Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1881. August (Jahrgang 8, nr. 2315-2341)

1881-08-01 / nr. 2315

x dedaction und Adminifiration: Heltauergafje 23, Ersheint mit Ausnahme der Sonn- und Leier­­­tage täglich. Abonnement für Hermannstadt: monatlich 85 fl., vierteljährig 2 fl. 50 Er., Halbjährig 5 fl., ganzjährig 10 fl. ohne Zustellung ins Haus, mit Zustellung 1 fl. 3 fl. 6 fl., 12 fl. Abonnement mit Postversendung: Für das Inland: vierteljährig 3 fl. 50 Mn, Befojährig 7 fl. ganzjährig Für das Ausland: vierteljährig 9_ RM. oder 12 Fres., Halbjährig 18 ARM. oder 24 Bea­­genajahrig 36 HM. oder teB. Unfrantirte Briefe werden nicht wee Manuskripte nicht zurückgestellt. N 2315. ageblal dermannstadt, Jl­ontag 1. August 1881. hs Deutsche Kolonialpolitik im Hüdoflen. . «."eroäten Kolonien-Beitragur Kritik der neuen Kolonials GLoehms Se 2 Karten. Bonn, mit Strauß. 1881.­ a II. Im Vergleiche mit anderen Nationen, steht das deutsche Volk, so jede­­r auch intellectuell voranleuchten mag, materiell noch sehr zurück. Namentlich steht es der Auswanderungsfrage bisher noch, ziemlich unbe­­­holfen gegenüber. Wohl ist das deutsihe Auswanderer Kontingent nur immer ein Bruchteil des jährlichen Bevölkerungszumachtes, dessen sich Deutschland erfreut, denn in den 5 Jahren 1876—1880 betrug ersteres 214.067, septerer, jenes abgerechnet, 2,745.534 Köpfe. Es vermehrt sich also in Deutschland pro der Auswanderung die Bevölkerung jährlich um mehr als '/, Million, während diese Vermehrung in Frankreich, das fast gar seine Auswanderung hat, kaum 200.000 beträgt. Aber auf diesen auswandernden Bruchtheil des jährlichen Bevölkerungszumachtes den Ge­­­fahren der Entdeutighung sorglos zu überliefern, wäre eine leichtsinnige, verschwenderische Haushaltung deutschen Wesens. Daß hier, troß der Gründung des deutschen Reiches, noch seine Ab­­­gie erfolgt ist, schreibt der­­­ Verfasser der Unfertigkeit der Organisation des eutschen Reiches zu. · « »Dem mit Blut und Eisen errungenen deutschen Reiche mangelkno die feste Gestaltung zzersetzend und hemmend wirkt der überwiegende Emily des reinen Formalismus im parlamentarischen Leben und ernst sind»die Be­­­denken,ob auch in entscheidenden Momenten zur Wahrung und Förderung nationaler Interessen auf lebendiges,opferfreudiges Zusammengehen und Miteinanderwirken aller Theile zu rechnen sein werdt.Vorleinhert wurde von der politischen Existenz des Deutschen Reiches noch gar nicht eredet; auch Heute noch fehlt der Form der nationalen Einheit das be­­­lebende Gefühl der Einigkeit, während im Vorgefühl der Stärke und Reife einer großen Nation, die doch­­­ erst werden soll, jugendlicher Mebermuth, frischem Mott gleich, sich gebärdet.­­­ Will man aber durchaus, wie bei so vielen anderen Veranlassungen, fremde Vorbilder nachahmen, so scheint fürs Deutsche Reich Amerika maß­­­gebender zu sein, wie England. Auf die Grundverschiedenheit des Charak­­­ters der Bevölkerung bleibt jedoch auch­ Hier Rücsicht zu nehmen und zu betonen, daß das Deutsche Neid seine Existenz hauptsächlich, seiner eigen­­­artigen­­­ Heereseinrichtung und seinem unvergleichlich gesalten, aber auch nur auf bdeutiche Verhältnise berechneten Beamtenstände verdankt; diese beiden Institutionen, mit ihren Systemen des