Neue Zeitung, 1996 (40. évfolyam, 1-52. szám)

1996-01-06 / 1. szám

UNGARNDEUTSCHES WOCHENBLATT 40. Jahrgang, Nr. 1 Preis: 21 Ft Budapest, 6. Januar 1996 N icht mitgerissen werden, mindestens Schritt halten, eher aber der Entwicklung et­was vorauseilen - hieß es bei uns Ungamdeutschen schon immer, auch im Jahre 1985, als wir - vier Jahre vor dem Vereinsgesetz Un­garns — neben dem damaligen ein­zigen offiziellen staatlichen Inter­essenvertretungsorgan, dem Ver­band der Ungamdeutschen, in Fünfkirchen den Kulturverein Ni­kolaus Lenau gegründet haben. Er war unsere erste zivile Organisa­tion, der erste eingetragene Min­derheitenverein im gesamten Nach­­kriegs-Osteuropa. Der Lenau-Verein war der bahn­brechende Anfang. Denn eine Form der Anspruchsbefriedigung und der Selbstverwirklichung war dringend notwendig. Mit der ersten uns nicht aufgezwungenen, sondern von unten aufgebauten ungamdeutschen Orga­nisation begannen wir, Geschichte zu machen. Heute haben wir über 200 einge­tragene Vereine, und auch das ver­altete Verbandsmodell ist inzwi­schen von einer neuen Struktur ab­gelöst worden. Im Dezember 1994 wurden anläßlich der Kommunal­wahlen 126 ungamdeutsche Ge­meinde- und Städteselbstverwal­tungen gewählt. Bei den Nachwah­len im November 1995 kamen wei­tere 38 hinzu. (Hätten wir die vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit sofort ernst genommen und statt Zögern und Zweifeln lieber die Wahlen vorbereitet, hätten wir schon im ersten Wahljahr sicher­lich fast 200 ungamdeutsche Selbstverwaltungen erreichen kön­nen.) D ie Selbstverwaltungen sind aus allgemeinen geheimen Wahlen hervorgegangene, le­gitime Organisationen des öffentli­chen Rechts, die uns eine Reihe von bisher nie dagewesenen neuen Möglichkeiten zu unserer seit lan­gem ersehnten vollen Entfaltung anbieten. Diese Möglichkeiten nut­zen wir bereits und werden sie zu unseren Gunsten immer mehr nut­zen. Die Wahl der ungamdeutschen Selbstverwaltungen, der von uns no­minierten Kandidaten, war sowohl seitens der Ungamdeutschen als auch seitens der ungarischen Mehr­heitsbevölkerung - die uns mit ihren Stimmen wie keine andere Minder­heit unterstützt hat - eine eindeutige Sympathieerklärung für unsere bis­herige Tätigkeit und für unsere Pro­gramme. Mit der Wahl unserer eige­nen Abgeordneten und der Grün­dung unserer Selbstverwaltungen hat sich kein Systemwechsel vollzo­gen, jedoch ein Form- und ein Stil­wechsel. Es begann ein neuer Pro­zeß, dessen Endziel die Autonomie ist, in unserem Fall die kulturelle Autonomie. Und dieser Trend ist für uns wichtig! Wir wollen unser Ge­schick endlich in die eigene Hand nehmen! „Mir wolle uns’r eign’r Herr sei!” Das Minderheiten- und das Wahl­gesetz sowie die jetzige Form der Selbstverwaltung bedeuten für uns keinen fertigen Zustand, sondern die Möglichkeit der Öffnung, und dies entspricht unseren Bestrebungen. Ein Freiraum hat sich damit für uns erschlossen, der uns Schritt für Schritt, Jahr für Jahr neue Möglich­keiten anbietet. Langfristig kann und muß dies soweit führen, daß die Minderheit - stufenweise - zunächst die kulturellen Einrichtungen, später Kindergärten und Schulen, endlich auch die Medien in die eigene Hand nimmt. D en Ausbau eines wirksamen deutschen Sprachunterrichtes vom Kindergarten bis zum Gymnasium verlangt von uns auch die ungarische Mehrheitsbevölke­rung, die sich nach der Abschaf­fung von Russisch als Pflicht­fremdsprache größtenteils für Deutsch als Wahlfremdsprache ent­schieden hat. Außerdem werden von uns weitere - für alle Bevölke­rungsteile nützlich wirkende - deutsch-ungarische Gemeinde- und Städtepartnerschaften sowie die Er­weiterung und Vertiefung der wirt­schaftlichen Zusammenarbeit zwi­schen Ungarn und Deutschland er­wartet. Auf allen drei Gebieten setzt sich auch unsere Sprach- und Kultuma­­tion Deutschland seit Jahren mit stets größerem Erfolg ein. Allein im Jahre 1995 konnten mit großzügiger deutscher Hilfe gleich mehrere Schulprojekte baulich verwirklicht werden: - Ungamdeutsches Bildungszen­trum in Baja, - ungamdeutscher Klassenzug