Neue Zeitung, 2015 (59. évfolyam, 1-52. szám)

2015-01-02 / 1. szám

NZ 1/2015 GEMEINSCHAFTEN DER U N G A R N D E U T S C H E N 3 Verpflichtungen sind keine Möglichkeiten Gespräch mit der stellvertretenden Ombudsfrau Dr. Elisabeth Sándor-Szalay Dr. Elisabeth Sándor-Szalay ist die für die Rechte der Minder­heiten zuständige Stellvertrete­rin des parlamentarischen Ombudsmanns für die Grund­rechte. Sie ist Professorin und Juristin und schrieb ihre Habili­tation über den Schutz der Grundrechte in Europa. Über ihre Kindheit im rumänischen Banat, ihre Themenwahl und die aktuellen gesetzlichen Rahmen der Nationalitäten sprach NZ mit der Expertin für Grundrech­te. Liebe Frau Dr. Sándor-Szalay, auf Ihrem Schreibtisch liegt ein „Haus­kalender“ der vertriebenen Ungarn­­deutschen, und Sie sprechen her­vorragend deutsch. Haben Sie viel­leicht familiäre Bezüge zur deut­schen Minderheit? Mein Mann ist ein Viertel deutscher Abstammung. Bei mir gehören alle Familienmitglieder zur ungarischen Minderheit. Wobei meine Deutsch­kenntnisse nicht aus der Familie stammen, sondern aus Hatzfeld (ung. Zsombolya im rumänischen Banat), wo ich geboren bin. Meine Eltern, die zwar keine Deutschen waren, ließen mich in einen deut­schen Kindergarten gehen. Hatzfeld ist auch ein Umfeld mit mehreren Nationalitäten, haben Sie dieses Zusammenleben schon in Direr Kindheit erfahren? Das hat sich bei mir eingeprägt. Außer den Deutschen und Rumä­nen lebten Bulgaren, Serben und Kroaten in der Gegend. Die ganze Umgebung war schön gemischt und es war selbstverständlich, dass man mit dem einen deutsch gesprochen hat, mit dem anderen rumänisch, mit dem nächsten ungarisch. Ich habe sogar schwäbisch gesprochen, denn außerhalb des Kindergartens war meine allerbeste Freundin ein deutsches Mädchen — wir haben selbstverständlich schwäbisch mit­einander gesprochen. Leider hatte ich später keine Möglichkeit mehr, schwäbisch zu sprechen, ein Teil ist dann auch verloren gegangen. Aber später haben Sie als Juristin die Minderheitenthematik weiter­verfolgt... Meine ersten Schritte am Ende meines Jurastudiums führten mich zu Géza Herczegh, der an der Juris­tischen Fakultät in Fünfkirchen Professor für Völkerrecht war. Als es dazu kam mich zu entscheiden, was ich machen soll, nachdem ich mein Studium beendet habe, haben wir uns unterhalten und dann kam die Idee seinerseits, dass ich am Lehrstuhl für Völkerrecht bleiben soll. Das war I984, und ich sollte mich mit dem völkerrechtlichen Schutz der Minderheiten beschäfti­gen. Danach fing bei mir eine vier­fünf Jahre lange Forschungsperiode an, so kam ich zuerst zum Thema Minderheitenschutz. Sie sind die für die Rechte der Min­derheiten zuständige Stellvertrete­rin des parlamentarischen Ombuds­manns für die Grundrechte. Wie bewerten Sie das heutige Umfeld der Gesetzeslage Ungarns in Bezug auf den Minderheitenschutz im Vergleich mit anderen europä­ischen Ländern? Zuerst würde ich einen Unterschied zwischen den geschriebenen Geset­zen und der Rechtsanwendung machen. Dies sind zwei verschiede­ne Sachen, nicht nur in Ungarn, anderswo auch. Zur Gesetzeslage: Es ist vor zwanzig Jahren eine spe­zielle Lösung in Ungarn gefunden worden, als damals entschieden worden war, dass sämtliche Rechte, die zur kulturellen Identität und kulturellen Autonomie gehören, in einem gesonderten Gesetz geregelt werden sollen. Vor zwanzig Jahren war dies in Europa eine ganz unika­le Lösung gewesen. Nicht nur so, dass man dieses Recht an Vereine und Stiftungen weitergibt, oder Verbände berechtigt werden sollen, Veranstaltungen zu organisieren, sondern man gab den Minderheiten in der damaligen Terminologie die Möglichkeit, sich in Selbstverwal­tungen zu organisieren. Das war der Punkt, der damals eine neue Lösung in Europa zu sein schien. Das hat sich bewährt. Es waren schon skeptische Stimmen bezüg­lich der Minderheitenselbstverwal­tungen zu hören, auch am Anfang, ob man, um diese Rechte auszuü­ben, wirklich solche Selbstverwal­tungen braucht oder auch nicht. Aber ich glaube, in den letzten zwanzig Jahren hat sich das bewährt. Und es hat sich natürlich auch ausgebreitet, weil es ja jetzt - würde ich sagen - um mehr geht als nur um Rechte, die zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität gehören. Es geht auch in Richtung politische Vertretung. Gerade die deutsche Minderheit gehört zu denen unter den dreizehn, die in Ungarn registrierte Nationa­litäten sind, die