Neues Pester Journal, Mai 1878 (Jahrgang 7, nr. 120-150)

1878-05-04 / nr. 123

­ E. / ei­n 4 a , WUdonmements Ganzi. fl. 14, halbf. fl.7, viertelf. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20, täglich. Das „Neue Peter Journal" erscheint sich an Montagen. Le Redaktion und Administration: eopoldft. KRirhenplat Nr. 2. Einzelne Nummern 4 b­, Inserate nach aufliegenden Tarif. We heutige Kummer umtont zwoti Schem 8 ? F­­‘ V Gautter-Politik. Budapest 3. Mai. Seit anderthalb Wochen wird am Ballplake wieder einmal die An­erionstrommel gerührt. Ihr Klang webt ein Echo überall in Oesterreich-Ungarn, wo ministerielles Kalbsfel aufgespannt is. Wir kennen den Wirbel, er­it­ion oft zu uns herübergedrungen. Die Ouverture wird stets ge­bildet duch „Original”=Berichte der „P­olitischen Korrespondenz”. Vierzehn Tage bevor die in die Geheimnisse unseres auswärtigen Amtes eingeweih­­ten Blätter und Korrespondenten die Nothwendigkeit des Einmarsches in Bosnien und die Herzegowina Doziren, begehen die Türken bhaarsträubende Gräuel, und werden abwechselnd Mohamedaner und Christen von un­widerstehlicher Sehnsucht nach den Regimente des Grafen Andraffy befallen — Wien war Ablauf Der für Beförderung einem absonderlichen Gelüst, das bekanntlich den Völkern unserer Monarchie nicht eigen ist. Die Borauswirkung, welche in den Türfen Appetit nach gebratenen Christenfindern anreizt, ruft wenn in eines B Briefes von Serajewo nöthigen Zeit ein Vorwand zu Anner­ong-Plaidoyers gebraucht wird, ist fast 30 bewundernswürdig, wie die Un­wissenheit der Erfinder jener Korrespondenzen über Zustände und Stimmungen in den begehrten Gebieten. 7 Courage scheint nit zu den charakteristischen Eigenschaften der Am­ezionisten zu gehören ; we­nigstens­ wurden lettere stets resignirt, fanden auch­ie Trauben sauer, sobald die V­orauslegung einer zweistündigen Zertrümmerung der türkischen Macht zweifelhaft wurde. Sie entdecken dann, daß Der ziehtige Moment versäumt wäre. Bis gestern fehien vor Ausbruch des russisch-englischen Krieges, welcher auch die gesammte türkische Streitkraft beschäftigt hätte, sehr nahe gerückt ; da übte denn im aus­wärtigen Amte der Muth in Der Brust seine Spannkraft, und noch gestern erklärten die Mund­­stüde des Ballplanes hochmüthig, das osmanische Neid­ werde ertrinken oder ertränkt werden und da müßten ,wir" uns festes Land, nämlich Bos= wien, sichern. Inzwischen haben die „Times“ und die „politische Korrespondenz” aus St. Peters­­burg die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwis­chen England und dem Czarenteiche gemeldet . Der Ausbruch des Krieges möchte sich um Wochen oder gar um Monate verzögern. Die Pforte einige Redif-Kompagnien nach Bosnien senden und for­fort bricht in dem Korps des Grafen Andrasfy ein "Sauve qui peut" aus, der Feldmarschall-Lieute­­nant schwingt das Hafenpanier und Die große Netirade ist im besten Gange. „Reißt aus, reißt aus, reißt Alle, Alle aus, Da steht ein türkisches Schilderhaus.? Heute wird versichert, daß in Der Ossupa­­tionsfadhe während der legten Tage sein Schritt geschehen sei, daß die Affaire mit der orientalischen Frage in gar feinem Zusammenhange stehe, und es wird der Einmarsc überhaupt als