Pester Lloyd, Oktober 1856 (Jahrgang 3, nr. 228-254)

1856-10-14 / nr. 239

Das Escomptegeschäft der W­ester ungarischen Kommerzialbant, und Die „Ostdeutsche Post“. Eine fehfundbige Stimme Zum Reden sie zum Schweigen, die verdecten Abnormitäten bezügliche Stelle, mie Pest, 13. Oktober, für Jedes kommt die Zeit, Wir haben es unterlassen, den Öfteren giftigen Anfällen eines­­ bekannten Wiener Blattes gegen die Pester Kaufmannschaft widerlegend entgegen zu treten. Der praktische Geschäftemann erkannte ohnehin in den angeregten Hebel­­ständen gleichsam die Schablone, die beinahe allen größeren Handels­­plagen des In- und Auslandes in gleicher Art aufgelegt werden könnte, ja selbst, wo wenn man sich die Mühe nehmen will, licht zu fürdern ? wie sie mären sie nicht herauszufinden, an das Tages­­Wir wollen und können es aber nicht unterlassen, einen Drittel der gentlemantischen „Os-Deutschen Welt", der die Hiesigen Planverhältnisse un­­gebührend beleuchtet, durch Thatfacjen zu vementiren. Wir ziti­en mörtlich die die uns In den lechten Tagen zu se- in Nr. 237 dieses Blattes enthalten ist: „Die wir aus mehreren Briefen, der Pester Kaufmannschaft Teinen­de­­zu finden. Man befürchtet, daß Hierdurch die Anlage Des Institutes von Horne herein zu Treinich und dessen Gebahrung zweiten Ranges, die permanent als Zensoren der Kommerzialbank fungiren, auch die für die K­editanstalt proponirten Geschäfte beurtheilen oder gar selpst schöpferisch zu Tage fordern sollten. „&3 würde aus einer solchen Siliale­’ — so heißt zu laben und eg in einem uns­­erer Pester Briefe — , eine ganz gewöhnliche Edfompteanstalt werden, in welcher die hiesigen protokollirten Sirmen, wenn deren Kredit in der Na­­tionalbankfiliale erschöpft wäre, mit ihren Reitwechseln wandern, um an an dieser Duelle fürh die herausgenommenen billigen Kapita­­len c an die Provinzkaufleute und Defonomen zu einem hohen Zinsfuße auszuleihen. Es entftünde sonahh nur eine dritte Estempteanstalt auf un­­serem Plabe. Dur melde das Land, welches sehnsüchtig die Errichtung einer geeigneten Kreditfiliale unter einer coulanten, umsichtsvollen Leitung erwartet, sehr wenig gewänne.“ Wir fielen nun diesen unwohlwollenden Besorgnissen eines patriotischen Korrespondenten folgende Bafta entgegen: Die es wohl am besten barthun Tonnen, in­wie­weit die hier ausgesprochenen Ansichten Plabverhältnissen begründet sind oder nicht. Unter den fungirenden Direktoren und Zensoren in den hierartigen der beiden in Pest bestehenden öffentlichen Bankinstitute, als der Herren Salice, Kohhmeister, ©. Spicher,­ 3. ©. Dumifa, EC. Ullmann, A. Diwald, Sch. Halbauer, Ign. Prüdler, Mor. Edulhof, Sof. Medek, B. Weinzierl, zusammen mit ihren übrigen Kollegen, alternirend die Bec­­elzensur an beiden nstituten, Si es demnach wohl glaublich, Daß diese Männer, die ihrer Ehrenhaftigkeit halber In Wien hier in Pet, ist es wohl glaublich, daß sie die Wechsel, welche in der ungar. Kommerzialbant zum Esfompte vorkommen, mit ande­ren Augen ansehen, als die Wechsel derselben Firmen in dem Institute der Nationalbant? Verwandeln sie etwa in der ersteren ihr kaufmännisches Urtheil in ein „patriarchalisches"“ oder bemressen sie nicht vielmehr den zu verleihenden Kredit einerseits nach dem jeweiligen Raffaflande, andererseits aber nach dem Höhepunkt der Vertrauensunwürdigkeit. Deren Beurtheilung wesentlich nur die Einsichtnahme in den beiderseitigen Geldinstituten aunterflüßt wird? Der werden etwa in dem