Neue Zeitung, 1972 (16. évfolyam, 1-52. szám)

1972-01-07 / 1. szám

ps war einmal ein alter König, der Ca Baikal, und er hatte zahlreiche wunderschöne Töchter — der Zahl nach 337, die Flüsse, die alle in ihn münde­ten. Unter diesen Töchtern war Angara die schönste, und der König hatte sie am liebsten. Die sanfte Angara verlieb­te sich aber eines Tages in den brau­senden Jenissei, machte also kehrt und ifiündete im Jenissei. Der alte Baikal war ausser sich, versuchte seine Toch­ter zurückzuhalten, als er aber sah, dass es ihm nicht gelang, warf er einen Rie­senstein nach seiner Tochter. Dieser ist heute noch an jener Stelle zu sehen, wo die Angara als einziger Fluss den Bai­kal verlässt und wird „Schamanski Ka­men” (Schamanstein) genannt. Diese Le­gende über den Schamanstein erzählte mir meine Begleiterin auf dem Wege zum Baikalsee. Es ist kein Wunder, dass dieser Rie­sensee — der seiner Wasserfläche nach der siebte, der Wassermenge nach aber der erste auf der Welt ist, immer wie­der die Phantasie der an seinen Ufern wohnenden Völker erregte. Die Urein­wohner — die Tungusen — nannten ihn „heiliges Meer” und auch das berühmte russische Volkslied spricht vom „heili­gen Baikal”. Und dies wird gleich ver­ständlich, wenn man den Baikal er­blickt. Unser Wagen saust von Irkutsk aus am Ufer der Angara entlang, mal durch hübsche Lärchen- und Fichten­wälder, die hie und da mit den weissen Birken geschmückt sind, bergauf-berg­­ab, mal durch kleine Ortschaften voll mit hübschen Holzhäusern. Und bald weitet sich der Fluss aus, und vor un­seren Augen liegt im strahlenden Son­nenschein das phantastisch-blaue Was­ser des Sees, am anderen Ufer — 41 km entfernt — ragen schneebedeckte Gipfel, zwei bis dreitausend Meter hoch, gen Himmel. Den ganzen See zu sehen, brauchte man natürlich Tage oder Wochen, denn der Baikalsee ist 630 Kilometer lang. Ein bisschen näher kann man aber die Geheimnisse des Sees kennenlernen, wenn man am Ufer, dort, wo die An­gara abfliesst, das Limnologische Insti-tut in der kleinen Siedlung Listwe­­nitschnoe besucht, ln diesem Institut be­schäftigt man sich mit den Problemen aller natürlichen und künstlichen Seen Sibiriens. Und es ist kein Zufall, dass das Hauptzentrum der Limnologie hier am Baikalsee entstand. Er ist zwar der älteste See der Welt — nach manchen Schätzungen etwa 10 Millionen Jahre alt —, ist aber noch immer nicht „in Pension”, immer wieder entstehen im See neue Inseln, andere wieder ver­schwinden. Zudem verfügt er über eine ganz einmalige Fauna und Flora. Gera­de deshalb zog der berühmte Wissen­schaftler G. J. Wereschtschagin hierher, um „Baikalologie” zu betreiben. Das Limnologische Institut selbst wurde 1961 gegründet und eine spezielle Abteilung beschäftigt sich mit den zahlreichen in­teressanten Erscheinungen des Sees. Auch dem Laien vermittelt das Mu­seum des Instituts ein lehrreiches, span­nendes Bild über den See. Hier kann man Tier und Fischarten sowie Pflan­zensorten bewundern, die nur in dem 1741 Meter tiefen See heimisch sind. Etwa 80 Prozent der 560 Pflanzensor­ten und der 1200 Tierarten des Baikal­sees sind nämlich hier aufzufinden, was schon deshalb interessant ist, da diese Tiere und Pflanzen, die in prähistori­schen Zeiten lebten, langsam ausgestor­ben sind. Auch die hiesigen Fischsorten, wie der Baikalomul, der Zander oder der Stör sind überall begehrt und be­liebt. All diese Fische und natürlich noch eine Menge anderer „Spezialitä­ten" der Baikalflora und -fauna sind hier im Museum zu besichtigen. Es ist auch kein Wunder, dass der Baikal oft in der Presse Thema Nr. 1. ist. Gerade während meines Aufent­haltes in der Sowjetunion brachte die bekannte „Literaturnaja Gaseta” in ei­ner