sehr frag­­würdig hingestellt. Morgen werden die „Helden lobebären”, so gestern noch das türkische Neic­ als Gemuis-Beilage verschluden wollten, heilig und theuer erklären, daß Niemand auch nur im Traume an den Ginmarsch österreichisch ungarischer Truppen in Bosnien gedacht habe. Es ist doch etwas Erha­­benes um Wahrhaftigkeit und Muth ! Selbst Mi­­lans fühnes Herz muß sich vor Neid ob der Ta­­pferen am Ballplage zusammen frampfen. Vielleicht die ganze Weltgeschichte weist nichts so Unendlichstomisches, so verächtlich-Klägliches auf, wie es die Volitis des Wiener auswärtigen Amtes, das ewige Schwanken zwischen Begierde und Furcht ist. „Ich wollt’ auch lachen, wenn der Narr nicht mein’ wär’”, sagt ein jüdisches Sprichwort. Wir würden uns angemessener Heiterkeit über den Wie­ner auswärtigen Jammer H hingeben , wenn die To­­milttäglichen Staatsmänner nicht unsrere wä­­ren, wenn sie nicht die österreichisch-ung­ar­ri­de Monarchie zum Gespötte der Welt mach­ten, wenn nicht — und das frißt uns Ungarn be­­sonders am Herzen und treibt uns die Schamröthe ins Gesicht — wenn nicht die leitenden Männer der Monarchie unsere Landsleute, wenn sie nicht auf den Schultern unseres Parlaments zu ihrer maßgebenden Stellung emporgef­o­mmen wären. Of­­fene Gewaltthätigkeit, brutaler Länderraub, toll: Eöpfige Abenteuer, wir würden sie bekämpfen, brandmarken, doch wir müßten uns ihrer nicht betart schämen, wie jener Sümmerlichkeit, die stets, begoffenen Wundeln gleich, vor der Ausführung der von ihm proklamirten Anne­rionstendenzen fortläuft und doch immer wieder nach dem ihr von Rußland hingeworfenen abge­­nagten Knochen fehielt ; nicht wie jener verschämten Annerion, welche doch darauf hinausläuft, unsere tapferen Armeekorps unter den Schützen der ges­clüchteten bosnischen Weiber in Bosnien einzuschnug­­geln. Mehr wenn eine Million Kämpfer, wohl dieser Erzählung, Tage id), eine gefährliche Stepsis nicht unterdrücken konnte. Um ihn von seiner Zweifelsucht zu heilen, wirkte ein frommer Derwisd ein Wunder. Der Khalif sollte mitten im Kreise seiner Höflinge ein Bad nehmen. Er tauchte in die gefüllte Kufe unter. Im selben Augenblickk verlor er das Bemwußts­tein und als er es wieder erlangte, fand er sich an einem wüsten Strande als verlassener Schiffbrüchiger. Er wanderte in eine nahegelegene, unbelannte Stadt, hatte dort allerlei Leid und Ungem­ach zu bestehen, heirathete eine arme Frau aus dem Dorfe, wurde nacheinander Vater von zwölf Kindern und erreichte unter steter harter Plage ein hohes Alter. Endlich fühlte er, daß der Tod ihm nahe; er verlor eines Tages, als er auf seinem Felde arbeitete, das Bes wußtten und­­ öffnete im nächsten Momente die Augen im Kreise seiner Höflinge, Die ihm versicherten, Dab­­er eben untergetaucht und gleich Darauf wieder hervorgetaucht sei. In der Sekunde zwischen dem Unter- und Auftauchen hatte der Khalif ein langes Menschendasein durchgelebt. Die Komposition des „Bapstes” erinnert an Dieses orientalische Märchen. wilchen den zwei Halbversen (Hemistichen) eines Ale­­xandriners findet eine ganze, ungeheure Welt von phantastischen Szenen, von Gedankenrevolutionen, von Kämpfen und Ungercittern Blab ; gleich der verwors renen Flucht von Wolfen an einem Sturmestage ja­­gen schattenhafte Traumbilder an und vorüber, um schließlich, wie das Abenteuer des Khalifen, in einem jähen Erwachen ein wunderliches und überrascigendes Ende zu finden.