einen Inftitute nur Wechsel sitzen, in dem anderen solche von minderem Range zum Essempte an­­geboten ? Ein aufm­ätiger und mit den Thatsachen bekannter Berichterstatter wird es wohl auch nur bestätigen müssen, daß eine solche Rangordnung hier durchaus nicht stattfindet. Das M Wechselportefeuille der Kommerzialbank enthält dieselben Firmen wie Das des anderen große­n Bankinstitutes, nur in Dur­ die geringere Sundation beengterer Ausdehnung. Dem unparteiischen Berichterstatter muß es wohl bekannt sein, daß an vielen Ingen Wechsel ersten Ran­­ges von der Kommerzialbank zurückgemiesen werden, weil die Kaffa oft nicht aus­reicht, um Die Tonvenabelsten Wechsel aufnehmen zu können. Wir glauben übri­­gens Feine Inbiefretion zu begehen, wenn wir, dur bag freundliche Entgegen­­kommen einer mit der Gebahrung der S Kommerzialbant vertrauten achtbaren Persönlichen­ darin unterflüßt, darauf Hinweisen, daß gegen Ende September das Wechselportefeuille der Pester ungarischen Kommerzialbant sich auf der Höhe von circa 1,900,000 fl. Bankoaluta befand, dessen spezielle Bestandtheile sie auf d­ren 1050 Stüd Wechsel, circa 430 Parteien betreffend, bezogen haben, — und zwar sind mit Ausnahme zweier bedeutender Babrissetablis­­sements, der Walzmühle und Zucerfabrik, bles drei Firmen, deren Kredit sich auf die Höhe von 20.000 fl. erhoben hat. Wahrlich Fein genü­gendes Kapital, um damit nach der Ansicht des bezüglichen Korrespondenten, hohe Binsengerätte zu negozieren. Nun noch ein ernstes Wort über den Ausdruck „Reitwechsel“. Um in der K­afsifitation der Wechsel-Bewegung für das Gehen, Fahren, Reiten und Schwimmen der vielgestalteten Wechsel ein besonderes Beispiel hervor­­zuheben, stellen mir die befeidene Trage: Zu mwelder Gattung zählt etwa der unbefangene Berichterflatter jene Wechsel, die hier von Pest von einer­­­ Firma an eine zweite ausgestellt, in Wien dann zeicb­t werden, ihren Weg über Breslau, Berlin, Frankfurt a. M. oder Augsburg nach Wien nehmen, und allport mit besonderem Vorzuge von der 1. f. priv. Nationalbank eöromptirt werden? und können etwa Diese nicht cenfurirten, frei durchpaf­­firten Wechsel nicht au maffenhaft der Kreditanstalt direkte zugefehret werden ? Berdienen Diese Wechsel etwa ein begründeteres Vertrauen als die von dem Forum Des Fünfrichterkollegiums (die gewöhnliche Zahl der Wechselcensur unserer Kommerzialbank) vorübergenommenen sogenannten Reitwechsel ? Mögen Doch Diejenigen, Denen es um eine ernfliche Prüfung dieser Verhältnisse zu thun­ft, eine strenge Parallele der Pester merfantilischen Zustände, über­­haupt und jener anderer Handelspläne des In und Auslandes anstellen, und es dürfte sich vielleicht­ ergeben, Daß weder die­­ Geschichte des Handels in der Referenz mit ihrem Hauptfige an der öffentlichen Börse, noch die auswärtigen Produktenpläne, als­ Triest, Stettin, Breslau, eine solidere Grundlage bieten, als Pest in m windstillen und in flürmischen Epochen der lebten zwei Decennien resultirte. In merkantilischer Beziehunge steht der ungarische dem übrigen öster­reichischen Handel in gleicher Art gegenüber, wie der überseei­de dem Mut­­terlande, in England, Srankreich . Ungarn emportirt Bodenerzeugnisse und importirt Manufak­e in einem Maßstabe, der sich jährlich über eine Mil­­liarde erheben dürfte , sind etwa bei diesem immensen Verkehr verhältniß­­mäßig größere Insolvenzen vorgenommen, als es die Erfahrungen in an­­deren fremden Ländern darstellen , und gibt dieses