ihrer Nummern drei grosse Inter­views mit zuständigen Ministern über Probleme des Baikalsees — wie den Schutz des Sees gegen industrielle Ver­schmutzung und gegen die eventuelle übertriebene Ausbeutung seiner phan­tastischen Schätze. Daher wandte ich mich mit dieser Frage an den stellvertretenden Direk­tor für wissenschaftliche Fragen im Limnologischen Institut, Dr. Boris F. Loot: — Unsere Wissenschaftler betreiben hier komplexe Forschungsarbeit, denn nur auf solche Weise können wir Er­gebnisse erzielen. Diese Forschungen beziehen sich auf sämtliche Erscheinun­gen des Baikalsees, angefangen von der Bodenlehre über Wasserbiologie bis zur Erforschung des Klimas. Wir sind be­strebt, die reichen Naturschätze des Sees real, sinnvoll auszunutzen, in den Dienst des Menschen zu stellen. Dazu gehört natürlich auch der Schutz des Sees vor unerwünschten Störungen. Ich muss aber sagen, dass der Baikal der See mit dem klarsten Wasser war und bleibt. Es gibt zwar viele Industriebe­triebe am und um den Baikal, die Be­triebe müssen aber Reiningungseinrich­­tungen installieren. Ich würde also sa­gen, der Schutz des Baikals hängt von unserer eigenen Tätigkeit ab. Mit diesem — leider ein bisschen kur­zen — Besuch am Baikalsee ging auch mein Aufenthalt in Sibirien zu Ende. Reicher an Erinnerungen an nette, freundliche Menschen in Nowosibirsk, Irkutsk, am Baikalsee und um viele in­teressante Erlebnisse reicher sass ich wieder in einer Iljuschin-Maschine, die von Irkutsk nach Moskau flog. Noch einmal konnte ich von oben her die weite Landschaft bewundern. Und bald, nach einer kurzen Zwischenlandung in der Stadt Omsk, musste ich von Sibi­rien Abschied nehmen. asü TO® WM Unsere Leser haben wohl reichliche Informationen über die riesige Haupt­stadt der Sowjetunion, Moskau. Auch in den Spalten der NZ konnten sie Be­richte unserer Mitarbeiter über Moskau lesen. Daher möchte ich auf einen „Bae­­decker” durch die Stadt verzichten und nur einige Eindrücke, einige Momente meines Moskau-Aufenthaltes aufs Pa­pier bringen. Von den riesigen Ausmassen dieser Achtmillionen-Stadt bekommt der Besu­cher schon auf den Strassen, auf den phantastisch breiten Prospekten und Al­leen, wo auf sechs oder acht Spuren die Autos dahinsausen, einen Eindruck oder wenn er die hochmodernen Hochhäuser in der neuen Geschäftsstrasse, dem Kalinin-Prospekt, bewundert. Aber alles wird auf einmal winzig, wie in einem Zwergenreich, wenn man mit dem Ex­presslift in 90 Sekunden in den „Sieben­ten Himmel” fährt. Es handelt sich da­bei um ein Restaurant in der Höhe von 330 Metern im superschlanken Fernseh­turm von Ostankino (der Turm selbst ist insgesamt 533 Meter hoch), von wo aus die ganze Stadt — ein gewaltiger Anblick! — zu sehen ist. Und das Re­staurant dreht sich langsam um seine Achse, so dass man vom Tisch aus, bei feinen russischen Spezialitäten, ganz Moskau bewundern kann. Es ist also selbstverständlich, dass da immer viele Menschen Schlange stehen, um ins Re­staurant zu kommen, so dass man die Karten — die für einen zweistündigen Aufenthalt im Restaurant inklusive Es­sen berechtigen — am besten im voraus bestellt. Vom Aussichtsbalkon aus er­blickt man gleich in der Nähe des schlanken Turmes ein weites Gelände mit lauter wunderlichen Gebäuden — die Anlagen und Pavillons der ständi­gen Allunionsausstellung, auf der sämt­liche Sowjetrepubliken vertreten sind. Neben diesem Gelände liegt ein wun­derschönes Schloss in einem riesengro­ssen grünen Park, das Schloss der ehe­maligen Grafenfamilie Scheremetew, das heute als Museum wunderbare Pro­dukte heimischer und ausländischer Kunstgewerbler beherbergt. Und eben­falls ganz in der Nähe des Turmes steht das grösste Fernsehzentrum