Evercivend und Erami­­­nirens, grundverschieden von den Gewohnheiten des Amerikaners, sind auf die Bildung des deutschen Wolfscharakters von bestimmendem, seit den Er­­­folgen von 1866 und 1870 wachsendem Einfluß, und mit ihnen ist bei der nationalen Weiterentwickklung, als wichtigsten Faktoren, zu rechnen. Hinter dem Deutschen Reiche liegt zwar nicht, wie vor 100 Jahren hinter den O­riginal-Küstenstaaten der amerikanischen Union, ein unbe­­­grenztes Fee von freiem Grund und Boden, und einstweilen decken Deutschland und das Deutsche Reich fs nicht. Im Vergleich zu Deutschland sind aber die angrenzenden Ballanterritorien schwach bevölkert, fordern die fultivatorische Thätigkeit des überlegenen Nachbarn heraus und bieten derselben in jeder Beziehung, ideal und real, einen ganz anderen, näher Liegenden und deutscher Leistungsfähigkeit wirdigeren Wirkungstreis, wie das Äquatoriale Afrika oder irgend ein anderer Welttheil.“ Dem Verfasser erscheint es als ein klägliches Shhaun daß über­­­seeliche Kolonialprojekte auftauchen, während der von Deutschen für die Kulture gewonnene Boden in der nächsten Nähe Deutschlands den wilde­­sten Angriffen ausgelegt sei, die Deutschen durch die Tschechen von der ältesten deutschen Universität verdrängt werden und der Deutsche in Ungarn das Objekt der durch die Regierung unterftagten Magyaristrungsvereine und fortwährender Deutschenhegen ist. Dort ist deutsches Interette zu be­­­wahren; der in Wien gegründete „Deutsche Schulverein“ zeigt den Weg. Erst wenn in Osten keine Gefahr mehr dem Deutschthum­­bie, werde­­n 3 erlaubt sein, den Blid in die Weite schweifen zur Laffeıt. Interessant ist eine dem Buche beigegebene Karte, welche die Ver­­­breitung der Deutschen in Europa veranschaulicht und zeigt, wie groß die Baht der­ Inseln gleich, in Polen, Rußland, Ungarn und anderwärts ver­ Keen Bruchstück der deutschen Nation ist, die jet alle in hartem ampf um ihre nationale Existenz mit in der Wahl ihrer Mittel nicht serupulösen Gegnern begriffen sind. Dort im Osten und Südosten, ganz nahe durch­ Eisenbahnen zugänglich, liegt, ein großes ergiebiges Feld fü­r die deutsche Auswanderung und Industrie. Dorthin findet unauffällig auch fest eine ziemlich starre Auswanderung statt. So ist in den 20 Jahren, 1857— 1876, allein aus den Ländern des­­­deutschen Reiches eine Halbe Million Deutscher nach Rußland eingewandert. Der Verfasser hebt hervor, daß „die Menge der „im Dosten“ zer­­­streuten größeren und kleineren deutschen Ansiedelungen, von denen jede in ihrer Art eine Heine Insel, unendlich werthvoller für deutsche Kultivation, als wenn sie im fernen Ocean vom Wasser umgeben wäre; man erwäge die Bedeutung des großen Feldes, welches hier der alle Kultur fordernden, ja bedingenden Kommunnikationserleichterung duch Eisenbahnbau noch offen steht, ergiebiger für die deutsche Industrie, wie alle möglichen oceanischen Dampfschifflinien. „Wenn in früheren Zeiten die Natur ihrer geografischen Lage und ihres Bodens jene Kleinen Küstenstaaten am Mittelmeere und an der Außenseite unseres Kontinents dazu drängte, auf ferner Liegenden Punkten, über See, One zu gründen, sobald den Bewohnern die kontinen­­­talen Grenzen durch die Historische Entwicklung der Nachbargebiete ver­­­schlossen wurden, und