maßgebende­­ Resultat gar keinen Beweis für eine hier vieleicht tiefer begründete, etwa patriarc­halische" Salivität? Ob übrigens die Sommerzialbank mit der Filiale der Kreditanstalt betraut werden soll oder nicht, wollen wir hier nicht erörtern, dies hat wohl das erstgenannte Institut für sich: in einem Zeitraume von nahe 14 Jah­­ren haben die Aktionäre, bei einem Verkehr von circa 150 Millionen, durch Wechselverluste nicht einen Groschen eingebüßt. R. Wien, 12. Oktober. Die von der Pforte beabsichtigte Armirung der bei Kalafat, Oturgemwo und Braila errichteten Befesti­­gungen wird in Konstantinopler Berichten als offiziell gemeldet. Es heißt sogar, daß die Festungswerte selbst eine größere Ausdehnung erhalten sollen, und bezeichnet man seine geringere Person als Omer Vajda selbst als den mit diesen Arbeiten beauftragten General, was jedenfalls­ ein Beweis wäre, daß sich derselbe nicht in Ungnade befindet. In der Neuenburger Angelegenheit lauten die Berichte noch jeder unwidersprechenn. So viel glaube ich Ihnen aber als ge­nig mittheilen zu können, daß in den hiesigen entscheidenden Kreisen von dem Entschlusse Preußens, Diese Frage vor den Bundestag zu bringen, nichts bekinnt ist. Es scheint demnach, dag bis seht im dieser Hinsicht noch gar nichts entfrieden ist. Dash.-Handelsministerium hatte bekanntlich schon vor längerer Zeit mehrere Agenten nach den wichtigsten Punkten Nord-und Süd- Amerikas gesendet,um dort weitere Anknü­pfungspunkte für den öster­­reichischen Handel zu suchen.Es sind nun vor Kurzem Berichte derselben eingetroffen,welche äußerst günstig lauten und die ausführlichsten statistischen Nachweisungen enthalten,wodurch die Bedeutung des amerikanischen Han­­dels für Oesterreich in das rechte Licht gesetzt wird.Aehnliche Berichte sind auch von unserem Generalkonsul in New­ York,Herrn Karl Loosey,hier eingetroffen­ und hält derselbe die Gründung einer Musikalisch-österreichi­­schen Gesellschaft für das beste Mittel,um die Vortheile des amerikanischen Handels dem österreichischen Kommerz zuzuwenden.­­Preßburg,41.Oktober.Am verflossenen Dienstag und Mitt­­woch wurde hier ein Konvent des Preßburger Komi­­tatsseniorates A.C.abgehalten,dessen Hauptverhandlungsge­­genstand der hohe Ministerialentwurf zu einem Gesetze über die Vertretung und Verwaltung der Kirchenangelegenheiten der Evangelischen beider Be­­kenntnisse im Königreicheungarn war.—­Dankbar und mit inniger Freude wurde das viele Gute,Zweckmäßige und Ersprießliche in diesem hohen Ent­­wurfe anerkannt,man sprach sich jedoch auch freimüthig und entschieden gegen mehrere Verfügungen aus, die man Unausführbares in fi­zw ent­­halten seinen, hauptsächlich aber figy der evangelischen Anschauungss­eweife nicht vereinen lassen. — Besonders gab der einzufegende ft. Tf. Ober­­tirhenrath, der aus fünf Räthen bestehen und bessen Mitglieder vom Kaiser der Staatsbiener genießen solen, — die er, wo nicht gänzlich aufheben, als Rechte Anlag zu einer umfangreichen, eifrigen Debatte. — Ein solcher Tf, dessen Wirkungsfreis­ag gehören soll, die Staatsoberaufsicht zu führen, und kirchliche Gerichtsbarkeit auszuüben, die ist schmer in Einklang zu bringen mit dem 26. Artikel, 1790/1 und somit der Autonomie der evangelischen Kirche Ungarns, dec sehr paralyfiren mürde, und unter­­ rath , worauf Übrigens um so weniger ein Gewicht Ersterer diesen Gegenstand in dem abgehaltenen Rofal­onvente gar nicht verhandelte, septerer aber nicht einmal ohne Instruktion, nicht die Ansicht und den Millen seiner Kommittenten, sondern ein bloßes Privatvotum abgab. Es wurde daher den Deputirten zu dem am 28. b. M. in Tren­tsc him abzuhaltenden Distribtualtonpente eine Instenlation im obigen Sinne und Beschlüsse ertheilt. Ein Meeting in Metvport und die Wahlbewegung.