Europas, das hypermoderne elfstöckige Gebäude des Sowjetischen Fernsehens. Dieses gigan­tische Zentrum ist aber auch unbedingt nötig, denn von hier aus werden fünf Parallelprogramme ausgestrahlt und mit Hilfe von Kabeln bzw. Satelliten in weite Gebiete der Union übertragen. Moskau kann man wohl auch die Stadt der Museen nennen. Über 150 ver­schiedene Museen und Ausstellungen bieten ihre reichen Sammlungen zum Ansehen. Unter diesen Ausstellungen ist aber die „Oruscheinaja Palata", die Schatz­kammer des Kreml fast alleinstehend, die schon im 14. Jahrhundert von den Moskauer Fürsten gegründet wurde. Gleich am Eingang zum Kreml steht das Gebäude, das in neun Ausstellungs­sälen Schätze von unermesslichem Wer­te beherbergt. Wunderbar geschmückte Gewehre, von in- und ausländischen Meistern angefertigt oder in den zahlreichen Er­oberungskriegen der Zaren erbeutet, verschiedene russische und westliche Harnische, glänzende orientalische De­gen sind hier zu sehen. Dann irrt der Besucher zwischen Vitrinen herum, die vollgestopft sind mit Gold- und Silber­gegenständen, Schmucksachen und Opferkelchen. Darunter befindet sich ein besonders wertvoller Kelch, der auf Befehl des Gründers von Moskau, des Fürsten Jurij Dolgoruki, hergestellt wurde. Eigentlich ist in diesem phan­tastischen Museum die ganze Kunstge­werbeindustrie vergangener Jahrhun­derte — angefangen vom 12. Jahrhun­dert — dem Besucher zur Schau ge­stellt. Die Thronsessel, die Gebrauchs­gegenstände, die reich geschmückten Kutschen und Schlitten der Zaren, gold­­oder silberbezogen und mit zahlreichen Edelsteinen bedeckt, wunderbare Kro­nen, darunter die berühmte „Mono­­mach”, die Krönungskrone der Zaren, sind zu bewundern. Ein Besuch in die­sem Museum ist wohl ein einmaliges Er­lebnis. Wer sich für altrussische Kunst, die Ikonenmalerei, interessiert, muss unbe­dingt das Rubljowmuseum im Andro­­nikowkloster in Moskau besichtigen. An­drei Rubljow, der Vater der russischen Ikonenkunst, lebte nämlich in diesem ehemaligen Kloster als Mönch und ist 1430 gestorben. In diesem Museum sind seine bedeutendsten Werke im Original oder als Kopie zu bewundern. Tiefe Menschlichkeit strahlen seine Bilder, be­sonders die Darstellungen des leiden­den Christus, aus. Sein wohl berühm­testes Bild, „Die Dreifaltigkeit”, galt Jahrhunderte als Vorbild für die russi­sche kirchliche Kunst. In die Geschichte kirchlicher und weltlicher Baukunst gewährt das Mu­seum von Kolomenskoe am Rande von Moskau einen Einblick. Da sind die Re­ste eines ehemaligen Zarenschlosses aus dem 16.—17. Jahrhundert zu sehen. In einem uralten, schönen Park, wo auch mehrere 800 Jahre alte, ausgedorrte Weidenbäume Gedanken an verflossene Zeiten wachrufen, liegen die erhalte­nen Gebäude, die die Wosnesenije-Kir­­che — die die charakteristischen Moti­ve altrussischer Holzkirchen, in Stein geschnitten, verewigt, oder das einfa­che Holzhäuschen — ehemals beliebter Sommeraufenthaltsort Peters des Gro­ssen, der es oft vorzog, aus dem pompö­sen Hof leben in einfache Verhältnisse zu fliehen. Aber auch die Umgebung der Haupt­stadt von Moskau weist zahlreiche schö­ne Ausflugsorte auf. So liegt ein belieb­tes Ziel in- und ausländischer Touri­sten, die Stadt Sagorsk, etwa 70 km von Moskau entfernt. Die schön gepflegte, breite Autostrasse führt durch zahlrei­che nette Dörfer, angenehme, ewiggrü­ne Wälder, wo kleine Lichtungen, Wald­wiesen zum Bleiben locken. Kleine, sehr modern gebaute, farbige „Dat­schas”, Weekendhäuschen, sieht man hier, als Beweis dafür, dass auch die Moskauer gern am Wochenende ins Grüne fahren. Schon von weitem erblickt man die unzähligen Türme eines der berühmte­sten Klöster des alten Russlands, das „der Heiligen