auf die Weise 3. B­­­ae und Holland, die nur durch sHwache Naturgrenzen von ihrem Hinterland geschieden werden, sich dennoch wirtschaftlich wie politisch nur durch Machtentfaltung nach der Seeseite erhoben haben, so geschah dies unter, von den heutigen sehr ver­­­schiedenen Verhältnissen der Weltlage, der Verkehrsmittel, der wirthschaft­­­lichen es und der politis­chen Ziele. Nicht darum handelt es sich, was einst für Portugal und Holland zweckmäßig gewesen, sondern um die Politik, welche dem Deutschen Reich, wie es eben ist, gegenwärtig ansteht. Einst war auch der Ordensstaat, das spätere Sergogbum Preußen, nur eine nach Osten vorgeschobene deutsche Kolonie. Aus dem Kurfürsten­­­thum Brandenburg wurde 1660 der Preußische Staat, aus diesem 1871 das Deutsche Reich, und sofern dessen Ausbau die Gestaltung einer deutschen Nation bezweckt, wird die bdeutsche Nationalpolitik nicht dem B­eispiele Portugals oder Er oder Englands, sondern dem der Nordameri­­­ka Union folgen und sich einstweilen auf den Kontinent beschränken müssen. Konzentration mit Hinblick auf die der normalmäßigen Nation ent­­­sprechende Arrondirung, nicht Befruchtung überseeischer S Kolonisationg­­­erperimente durch das Deutsche Reich, muß gegenwärtig als dringendes nationales Bedürfniß selbst von Denjenigen empfunden werden, die im guten Glauben an das Bereichende der Kräfte, vielleicht auch in der Hoff­­­nung. Durch Ablenkung der Aufmerksamkeit nach Außen den mit der wachsenden Mißstimmung großer Bolfswaffen drohenden Verlegenheiten im Nr. 23; in Kronstadt die Buchhandlungen Heinrich Dresswandt, Fr. Wilhelm Frank, Heinrich Zeidner, Mediasch J. Hedrich’s Erben, Schässburg C. F. Erler’s Buchhandlung, Bistritz Friedrich Wachs­­­mann Nr. 187, Sächsisch« Regen Adolf Dengyel, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Batzoni, Lehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein - Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, Rotier , C., H. Schalek, Past A. V. Goldberger, Frankfurt a. M ., L. Daube & C. Infertionspreis: _ Der Raum einer einspaltigen Garnondzeile lüftet beim einmaligen Einraden 7 tr., das zweitemal je 6 Er., das drittemal je 5 fr. d. W. exclusive der Stempelgebühr von je 30 Er. Pränumerationen und Inserate übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauergasse + PBrümmmerationg-&inladung auf das Siebenbürgisch - Deutsche Tageblatt. Mit 1. August beginnt ein neues Abonnement auf das EEE EORNT Tageblatt“, Pränumerationen und Inserat3-Aufträge werden entgegen­­­enommen: in Hermannstadt beim H­­auptbureau, Berne 23, in der Buch- Genius Franz Michaelis, und Elisabethgasse Nr. 29 bei Gustav Gürtler; auswärts bei­­de am Kopfe des Blattes genannten Firmen. Der Verlag des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatts“ (Hermannstadt, Heltauergasse Pr. 23.) br­­i y N er Siebenbürgi-Deutsches Innern entgegen zu wirken, überseeliche Kolonisation fest schon durch das Reic­ betreiben möchten. Vorsicht gebietet, Bersplitterung der Kräfte zu vermeiden und sich auf solche Schritte zu beschränken, welche die Konsolidirung der Grund­­­lagen des Deutschen Reiches zweifellos fördern, ehe deren Vertreter der bisherigen Entwickklung so fern liegende, in ihren Folgen unberechenbare U­­arnungen, wie der Erwerb überseeischer Aderbau­ K­olonien,, darauf allen.