­ Der Anfang des Gedichtes ist in Der bizarrsten Manier Victor Hugo’s gehalten. Es lautet wörtlich: „Exste Szene. Schlaf. Der Batilan. Das Zimmer des Bapstes. Die Nacht. Der Bapst, in jenem Bette. (Hier fünf Bärkte.­ „„Ach. Ach entschlummere! organisirt, trefflich bewaffnet, berechtigt, sich den tüchtigsten Armeen zur Seite zu Stellen, zählt unsere Monarchie. Wer zweifelt an ihrer hinge­­­­benden Tapferkeit? Doch nicht einer der Waghälfe des Dintenfasses im auswärtigen Amte? Die geographische Lage Oesterreich-Ungarns­ ermöglicht es uns heute noch, der gesammten russischen Streit­­kraft das Grab zu schaufeln, und das Bündnis mit England würde uns vor jedem Angriffe den Rüden sichern. Könnte man sich in Wien nicht von dem Wahne befreien, daß Macht und Ansehen der Monarchie einzig von der Zahl der Quadrat­­meilen abhängen, könnte man das Anneh­onsgelüst nicht bezähmen — wohlan, Großbritannien mig­­egönnt unserer Monarchie seine Erwerbung. Es be­­dürfte jeit nur des geringfügigsten Aufwandes von Willenskraft, um "an der Seite Oesterreich­­Ungarns das Größte zu vollbringen, dem Erbfeind " tödtliche Wunden zu schlagen, die im flavischen Auslande wurzelnde Ursache innerer Wirren vollz­­tändig zu ertödten, der Monarchie freien Raum für gedeihliche Fortentwickklung zu schaffen. Und in diesem Momente, wo wir mit kleinen Opfern an das Ziel der meitest gespannten Wünsche gez­langen könnten, gipfeln der Muth und die Weis­­heit unserer Staatslenfer in der großartigen Spee: zum Schuge arbeitssrheuer Vagabunden, die dein Baue der Grenzbahnen reichlichen Lebensunterhalt für sie und die Ihrigen finden künnten, wenn sie nicht den Hunger weniger fürchten würden, als die Arbeit , zum Schuge dieser sogenannten Flücht­­­inge österreichisch-ungarische Soldaten in eine türkische Provinz dringen zu lassen und bdiese ohne jeden Rechtsgrund, selbst ohne den Vorwand roher Er­­oberung, zu behalten — falls wir nämlich nicht, wie im Bariser Frieden aus Rumänien, heraus „Aus Sparsamkeit”, sagt man uns, da die Komplimentirt werden, Delegationen keine weitere Unterftügung für die Flüchtlinge bewilligen wollen. Wir künften wirklt einige hunderttausend Gulden sparen — die Er­sparung aber würde zum vollständigen finanziellen Nuin Desterreich-Ungarns werden. Die Mobil­­machung einiger Armeekorps und die m­ehrjährige Ossupation Bosniens würde Hunderte von Millios­ten verschlingen. Da jedoch unsere auswärtige Bo­­­itit einmal falsches Spiel als der Weisheit höchster. Schluß gilt, so muß dieselbe plu­mpe, Niemanden täuschende Täuschung, mit welcher man der Pforte 4 „der Yapfl“ von Bietor Hugo. (Original - Feniletön des „Neuen Pefter Journal“) Paris, 30. April. .. Bietor Hugo führt fort, dar­­f eine beispiellose Fruchtbarkeit die Welt zu erstaunen. Sein Genie ent­­faltet eine aufgeregte, gleichsam vulkanische Thätigkeit. Eine Eruption folgt der anderen. Nach der „Neuen Regende der Jahrhunderte”, „die Kunst, Großvater zu sein”, nach der „Geschichte eines Verbrechens“ nune mehr „ver­zapft”, und dieses Werk verspricht auf sei­­ner lebhten Seite [chon wieder zwei neue Bände Ge­ Dichte, die demnächst unter dem testamentartig melan­­ik klingenden Titel „Toute la lyre" erscheinen allen. „Der Bapft”, welcher gestern Früh ausgegeben wurde, ist eine der großartigsten poetischen Komposi­­tionen, welche das Jahrhundert hervorgebracht hat. I­st ein einheitlich gedachtes Werk, das Die drama­­tshe Form annimmt, jedoch in ihrer größten Freiheit mit jener Verschwommenheit und Uneingeschränktheit Der Konturen, Die wir im zweiten Theile des „Zanft“ and in Byron’s „Manfred“ beobachten. Stimmen aus­­ 3 dem Himmel und der Hölle, Betrachtungen des Did­iers, Zwiegespräche mit der Unendlichkeit und der Fin­­ferni, brechen jeden Augenblick den Rahmen durch, der die losen Einzelszenen zu einem hehren Ganzen zusammenfaßt. Ein bekanntes orientalisches Märchen berichtet von einem Khalifen, der Angesichts der Er­­zäg­ung des Koran, bag Mohamed vom Erzengel Ga­­briel­s Paradies emporgehoben worden sei, dort sechzig­ahre lang gelebt und doch bei seiner Rad-­kunft auf die Erde noch Zeit gefunden habe, einen ge­­füllten Watertrug, den er im Augenblicke seiner Himmel- Fahrt umgestoßen hatte, aufzuraffen, ehe aus demselben 220 ein Tropfen verschüttet worden war — der Angesichts 2 eine Provinz abschwindeln will, auch gegen die — Endlich. 1”" Er entschlummert.” Das ist die ganze erste Szene und zugleich die ganze Exposition des Gedichtes. Raum hat der Bapít die Augen geschlossen, so hebt eine Stimme aus dem gestirnten Himmel an: „DO Lebende, Männer, Frauen, Schhaft. Komm, zur Nähe, Schwarzes Gewimmel der Seelen. D­ergessens heit! Waffenruhe! Dir, Bösewichter, haltet euch stille. Genug! Die Stunde des Friedens, nach dem Die Erde verlangt, ist gelommen. Das göttliche Herz sendet dem menschlichen Herzen seine Flamme. Der Gedanke wählt, denn der Traum it gefommen. Mensch, glaube dich nicht ins Unbekannte getaucht, du weißt Alles, wenn Du weißt, dast du gerecht sein mußt! co... Das Leben ist eine Dunkel gefaltete Seite, welche der Mensch sterbend ist und schlafend buda stabirt .... Deine Stunde ist da, Verantwortlichkeit! Drüde herab von der Höhe­ der Himmel und mache die Menschenseele besser. Die schwarzen Lebenden haben Alle denselben Eisenring am Fuße. Fühle, ob Schäfer, die ungeheuere Last des Lam­mes. Hinfällige Mächtige, trachtet, daß der Schatten euch dulde.­­Der Abgrund ist Drohend, aber gegen den Mächtigen. Das Atom, wenn es entschlummert, zählt­ mit­ Necht auf den frredlichen Schuß der Tiere. Schlafen, Tugend, Leiden, Verbrechen, unter der Klarheit des purpurnen Firmamen’s. Glüclich der Mensch, der durch seinen Schlummer hindurch­führt, daß die Sterne über der Erde aufgegangen sind, um den Schwachen und Nies drigen und seine Brut zu blüten, Der schlafend zu verstehen sucht und Der fühlt, daß ein unendlicher, geheimnisvoller Nath herabschwebt! Laßt über euch die ehrwürdigen Gestirne freffen und like 29­ Lebende, Fürsten, Große, Elende, die ihr zu Dieser Stunde dem Geiste in feinem Grabtuche gleicht, habet das Beben des Traumes in eurem Schlafe. Die Seele wache in euch!“ BET -

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