Dreifaltigkeit” geweihte Troiza-Sergej-Kloster — im 14. Jahr­hundert gegründet. Es war früher das wichtigste politische und religiöse Zen­trum des Moskauer Staates. Heute ist es das wichtigste Zentrum der russischen orthodoxen Kirche. Man kann sich nicht genügend ergötzen an der wun­derbaren Architektur der vielen Kir­chen im Kloster. Sagorsk ist zugleich Zentrum russi­scher Volkskunst. Im Museum des Klo­sters kann man eine sehr reichhaltige Volkskunstsausstellung bewundern. Schöne, interessante Produkte der Holz­schnitzerei und Lackmalerei seit dem 17. Jh. bis zur Gegenwart sind hier zu sehen: wie z. B. Vogelhäuschen, dar­gestellt als Männer- und Frauengestal­ten, ein grosser Bär, der sich als Bienen­korb entpuppt. Und die beliebten, welt­bekannten „Matrjoschkas". Zahlreiche Einrichtungen, Werkzeuge, Gebrauchs­gegenstände, darunter solche Besonder­heiten wie „Swetez”, eine Kerze aus feinem Holz, die damals zum Beleuch­ten der Bauernhäuser diente, oder „Sunduk”, die schön gezierte Truhe, die aber nicht mit Tulpen wie in Ungarn, sondern meist mit Tiergestalten ge­schmückt ist. Eine Menge von Volkstrachten — für Männer wie für Frauen — ist auch in der Ausstellung zu sehen. Die rote Far­be dominiert am „Poniewa” — einer Art von Rock, der gleich unterhalb des Busens mit Gürtel befestigt war und der Gürtel selbst ist reich mit Münzen, mit funkelnden Steinchen geschmückt. Man kann gut verfolgen, wie diese schönen, phantasievollen Traditionen der russischen Volkskunst auch in der gegenwärtigen Kunstgewerbeindustrie weiterleben, in deren Produkten sich Althergebrachtes und Modernes sehr treffend mischen. Diese modernen Produkte der Volks­kunstindustrie: Vasen, Teller, Tücher, kleine Holzfiguren, „Matrjoschkas”, werden nicht nur von den ausländi­schen Touristen gern gekauft, sondern auch von den Einheimischen zum Deko­rieren ihrer modernen Wohnungen. Und moderne Wohnungen, bzw. Wohnviertel entstehen in der sowjetischen Haupt­stadt auf Schritt und Tritt, was kein Wunder ist, wenn man an die phanta­stisch schwungvolle Entwicklung Mos­kaus denkt. Die Stadt breitet sich da­durch immer mehr aus, aber — wie ich dies bei meinen netten Kollegen von der Redaktion der Zeitung „Neues Le­ben" feststellen konnte, die auch so ziemlich am Stadtrand in Neubauten wohnen — das bedeutet für die Mos­kauer kein Problem. Vielleicht im Ge­genteil. Denn das äusserst günstig aus­gebaute Metronetz verbindet sämtliche wichtige Stadtteile mit dem Zentrum sehr schnell. So lebt man sogar fast im Grünen, in der Freizeit kann man in den schön angelegten Parks spazieren gehen oder aber auch grössere Ausflü­ge in die naheliegenden Wälder unter­nehmen, winters sogar mit Skiern. Die Wohnungen in diesen neuen Wohnvierteln sind natürlich mit vollem Komfort ausgestattet, nett bunt, mo­dern eingerichtet. Ich konnte mich da­von auch im gemütlichen Heim eines Kollegen überzeugen, bei dem in den letzten Tagen meines Moskauer Aufent­haltes eine kleine Gesellschaft zusam­menkam, um bei feinen Kaltgerichten, „Sakuskis” und selbstverständlich bei Wodka „die Dinge der Welt” zu bespre­chen. Doch zwei Wochen sind leider nun einmal nur zwei Wochen. So musste ich auch von meinen neugewonnenen Mos­kauer Freunden und von Moskau selbst Abschied nehmen. Und wenn ich mich jetzt noch einmal für die grossartige Gastfreundschaft der Redaktion unse­rer Schwesternzeitung „Neues Leben” bedanke, so sollen es keinesfalls leere Worte sein. (Ende) Viele Plätze laden in Moskau zum Erholen ein Souvenir aus Sagorsk Text und Fotos : János Schuth Altes und Moder­nes am Anfang des Kalinin-Prospekts in Moskau Am Ufer der Angara BUDAPEST, 7. JANUAR 1972

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