“ · Sot­tifäge Nebericht, Hermannstadt, 31. Juli. Den Sturz des Kabinet Taaffe herbeizuführen ist die b deutsch­­­österreichische P­resse in eminenter Weise thätig, und jeden Tag wird das „menu“ gegen Zaaffe den Lesern im den verschiedenartigsten Zubereitungen aufgetu­ht. Sit e8 mun aus eigener Kraft bislang auch ‚nicht gegangen, so gewärtigt man um so mehr dies durch die Hülfe von „jenseits der Leitha”, „denn, schreibt ein Wiener Korrespondent der „National-Ztg." vom 25. d. M. Alles deute darauf hin, daß der Augenblic nahe sei, daß die Staatsmänner in Pest mit dem ganzen Macht­ und Verantwortlichkeitsbewußtsein ihre Schuldigkeit thun würden! &8 sei gar sein Zweifel, daß die Herren Prazar und Dunajewsti gegen das Gewicht der Einsprüc­he des neuerdings Durch die Wahlen gefestigten ungarischen Schonteilspräsidenten nicht aufkommen würden und daß der tschechische Notensput sehr bald ein Ende haben werde, wenn Ungarn das Gefe anrufe”. Von diesem Korrespondenten erfahren wir zugleich, daß beide Regierungen, milde ausgedrückt, sich gegenseitig gefliffentlich und offiziell ignorirren. Nicht ganz so fanguinisch für die nächste Zukunft ist Dagegen der Führer der Fortschrittspartei Graf Wurmbrand gestimm­t. In dem Rechenschaftsbericht, den versehle­­rer Grazer Handelsjammer vor­­­gelegt, glaubt er zwar auch nicht an eine längere Vorrexistenz des Kabinett­­s Taaffe, betrachtet jedoch die Erregung desselben zunächst nur doch ein politisch indifferentes Beamten-Miinisterium bei gleichzeitiger Auflösung des Abgeordnetenhauses als die ins Auge zu lassende Eventualität. Ihrer Suche gewiß scheinen nur die Tschechen zu sein, wenigstens äußern sich ihre Blätter derartig. „Wäre”, schreibt die „politis“ an einer Stelle, „der ganze Aus­­­gleichsversuch, den Graf Taaffe im Namen der Krone unternommen, nicht ein frivoler gewesen, wenn man nicht a priori entschlossen gewesen wäre, sich von jenem natürlichen Widerstande (der Verfassungspartei) nicht beirren zu lassen? Graf Taaffe wird die Flinte nicht ins Korn werfen.” An einer andern Stelle schreibt das genannte Blatt wieder, daß die Verfassungspartei dem Kabinet Taaffe total unschädlich sei, und bemerkt zugleich, da die ungarische Negierung trog wiederholter Aufforderung ein gemeinsames Vor­­­gehen in dieser Frage abgelehnt habe und selbstständig vorgehe, habe auch die österreichische Regierung die Freiheit ihrer Entschließungen gegenüber der Oesterreichisch-Ungarischen Bank wiedergewonnen, wodurch eine zwar neue, aber durchaus nicht nachtheilige Situation für die cisleitgantische Regierung geschaffen worden sei. Der Wiener Korrespondent des "Eras" sagt an, das Ministerium Zaaffe stehe fester, als sonft und zwar „lediglich in Folge der Uneinigkeit in der Verfassungspartei, welcher Herbst’s N Rüczug von Todesstoß gegeben.“ Graf Zanffe hat, wie man sieht, das Tänzchen, welches ihm ein großes Wiener Blatt vor nun bald drei Jahren anbot, gewagt, die Frage ist nun wohl die, wer bei diesem Zanze am längsten aushält. Bei Beginn der nächsten Session des deutschen Neichstages wird, wie die „Bad. Landes-Ztg." hört, das Unfall-Versicherungsgeset bereits in wesentlich anderer Form und mit erweiterter, zum Theil neuer Begründung der Volksvertretung vorgelegt werden. Die mit der Ausarbeitung betrauten Kräfte im Reichsamt des Innern berathen gegenwärtig aufs Neue mit herborragenden Interessenten dieses Zweiges der Versicherungsgeseßgebung. Gleichzeitig werden im Neichigamt des Innern die Vorarbeiten zur weiteren Verstaatlichung des Versicherungswesens betrieben.