­ ­ Aus Amerika liegen interessante Berichte vor, welche bis zum 27. 9. M. reichen, und welche geeignet sind ein helles Lit auf die gegenwärtige Lage der Union zu werfen. Es hat nämlich am 25. v. M. eines der größten (wenn nicht das größte) und achtbarsten po­litischen Meetings, die jemals in der Stadt New­ York vorkamen, vor der Kaufmannsbörse daselbst stattgefunden. Die Straße war von Menschen vollgepropft, Chorstufen und Säulen, Fenster, Altane und Dächer, so weit man bliden konnte, mit andächtigen Hörern befeßt. Die Veranlassung war, dag Mr. Banks, der Sprecher im Repräsentantenhause, dessen feinem fall und sittlicher Entschiedenheit Die republikanische Partei ihre gegenwärtige Stellung verdankt, ein Öffentliches Wort über die Tages­­fragen angekündigt hatte. Mr. Banis suchte vor Allem den Beweis zu führen, daß die republikanisce Partei die konservative Art und deshalb das Vertrauen und die Unterft­­gung der kommerziellen Welt verdient. Mit besonderem Nachruch erklärte er sich gegen die Annorationspolitik, welche in dem fkandalösen Manifet der Osten der Konferenz sich so fhamlos angekündigt und die Vereinigten Staaten in den Berruf der Welt zu bringen gedroht habe. Diese Politik rechtfertige den Landdiebstahl , um das Kind beim rechten Namen zu nennen. Nicht das wir — sagte Mr. Bants — gegen die Gebietserwerbungen der Vergangenheit wären, welche die nationale Sicherheit erfor­­derte, und die zu unserer Wohlfahrt so sehr beitrugen, sondern ich meine jene In­­seln, welche unsere Brüder in den Südstaaten als „unsere Sinfeln der Südsee” bezeich­­nen. Wir brauchen diese Inseln nicht, so lange sie Nationen gehören, die mit uns im öfteren leben. Sie dienen unseren Sintereffen, so wie sie sind. Wenn wir z. B. die Sandmwichsinseln gegen den Wunsch anderer Mächte in Befug hätten, so müßten wir in fernen Ge­wässern eine Kriegsflotte unterhalten, wie sie unser Vaterland nie gewollt hat, und die ohne Gefahr für unsere Insitutionen nicht bestehen könnte. geht die Insel Cuba. Sie liegt nicht weiter als 130 Meilen von unsern Handels­­häfen. Ihr Handel ist im Steigen, ihr Gewerhfleiß im Zunehmen begriffen, und doch gehen nicht mehr als 25 pCt. ihres ganzen kommerziellen Verkehrs nach den Vereinigten Staaten; die andern 75 pCt. nehmen den Weg nach brilligen und an­­dern europäischen Häfen. Woher kommt Dies? Daher, daß wir die Regierung und Bevölkerung der Insel durch unsere Invasions- und Annorationsdrohungen er­­fchredt und abgestoßen haben, während es besser, weiter und nöglicher gewesen wäre, die freundschaftlichsten Beziehungen zu ihnen zu pflegen. Warum sollten wir nicht Süd- und Zentralamerika gegenüber dasselbe System eines freundschaftlichen,, auf Gegenseitigkeitsverträge basiscten Verkehrs befolgen, das sich in Canada und den britischen Befigungen so glänzend bewährt hat? Nun wir (Republikaner) schlagen vor, dieses System der Gegenseitigkeitsverträge an die Stelle jener Doktrine des und der Gewalt zu fegen, die unsern Namen im Osten und Westen geschän­­det hat. In Bezug auf die Wahlbe­wegung bemerkt der Beirater­­statter der „Times, daß alle Parteien bis jet gleichviel Zuversicht an den Tag legen. Im