Fünfkirchen (Leöwey-Gymnasium) und - deutsches Schülerwohnheim Budapest. Die Einrichtung der Jugendlager Tarian und Waroli sowie von wei­teren Begegnungsstätten - in denen auch die Selbstverwaltungen wir­ken werden -, die zahlreichen Gastlehrer und andere Förderungs­maßnahmen beweisen, daß Deutschland zu seinem Ungam­­deutschtum steht, es auch bei der Erfüllung seiner historischen Ver­mittlerrolle unterstützt. U nser Interesse ist - wie auch das der anderen Minderhei­ten —, die neue Form der Selbstverwaltung erfolgreich durchzusetzen, sie zu einem funk­tionstüchtigen Zukunftsmodell zu machen. Dies wird aber ohne die konsequente Mitarbeit der zu­ständigen Ministerien nicht gelin­gen. Ministerpräsident Gyula Horn be­tonte am 18. Dezember, am Tag der Minderheiten, während der Verlei­hung des Minderheitenpreises im Parlament, daß „die Beziehung ei­nes Landes zu seinen Minderheiten der Gradmesser der Demokratie sei”. Wenn Ungarn sich daran hal­ten möchte, darf es sich nicht noch einmal erlauben, nur eine auf dem Papier „beispielhafte” Minderhei­tenpolitik zu deklarieren. Wenn die Minderheiten Ungarns - laut Ver­fassung - staatsbildende Faktoren sind, müssen sie sowohl vom Ge­setzgeber als auch von den Ministe­rien ernst genommen, als Partner behandelt werden. Die neue Organisation arbeitet. Es gelang uns, bei der Wahl große Massen des Ungamdeutschtums zu mobilisieren, auch viele junge Men­schen für unsere gemeinsame Arbeit zu gewinnen. Wenn wir erfolgreich sein wollen — und dies wollen wir —, sind wir auf die freiwillige und eh­renamtliche Mitarbeit vieler ange­wiesen. Darum müssen wir in der bunten (Fortsetzung auf Seite 3) Lorenz Kerner, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungamdeutschen Gedanken zum Jahreswechsel 7y f,« T*kifl Die Redaktion und Stiftung Neue Zeitung bedanken sich bei den Lesern, Vereinen und Partnerorganisationen für die überbrachten Glückwünsche! Aus dem Inhalt „In Ungarn geht es aufwärts” Die führende Finanzpolitikerin der deutschen Sozialdemokraten, Ingrid Matthäus-Maier, sprach lobend über die enormen Anstrengungen zur Über­windung der Wirtschaftsprobleme Un­garns. Diese Maßnahmen „sind gerade in den letzten Monaten sehr erfolg­reich. Mit der ungarischen Wirtschaft geht es aufwärts. Das Außenhandels­und das Budgetdefizit geht zurück. Dies vertieft die Neigung der deut­schen Wirtschaft, hierher zu kommen, im positiven Sinne. Es wird allgemein behauptet, es lohnt sich, hier zu inve­stieren. Die Stimmung unter den deut­schen Unternehmern in Ungarn ist gut. Es ist besonders wichtig, daß Ungarn wirtschaftlich auf die Beine kommt.” Seite 2 Gemeinschaftsgeist trotzt allerschwersten Umständen An der heiligen Messe zum Gedenken der Kriegsgefangenen und Ver­schleppten in der Altpfarrkirche von Wetschesch nehmen von Jahr zu Jahr immer mehr Leute teil. Am Tage der gefangenerlösenden Jungfrau erklin­gen im ältesten Teil des Dorfes die ur­alten Lieder in deutscher Sprache. Hier leben nämlich seit zwei Jahrhunderten die nach der Türken Verwüstung einge­siedelten Deutschen bzw. deren Nach­kommen in einer historischen Gemein­schaft. Seite 3 Zwischen Donau, Drau und Plattensee Das gemeinsame Heimatbuch der Ge­meinden Csikostöttös, Ág, Gerényes, Tarrós, Tékes und Szabadi sollte laut Absicht des 1985 gegründeten Heimat­vereins ein Buch werden, „in dem die ehemaligen Bewohner der beschriebe­nen Gemeinden ihre Heimatorte erken­nen und die jüngere Generation er­fahrt, wo und wie ihre Vorfahren ge­lebt haben und wo sie hergekommen sind”. Das Buch ist allerdings viel mehr, als diese bescheidene Zielset­zung verspricht. Seite 5 Unsere Zukunft? Wir sollten das alles, was wir bisher erreicht haben, nicht fallenlassen! Wir werden immer bekannter, immer aner­kannter. Und darauf können wir stolz sein! Gerade jetzt müssen wir zeigen, daß mit uns zu rechnen ist, wir Zusam­menhalten - gemeinsam kann man ja leichter Ziele erreichen. Damit haben wir den Weg angetreten, der zur Lö­sung unserer Probleme führt. Seite 13

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