­­­ I­­ deuilleton. Die Entführung. Novelle von Stanislaus Graf Grabomizti. (25. Fortlegung.) Der Unglückkiche begriff nun Alles. Er snirschte unwillkürlich mit den Zähnen, aber sein Wort ging über seine Lippen; theils war ihm der Hals wie zugeschnürt, theils wollte er sich nicht durch eine unnüge Ditte erniedrigen. Er mußte es geschehen Lassen, daß man ihm die schweren Ketten an Hände und Füße legte, obgleich es ihn, wer sich wenigstens seines gemeinen Verbrechens bewußt war, auf das Ziefste empörte, daß man in dieser rücsichtslosen und rohen Weise gegen ihn vorging. „Es ist sehr Aug von Ihnen," spottete der Kriminal-Commissarius, dessen Gesicht von freudigem Triumphe glühte, weiter, — „daß Sie zu Ihren bisherigen großen Verbrechen nicht noch das des Widerstandes gegen die Staatsgewalt fügen; aber e8 würde Ihnen jegt auch nichts mehr helfen, — e8 hat uns sehen Mühe genug gemacht, Ihrer habhaft zu werden. Kleiden wir nun bieten Herrn an, denn wir müssen uns bald wieder auf die Reife machen.” · · Die beiden Helfer gehorchten der Weisung des Herrn Commissarius, wobei sie mit ihrem gefesselten Gefangenen wieder nicht auf das zarteste verfuhren.Noch war er wie geistesabwesend,der Körperschiebkkg umzu­­fühlen,was mit ihm geschah,nur einmal seufzte er unwillkürlich ans tiefster Brust: „Arme Laura!" „Ach, Sie meinen Ihre werthe Frau Gemahlin, Frau Architet Berg­­­mann?“ meinte der Commissarius in dem früheren Zone. „Seien Sie deßhalb ganz unbesorgt; sie wird Ihnen bald auf demselben Wege folgen, den Sie fett gehen." Dieser Spott und die Drohung für die Frau, die er so sehr liebte, brachte Harrich wieder zu sich; er richtete sich, traf bei schweren Ketten, auf, sah den vorgeblichen Kaufmann Braun fest an und fragte: „Wer sind Sie, um si fo unerhörte Gewalttaten gegen mich er­­­lauben zu dürfen.“ „Mein Name und Stand braucht Ihnen sein Geheimniß zu bleiben,“ er­widerte Sener lächelnd: „ich bin der Kommissarius Weiß von der ***schen Kriminalpolizei. Was die unerhörten Gewaltthaten anbetrifft, so berechtigt mich mein Amt nicht allein dazu, sondern schreibt sie mir vor." „Da nur gegen gemeine Verbrecher !" „Gibt es noch schlimmere, als die des Mordes und Diebstahls Schuldigen?" fragte der Kommissarius mit einem bezeichnenden Wide. Der Lieutenant fuhr zusammen und starrte ihn groß an; langsam und mit bebender Stimme wiederholte er: „Des Mordes und des Diebstahle­­s — Was hat denn das mit meiner Schuld zu thun? — Man wird mich bo nicht etwa anklagen wollen —" „Geduld, mein Lieber, darüber können Sie sich mit dem Untersuchungs­­­richter unterhalten.” „Ich bin also doch nur ein Untersuchungsgefangener, fein übertriesener Verbrecher, und Sie behandeln mich schon wie einen solchen I" „Larifari! Lasfen wir das Reden, und gehen wir! Ye vernünftiger und stiller Sie sich betragen, desto besser wird es für Sie sein, — die Polizei spaßt nicht.” Harrh preßte die Lippen aufeinander und