Ganzen zeigen die Republikaner mehr Enthusiasmus, die Demo­­kraten mehr Organisation. Die Stadt bietet ein Schauspiel heiterer Leb­­haftigkett. Aus den Fenstern aller H­ubhäuser fiseht man Fahnen wehen, fast jede Straße ist von ein oder mehreren Graden Leinwand, so groß wie das Hauptsegel eines DOstindienfahrers, überdacht. Darauf prangen in far­­biger Schrift die Namen der Kandidaten, Wahlsprüce, amerikanische Adler, Biegenböde und Porträts von Fremont, wie er im Flanellgemd und Stul­­penstiefeln auf einem Gipfel der Seifenberge steht, das Stern- und Streifen- Banner in der einen, die Unabhängigkeitserklärung in der andern Hand. kommen, ersehen, scheint der Kommerzialbant mit fonderen Anh­ang „patriarchalisch” s. “ würde, priv. Nationalbant sam­t sind, als die Idee sie aufzusuchen und einer Vereinigung in einem Theile besonders falls und der Kreditanstaltfiliale der Peffer­ung. Kommerzialbanf eben so gut zu Die wenigen bevorzugten Firmen Siliale-Essempteanstalt versehen der die ber alle tenden an es wurde mit für ihre Lebensdauer ernannt, vom Staate besoldet und in dem hohen Entwurfe Vorkommenden Schwierigkeiten Scheidung und Erledigung zuzumeisen, Blos zwei Pfarrer, Cs sprach thänigst Dagegen Stadtgemeinde aus, und 1. Oberkirchenrath, in einen Konvent abhalten sich daher die eflatanteste Majorität Generalsynode, der Dorfgemeinde zu B. zu 2. und angestellte, der als höchste Instanz ehrerbietigst lieg, und beschlossen, sowohl sprachen mit Wärme diese Frage, als aug für den Oberfirchen­­zu einer Segen ist, da abzuhal­­als der fompetentesten Behörde, zur Ente an der ansehnlichen und intelligenten und zwar somit der Alexander Herzen’s Memoiren. Die Erlebnisse Herzen’s sind jedenfalls interessanter als seine Theo­ren, und seine sozialistischen Herzensergießungen beiseite lassend, müssen mit ihm dankbar sein für die Ausflüsse, welche er uns über das Leben und Treiben in den rufsischen Beamtenkreisen gibt. Herzen gehörte zu dem Kreis von Zünglingen, die, angestedt von den Ideen des Westens, Sehn­­sucht nach einem weniger eintürmigen Staatsleben fühlten und im Anfang der dreißiger Jahre für ihre Shatenfieber Befriedigung in Verschmörungen suchten, die nach Dem,­mas und Herzen darüber sagt, mindestens ebenso harmlos wie die deutschen burschenschaftlichen Umtriebe waren, aber von der Regierung ernster genommen wurden. Es war gerade während 1834 die fünf Monate dauernden Mord­­brennereien Petersburg vermütteten, daß einer seiner Freunde mitten in der Nacht verhaftet ward, angeblich wegen der Betheiligung an einem Ziint­­gelag, das am 24. Juni stattgefunden und wo aufmwieglerische Lieder ge­­sungen worden waren. Es vergingen nur zwei Tage, als Nachts um 2 Uhr ein Polizeimeister mit einigen Kojaten aló E scorte­au der Herzen erschien, seine Papiere untersagte und in Beschlag nahm und ihn selbst verhaftete. Als sie Das Haus verließen, ftand ein Mensch mit einem Barte von der Thüriehwelle auf und fragte den Polizeimeister : „Erlauben Sie mir, nah. .Haufe zu gehen “" „Seh“, lautete die Antwort: „Was ist das für ein Mensch “" fragte Herzen, während er in die Drosipke flieg. „Das ist der Geschmorene — Sie wissen dog, Daß ohne einen sollen die Polizei nicht in ein Haus gehen. Fann !" Das ist in Rußland eine Garantie der persönlichen Freiheit, Die man aber draußen vor der Thür gelassen hat, Mit dem Verhör [eh man den Berhafteten anderthalb Wochen wars­ten. Um sich Die Zeit zu vertreiben, verlangte er Bücher. Da