sich am besten hat organisieren können. Die deutsche Nationalität hat diesen gesetzlichen Rahmen am besten ausfüllen kön­nen. Diese gesetzliche Lage im Vergleich zu vielen anderen Staaten in Europa ist noch immer eine uni­kale Lösung. Sie verspricht mehr, als es in vielen anderen Ländern der Fall ist. Natürlich sprechen wir in Ungarn über keine territoriale Autonomie, weil die Gegebenhei­ten dafür nicht vorhanden sind. Wenn man den rechtlichen Rahmen in Ungarn bezüglich der Nationa­litäten mit den europäischen Vor­aussetzungen und Anforderungen vergleicht, dann kann man sagen, dass es in Ungarn mehr ist, als was man in vielen anderen Ländern zu sehen bekommt. Und Sie haben angedeutet, dass die Rechtsanwendung ein nächster wichtiger Punkt ist... Eine andere Geschichte ist es, wenn man über die Rechtsanwendung spricht. Es ist sehr vieles verspro­chen worden im Gesetz 1993 und auch jetzt weiterhin. Wie zum Bei­spiel die parlamentarische Vertretung der Nationalitäten, die jetzt letzlich in einer halben Lösung - wenn über­haupt hier das Wort Lösung genannt werden kann - durch einen Ersatz zu dem, was man eigentlich parla­mentarische Vertretung nennen könnte, erbracht wurde. In dieser Hinsicht muss ich schon kritisch werden. Nicht so ist es versprochen worden. Bei der Rechtsanwendung geht es ja nicht nur darum, dass man gesondert die Vorschriften und die Rechte, die im Nationalitätengesetz verankert sind, an sich beurteilt, son­dern man muss die ganze gesetzliche Umgebung noch dazu denken. Und wenn aus der Sicht der Rechtsan­wendung dieser rechtliche Rahmen um das Nationalitätengesetz herum gemeinsam interpretiert wird und (Fortsetzung auf Seite 4) Frau Dr. Sándor-Szalay bei der Gala der Region Nord in Großturwall Foto: I. F. Wartezeiten Jedes Mal warten wir auf etwas. Wir warten an der Bushaltestelle auf den Bus, im Schnellimbiss auf unser bestelltes Essen, vor der Prüfung auf die Sicherheit des abgefragten Stoffes und vor einem Jazzkonzert auf den Beginn. Und die Zeit vergeht im Nu, obwohl manchmal diese Wartezeiten als unproduktiv und ewig lang erscheinen. Es gibt dann auch ausgesprochen solche Räumlichkeiten, die auf das Warten bzw. auf die Wartezeit selbst ausgerichtet sind: auf dem Bahnhof, in der Arztpraxis, beim Friseur fin­den wir jedes Mal Zeitschriften und Zeitungen, um während des Wartens die Zeit effektiv vertreiben zu kön­nen. Dieser Ausdruck „das Vetreiben der Zeit“ verbirgt etwas risikoreich die Unproduktivität. Obwohl man doch auf diese Wartezeiten von sich aus ausgerichtet sein könnte. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich - immer wenn ich kann — ein Buch mitschlep­pe, um diese Auszeiten zu überwin­den. Wir warten auf den Beginn von etwas - und wir wissen schon im Vor­aus, dass dies zu Ende geht. Wenn die Zeit wie im Flug vergeht, hängt es meistens damit zusammen, dass wir diese Zeit genossen haben. Relativität gehört dazu. Denn manch­mal habe ich den Eindruck, dass das Leben einfach aus Wartezeiten und alltäglichem üblichem Geschehen besteht. Man wacht auf und wartet morgens auf die Kaffeemaschine, damit der Kaffee gekocht ist. Ich warte auch darauf, dass ich mich fer­tig mache und zum Gehen bereit bin. Und nachts warte ich darauf, dass ich einschlafe. Manchmal ist das Warten auch anstrengend, und es gibt beispiels­weise Jahrestreffen, bei denen man nur das Verstreichen der Zeit wahr­nimmt. Doch können - glaube ich zumindest - diese Wartezeiten auch produktiv genutzt werden. Einen Unterschied gibt es auf jeden Fall im Dorf- und Stadtleben. Wenn ich auf dem Dorf die Ruhe genießen kann, dann stört es mich auf einmal nicht, dass ich nicht jederzeit erreichbar bin. In der Stadt fällt mir dies äußerst schwer. Doch gibt es auch schöne Seiten des Wartens. Es gibt beispielsweise das aufgeregte Warten, bei dem ein geliebter Mensch erwartet wird, und für seinen Empfang alles schon vor­bereitet steht. In diesem letzten Fall ein Buch in die Hand zu nehmen, ist für mich der pure Wahnsinn, denn die Konzentration versagt und fällt nur in eine Richtung. Eigentlich hat das Warten auch die schöne Seite, dass man nicht weiß, wie die Zukunft aussieht. Vage Vorstellun­gen, Sehnsüchte, Wunschträume hat man auf jeden Fall. Doch nach dem Warten wird man sehen, ob das alles möglich ist. ng Ihre Bemerkungen zu unseren The­men erwarten wir an neuezeitung@t-online.hu

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