Der 65jährige Franz Schneider ist einer der deutsch schreibenden Arbeiter, darüber hinaus Volks­beisitzer bei einem Gericht, Mit­glied des Stadt- und Bezirks-Na­tionalausschusses (Räte) und wid­met sich seit vielen Jahren der Kulturarbeit unter der deutsch­sprachigen Bevölkerung im Soko­lover Kreis, in dem etwa 24 000 Deutsche leben. „Onkel Seppi hat als Erzähler und Theaterspieler schon viele Lorbeeren geerntet” — weiss mein Begleiter Josef Pötzl, der unter den Deutschen Gewerkschaftsar­beit leistet und Schneider-Vetter gut kennt, zu berichten. Bekannt in der ganzen Umge­bung ist die Nejdecker Zither­spielgruppe, die abendfüllende Programme vorträgt. Aber auch in anderen Kreisen der Republik betätigen sich — be­sonders in den Wintermonaten — mit Erfolg deutsche Ensembles: So in Gablonz eine Theatergruppe, die u. a. auch Brecht-Stücke auf­führt, in Varndorf eine Estraden - gruppe, die bereite seit 10 Jahren besteht und in Liberec ein Litera­turzirkel, der vorwiegend Gedich­te von deutschen Dichtern vor­trägt, D ie Kinder der deutschen Na­tionalität haben die Möglich­keit, in der Schule Deutsch zu ler­nen. An vielen Grundschulen be­tätigen sich Deutschzirkel. Im Zu­sammenhang mit dem Deutschun­terricht bzw. mit der Schulreform in der CSSR schrieb die „Volks­zeitung”, das Organ der Deutschen Werktätigen in der CSSR, in ih­rem Leitartikel vom 2. Septem­ber 1966 u. a. folgendes: „Vielleicht gehören auch Peters Eltern zu jenen, die die dauernde Reorganisation des Schulwesens bemängeln. Sie ist aber notwendig, wollen wir die Schule den wach­senden Ansprüchen der Wissen­schaft und Technik anpassen. Ebenso wie es notwendig war, sie nach dem Jahr 1945 der neuen Ord­nung in unserem Land anzupassen und die Bildung allen zugänglich zu machen. Freilich wurde dabei anfangs auch manches vergessen, was dann erst später nachgeholt werden musste. Haben wir z. B. nicht oft genug Klagen darüber gehört, dass Kinder deutscher Eltern nicht die Möglichkeit haben, ihre Mutter­sprache, die sie zu Hause nur im Dialekt sprechen, auch in reiner Form und Schrift zu lernen? Heute sieht dies anders aus. Doch ist es verwunderlich, dass so ofi gerade Kinder deutscher Eltern die Deutschzirkel nicht besuchen. Ge­wiss weigern sie sich oft deshalb, weil es für sie mehr Arbeit bedeu­tet. Die Eltern aber sollten darauf bestehen. Ist es ihnen gleichgültig, ob ihre Kinder die Muttersprache beherrschen oder nicht, dann soll­ten sie sich wenigstens vergegen­wärtigen, was Kenntnis einer Welt­sprache, die sie ohne grosse Mühe erlernen können, bedeutet: Ver­ständigung in fremden Ländern und Lesen deutscher Bücher und Fachliteratur. Sie werden Ihr Kind gewiss nicht dieser Möglichkeiten berauben”. I n der CSSR leben etwa 140 000 * Menschen deutscher Mutter­sprache. Sie wohnen hauptsäch­lich im westlichen Grenzgebiet und sind vorwiegend Fabrikarbei­ter und Kumpel. Sie sind ihrem Prozentsatz entsprechend in den örtlichen Verwaltungsorganen und auch im Parlament vertreten. Vie­le unter ihnen bekleiden hohe Funktionen im politischen, wirt­schaftlichen und kulturellen Le­ben des Landes. Sie haben — genauso wie die anderen Nationalitäten in der Tschechoslowakei: die Ungarn, die Ukrainer und Polen — die glei­chen Rechte und Pflichten wie ihre tschechischen und slowaki­schen Mitbürger. Bergmann Franz Schneider hatte hierzu geäussert: „Wie alle Menschen in unserer Republik werden auch wir Deut­sche nach unserer Arbeit, nach ich glaube, das ist der richtige Massstab.’’ unseren Leistungen beurteilt. Und (Ende) Géza Hambuch „Wie alle Menschen in unserer Republik werden auch wir Deutsche nach unserer Arbeit, nach unseren Leistungen beurteilt.” Franz Schneider, Bergmann im Ruhestand, bekleidet mehrere Funktionen des öffentlichen Lebens, verfasst mit Erfolg Gedichte und „lustige Geschichten” und ist auch im Laienspiel zu Hause Ausser Blaskapellen betätigen sich in der Tschechoslowakei auch mehrere Kulturgruppen, die in auch von Deutschen bewohnten Orten ihre Programme aufführen. Unser Bild zeigt Mitglieder der deutschen Estradengruppe aus Varndorf „Man lebt nicht für sich allein” Ein mittelgrosser, ziemlich ha­gerer Mann kommt ins Zimmer. Er zieht den Watteanzug aus, legt die Kappe ab und setzt sich an einen Schreibtisch. Obwohl er schon seit 1954 am Schreibtisch ar­beitet, merkt man, dass ihm diese Art von Tätigkeit noch immer nicht in Fleisch und Blut überge­gangen ist. Adam Pappert, der 44- jährige Betriebsleiter der Giesse­­rei in der Ungarischen Schiffs­werft und Kranfabrik in Buda­pest, begann 1937 im Alter von 15 Jahren als Giesserlehrling die Ar­beit. Der Kossuth-Preis ** verpflichtet — Ich bin in Solymár geboren, mein Vater war Schmied im Dorf — beginnt Adam Pappert zu er­zählen. — In seiner kleinen Werk­statt schloss ich Bekanntschaft mit dem Eisen. Nach kurzer Arbeits­losigkeit im Jahre 1942 kam ich hierher in die Werft. 1951 wurde ich Werkmeister und seit 12 Jah­ren bin ich Leiter der Giesserei. 200 Menschen arbeiten hier, und wir erzeugen Gussstücke für See­schiffe. Es ist eine sehr verantwor­tungsvolle Arbeit, und mir hilft sehr viel, dass ich viele Jahre lang diesen Beruf ausübte und dass ich gerade hier arbeite. Warum? Ich kenne meine Mitarbeiter, mit de­nen ich gemeinsam angefangen habe. Wir haben eine stabile Stammgarde,, seit 10—20 Jahren arbeiten wir zusammen. Diese schwere, aber zugleich schöne Ar­beit schmiedet die Menschen zu­sammen. Die Giesser sind sich ih­rer Verantwortung bewusst, und so erleichtern sie meine Arbeit. Adam Pappert ist ein bescheide­ner Mensch. Etwas ist aus diesem kurzen Lebenslauf ausgeblieben. 1951 bekam er für seine hervorra­gende Arbeit den Kossuth-Preis. Als ich ihn daran erinnerte, sagt er nachdenklich: — Es ist schon lange her, und ich bin der Meinung, diese hohe Auszeichnung gilt nicht von vorn­herein für ein ganzes Leben. Man muss immer wieder, Tag für Tag und Jahr für Jahr, mit seiner all­täglichen Arbeit Zeugnis davon ab­­legen, dass man der Auszeichnung würdig ist. Das versuche ich zu verwirklichen. In mir selbst, Jahr für Jahr den Kossuth-Preis zu er­werben, denn er verpflichtet... Sie haben Vertrauen zu ihm Der Betriebsleiter lebt mit sei­ner Familie in Solymár. Im ver­gangenen Jahr bauten sich die Papperts ein schönes Haus, die zwei Söhne, der 23jährige Josef, der ebenfalls in der Giesserei ar­beitet, und der 20jährige Adam — er ist Koch —, packten ebenfalls tüchtig zu und trugen auch einen Teil der Baukosten. — Ich lebe sehr gern in Soly­már, obwohl die Fahrt zu meinem Arbeitsplatz anderthalb Stunden dauert — sagt mir Adam Pappert. Und er tut Viel für sein Dorf. Er ist nämlich Mitglied des Komi­­tatsrates Pest und Vorsitzender der Ständigen Kommission für Fi­nanzfragen beim Komitatsrat. — Vierteljährlich halte ich Sprechstunden in den drei Dör­fern, die zu meinem Arbeitsfeld gehören, in Solymár, Üröm und Pilisborosjenö. Im allgemeinen werden da gemeinnützliche Fra­gen besprochen. Aber die Leute suchen mich oft auch in Privat­angelegenheiten zu Hause auf. Geht Adam Pappert sonntags mal in die Gaststätte „Sólyom” in Solymár, bespricht er sicher mit seinen Tischgenossen auch Pro­bleme des Dorfes. Und es bereitet ihm immer Freude, etwas Wichti­ges für seine Mitmenschen, für sein Heimatdorf zu erledigen. Das drittemal hat man ihn gewählt. Die Leute haben Ver­trauen zu ihm. — Auch Vertrauen verpflichtet — sagt er.— Entweder verpflich­tet man sich, den Sachen wirk­lich nachzugehen, oder man nimmt das Ehrenamt gar nicht erst an. Man lebt nicht für sich allein, unbemerkt tut man immer etivas auch für andere, und wer bewusst, mit Absicht für eine Ge­meinschaft arbeiten will, der fin­det auch immer Zeit dazu. Als Anerkennung seiner Tätig­keit als Ratsmitglied wurde Adam Pappert 1964 mit dem Arbeitsver­dienstorden in Silber ausgezeich­net. MA 3

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