wurde ihm nichts gestattet als eine Drammatik und ein Lerifon. Endlich ward er zum Ber hör gerufen und war der Zeuge einer charakteristischen Szene,­­bei der er leider nur zu nahe betheiligt war. „In einem großen, recht schönen Saale saßen fünf Personen um einen Tisch, alle in Uniform, außer einem G rt­fe. Sie rauchten Zigarren, unterhielten sich lu­­ftig, knöpften ihre Uniformen 108 und wälzten fie ungenirt in ihrem Kebnfeffel. Der Oberpolizeimeister präsidirte, und als ich Hineintrat, wandte er sich zu einem Mann, der ft und summ in einer Ede saß, mit den Worten: , Bater, ist es Ihnen ge­­füllg?" Hier erst fab ich, daß er ein alter Pfaffe mit­ grauem Bart und violettem Gefiggt war, der in der Ede saß. Er schlummerte, w­ünschte nach Hause zu geben, dachte an andere Dinge, gähnte und bedeckte den Mund mit der Hand. Mit einer zögernden, etwas singenden Stimme fing er an, mich zu ermahnen, sprac über die Sünde, die Wahrheit vor solchen Personen zu verhehlen, die vom Kaiser eingefegt seien, und über die Nuglosigkeit solcer Verhehlungen, wenn man das allhörende Ohr Gottes in Betracht nehmet er vergaß nicht, sich auf die Bibelsprüche zu berufen s Es gibt eine Gewalt außer von Gott, und: Gebet dem Cäsar was des Gäfars it. Zum Edlub befahl er mir, die heilige Schrift und das Kreuz zur Bekräftigung meine Geliones, Die Wahrheit zu gestehen, zu Füfsen. Dieses Gelübde aber hatte entlassen, bag er heimen Gesellschaft und auf die Mitglieder derselben, darüber nichts aussagen und würde mit der Warnung durch Leugnen sein Schicksal nur verschlimmern werde. Dem Kaiser,,der um dieezeit nach Moskau kam,dauerte die Unters­­uchung sowohl gegen die Mordbrenner,wie gegen die politischen Gefangenen zu lange.In Bezug auf erstere befahl er,sie in drei Tagen zu beendigen.Dies geschah auch­.Man brachte die Verdächtigen mitspei­­­geln zum Geständniß und verurtheilte die so schuldig Befundenen zur Knute, zutcandmarken und zur Zwangsarbeit.Bei der Exekution des Urtheils wandte sich der erste zur Knute Verurtheilte an das Volk und betheuerte laut,er sei unschuldig und wisse nicht,was er unter dem Einfluß der Schmerzen gesprochen habe. Hierbei nahm er sein Hemd ab und rief: „Rechtgläubige, feht!" Ein Schrei des Entgegens Tief durch die Menge, der Rüden war nur eine blaustreifige Wunde und auf tiese Wunde sollte die Anute angewendet werden. Trogdem wurde die Strafe vollzogen, aber der Borfal brachte das gemeine Bolt in große Aufregung und erregte selbst in höheren Gesellparterreifen solches Aufsehen, daß der Staffer von der Gade erfuhr und eine neue Untersuchung anordnete. Zwei der Bestraften wurden unschuldig befunden und mit 200 Rubel Banjo für jeden Hieb und einer Bescheinigung, Daß sie unschuldig gebrandmarkt worden, entschädigt. Für die politischen Gefangenen febte der Salier eine neue Untersu­c­hungskommission unter dem Fürsten Cak­sin ein. Anlaß zu dem Prozeß hatte ein Spottlied auf den Kaiser gegeben, das eine Anzahl Studenten in jenem Trinigelag am 24. Juni gesungen hatte und das durch einen in der Gesellscaft anwetenden ehemaligen Ofrizier, einen Polizeispion, zur Sternt=­niß der Behörde gekommen war. Herzen und sein früher verhafteter Freund waren nicht dabei ge­wesen, aber man hatte bei den Freunden der verhaftes­ten Studenten Briefe von ihnen gefunden und zog sie ebenfalls mit in die Untersuchung, zumal, da man bei ihnen verdächtige Schriften entbdckt hatte. Die Untersuchung dauerte bis in den Februar 