folgte seinen Begleitern oder ließ so vielmehr von denselben führen; er suchte die innerliche Erschütterung zu überwinden und einen festen Schritt, eine aufrechte Haltung zu bewahren, aber die Fesseln wollten dies nicht recht gestatten. In dem Gasthause und vor demselben, wo die Postkalerd­e hielt, Hatte sich schon eine Anzahl Menschen gesammelt, welche die Neugierde trieb, von schweren Verbrecher zu sehen, was er verschuldet haben sollte, ob er überhaupt Etwas vers­­­chuldet hatte, mußten sie nicht, aber er genügte den Nahen unter ihnen, — und das war offenbar die Mehrzahl, — den mit Ketten Belasteten mit Hohn und Verwünschungen zu überschütten. Herr Weiß hatte schon deshalb Eile, sich mit seinen Begleitern aus dem Staube zu machen, weil er ae­­mußte, man werde sich sonst an seinem Gefangenen thätlich vergreifen. Harry mußte im Fond des Wagens Play nehmen, der Kommissarius feßte sich neben ihn, die beiden Gehülfen ihnen gegenüber. Das Fuhrwerk rollte schnell davon. Selbstverständlich waren auch vorher Harry’s Effekten untersucht worden, aber man fand vegen nur wenige bei ihm, einige Wäsche und berbleichen, und nahen sie mit. Unterwegs zündeten sich die drei Polizeibeamten Cigarren an und rauchten dem Gefangenen, der den Kopf in die Ehe des Wagens gelehnt und die Augen geschlossen hatte, tüchtig in das Gesicht; sonst unterhielten sie sich in ihrer Weise, wohl auch über den glüclichen Fang, den sie ge­­­macht hatten. Was ging indessen in Harry vor, der, wenn auch nicht frei von aller Schuld, doch wohl auf das Tiefste eine so unwürdige, unverbiente Behandlung neben dem grenzenlosen Schmerze, gewaltsam von der Geliebten getrennt zu werden und sie dem ungewisfen­en Schidsale preisgegeben zu willen, empfinden mußte? — Der Berfuch einer Schilderung könnte wohl bei Weiten nicht an die Wirklichkeit Hinreichen. Gewiß wünschte er nichts mehr, als sich selbst den Tod, und in seiner Verzweiflung würde er ihn unfehlbar gesucht haben, wäre ihm nur die Möglichkeit dazu gegeben gewesen. Es ist Son ohnehin schredlich, unter einer unverschuldeten schweren Anklage zu stehen, dem beschimpfenden öffentlichen Urtheile preisgegeben zu sein, aber da tröstet doch zuweilen noch die Hoffnung, die Wahrheit müsse und werde früher oder später an das Licht kommen und man damit eine­­­endliche Genugthuung für die ausgestandenen schweren Leiden erhalten. Welche Genugthuung wird aber dem freigesprochenen Untersuchungsgefangenen für die rauhe physische Behandlung, der man ihn ununterwirft und die nicht allein meistens sehr nachtheilig auf seine Gesundheit wirkt, sondern einen Mann, in dem noch ein Funken von Ehre glimmt, vor sich selbst so tief­­­ hinabfegt, daß er, der Unschuldige, schwerlich umh­in können wird, später, wenn er ihnen begegnet, vor Denen zu erröthen, die ihm so frevelhafes Unrecht gethan haben? — Der erröthen sie etwa vor ihm, Bitten sie ihn um BVerzeihung? — Gemwiß nicht, sie werden höchstens achselzudend sagen: „Unsere Pflicht gebot es so!" Und wäre denn eine Abhülfe eines so sehreienden Weberstandes ganz unmöglich? — Traurige Civilisation, die sie nicht finden kann, die in dieser Beziehung nuc­­ben einen Grundlag aufzustellen weiß: „Fiat justitia, pereat Sn N.

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