1835, und obgleich gegen den und zunächst Angehenden eigentlich nichts herauskam, wurde er nach Perm in die Verbannung geschickt, um sich Dort im Staatsdienst zu befrern, von da aber nach Wiatka weriet. Herzen hatte sich Dort nicht besonders wohl befunden. Ungefähr 20 Schreiber befanden sich in der Kanzlei, meistens Leute ohne die geringste Zu seinem Glack wurde Herzen bald von der Nothwendigkeit, in der Kanzlei zu arbeiten, erlöst und durfte zu Hause schreiben. Das Ministerium des Innern hatte nämlich statistische Tabellen über alles Mögliche verlangt, und da die andern Kanz­­listen mit der verwidelten Arbeit nicht umzugehen mußten, so fiel sie Herzen át. Als Grundlage dienten ihm die von der Landpolizei eingereichten Nö­­tigen, in denen freilich viel Unsinn fand, z. B. in einem Bericht aus der Stadt Rat unter der Rubrik Ertrunkene : Ziel, unter der Rubrik: Die Ursachen des Ertrinkens : Sind unbekannt, und in der Rubrik der Summen : Bier; oder in der Rubrik über die Moralität der Einwohner. In der Stadt Sat befinden sich seine Juden. Später wurde Herzen einer Kommission zur Resigion der Verwaltung der Kronländereien beigegeben, da in denselben Tas Stehlen bis zum Höchsten Grade gediehen war. Dabei bekam er in den Alten gar unwunderliche Dinge zu lesen; z. B. Prozeß wegen des Gebäudes der Gemeindebehörde, das verloren gegangen ist, ohne daß man weiß, wo es geblieben ist, und wegen des von den Mäusen aufgetreffenen Plans best felben ; Prozeß wegen 22 verlorener Kronpächtereien (ein Flächenraum von ungefähr 15 Dundantwerften) ; Prozeß über die Einregistrirung des Bauern­­m­aben Wafily ins weibliche Geschlecht. . Dieses arme Bauernmädchen Wafily hatte nämlich der Pope, da er bei der Taufe betrunken gewesen war, als Knabe getauft und als solchen in das Kirchenregister eingetragen. Anfangs machte sich der Vater wenig Sorge darüber; als das Mädchen aber heran­­wuchs, bedachte er, daß Die Regierung nun bald den vermeintlichen Knaben als Rekruten beanspruchen und für ihn Kopfsteuer verlangen werde. Er meldete es nun dem Altmann und dem nänßsten Polizeibeamten, die Polizei fand den Fall sehr schmierig und mies den Bauer ab, um ihn los zu wer­­den, weil er die zehnjährige Verjährungsfrist hatte verstreichen Taffen , denn das Mädchen war schon 15 Jahre alt. Der Bauer wendete sih­m weiter an den Gouverneur und Dieser verlangte eine Bescheinigung vom Arzt und der Hebamme, daß der Knabe Daily in Wirklichkeit weiblichen Geschlechts sei. Es entstand nun eine lange K­orrespondenz mit dem Konsistorium, die noch nicht zu Ende war, als Herzen die Akten einsah. Ein neuer Statthalter, der an die Stelle des früheren kam, brachte einen guten Willen mit und wollte anfangs Alles selbst seien. Seine del­lung von dieser Schwäche schildert Herzen in einer dramatischen Szene. „Es tam ihm aus einem andern Gouvernement ein Papier zu Händen, das er ein, zwei, Drei Mal d­urchlas , ohne Deffen Inhalt verstehen zu können. Er ließ seinen Sekretär kommen und gab es ihm zu lesen; der Gefretär war ebenfalls nicht im Stande auseinanderzufegen,, wovon ee sich handele. „Das werden Sie nun mit diesem Papiere thun, wenn ich es Ihnen in die Kanzlei gebe?" fragte K., der neue Gouverneur. „Ich werde­te an den dritten Tisch abfertigen, es betrifft den dritten Tisch." „also weiß der Vorsteher des dritten Tisches, wovon es handelt 2‘ „ie sollte er es nicht wissen, Éw, Exzellenz! Er verwaltet ja seinen Tisch nun schon das siebente Jahr.“

Next