Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1892. September (Jahrgang 19, nr. 5692-5717)

1892-09-15 / nr. 5704

­ Redak­tion und Administration Heltauergasse 23. Sr sheint mit Ausnahme des auf Sonn- und Letertage folgenden Wochentages täglich. Abonnement für Hermannstiadt: « mongnichszkk»vierten-ehrlich2fl.50kr.,halb- 1ä­hrig5fl.,ganzjährigl­flohn­eZustellu­ng in’s Haus,mit Zustellung 1fl·,3fl.,6fl.,12fl. Sbonnement m­it illostversendung «Jürda-F;nktivioi­­t-viertel·ür­3.50kr.halbjäh­7»an­­­ihn fl·jährig­ 14 fl· hgsigz Für das Ausland: bierteljährig 7 NM. oder 10 Fre3., Halbjährig 14 FR. oder 20 3 aageig 23 AM. oder TH. Eine einzelne Nummer testet 5 fl. d. W. Unfrantirte Briefe werden nicht angenommen, Manuskripte nicht zurückgestellt. Nr. 5704. XIX. Jahrgang Siebenbürgisch-Deutsches Hermannstadt, Donnerstag 15. September Pränumerationen und Inserate übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauer­­­gasse Nr. 23, in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresswandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz G. Wachsmann, Sächsisch-Regen Carl Fronius, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Batzoni, Zehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein &’ Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Heinrich Schalek, J. Danne­­­berg, Budapest A. V. Goldberger, B. Eckstein, Frankfurt a. M. G. L., Daube & Co., Hamburg Adolf Steiner, Karoly­­n Liebmann. Insertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmonbgeile tostet bei­ einmaligen Einrücen 7 fr., das zweite­­­mal je 6 fr., das drittemal je 5 fr. d. W. ex­­­celusive der Stempelgebühr. von je 30 fr. 1892, — ® RT _ — m Die französische Republik und der Sozialismus. Bei den sehr optimistischen Betrachtungen, die der Präsident Carnot und seine Minister in ihren legten Neben über die Lage der französischen Republik anstellten, übersahen sie mehr oder weniger gefliffentlich die seit einiger Zeit so deutlich hervorgetretene Verschärfung der sozialistischen Bestrebungen. Man giebt ss in den­­­ Regierungskreisen den Anschein, alles fü­r gervonnen zu halten, weil die monarchistische Opposition num endgültig verschwunden ist, und vers­­meidet es, die größere Gefahr und Auge zu fassen, die der Republik von der entgegengelegten Seite her aus den Unternehmungen der revolutionären Welt­­­verbesserer erwachsen könnte. Diesen Unternehmungen könnte man vielleicht mit philosophischer Gemütsruhe auschauen, wenn die sozialistischen Sekten dem Grundtag treu geblieben wären, daß man auf alle Errungenschaften nur mit dem Stimmzettel hinarbeiten dürfe; denn im Frankreich denkt die große Menge zu praktisch, sie Huldigt, aus kleinen VBefikern bestehend, zu sehr den alten­­­ Vorstellungen von dem persönlichen Besis, um si zur Würdigung der sozia­­­listischen Ideale aufzushroingen. Aber jenem Grund ja wird die Partei mehr und mehr untreu und erst legter Tage bemerkte man in einer großen soziali­­­stischen Versammlung in der Pariser Arbeitsbörse, daß die gewaltige Mehrheit der Teilnehmer mit großer Verachtung des allgemeinen Stimmrechtes der rein anarchistischen „Werbung durch die That“ zujubelte. Wenn diese Theorien zur Geltung kommen, so wird die Republik ihrerseits die Gewalt anzuwenden haben, um ss der sozialistisch-anarchistischen Feinde zu erwehren; und eine solche Gewaltpolitik könnte für sie selber nicht ohne üble Folgen bleiben; sie müßte die Opposition von rechts, die man erstickt zu haben glaubt, wieder ins Leben rufen. E83 ist also der Mühe wert, dem­ gegenwärtigen sozialistischen Feldzuge etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, al ihm die Männer der republika­­­nischen Regierung gönnen zu wollen seinen. Die Vorgänge in Carmaug bilden hiebei bloß eine Episode, obgleich ihre Tragweite nicht unterfchäßt werden sol und sie jedenfalls dazu angethan sind, die Arbeiterpartei im ganzen Lande in eine gereizte Stimmung zu verlegen und für aufrührerische Einflüsterungen empfänglicher zu machen. Auch der Kongreß der sozialistischen Gemeinderäte, der am nächsten Sonntag in Saint-Ouen eröffnet werden soll, hat am Ende nur eine untergeordnete Bedeutung, und der Schwerpunkt des neuen sozialis­­­tischen Treibend wird in dem für den 24. d. Mis. einberufenen Kongreß in Marseille zu suchen sein. Es wäre angesichts der immer zunehmenden Stärke der Bewegung in den Arbeiterschichten b­ericht, seine Wichtigkeit zu bestreiten. Die Einladung zu dieser Versammlung ist von der „margistischen“ Gruppe, den Herren Guesde, Lafargue u. s. w., ausgegangen, aber die anderen sozia­­­listischen Selten haben ihr mit einer Bereitwilligkeit zugestim­mt, die vermuten läßt, daß die ehemals unter ihnen Herrschenden Bmistigkeiten sich mehr und mehr abschwächen. Diese Versöhnung der feindlichen Brüder, die bei mehreren Gelegenheiten bereits, besonders bei den Erörterungen über die Maifeier, zu Tage trat, ist eine der charakteristischsten und bedenklichsten Eigentümlichkeiten der Schilderhebung, zu welcher der Erfolg der Sozialisten bei den Gemeinde»­­rgtsm­ahlen das Zeichen gegeben hat. Maorieife ist nicht ohne Grund als Kongreßort gewählt worden; die Partei darf für diese Stadt einige Vorliebe empfinden, denn dort stellte sie im Jahre 1879 das neue Evangelium auf, das die Zahl ihrer Anhänger von einigen Tausenden auf Hunderttausende gesteigert hat. Dort brach sie, acht Jahre nach dem Falle der Kommune, mit der Lehre der Mutuellisten, die in den Jahren 1876 und 1878 noch in Paris und Lyon triumphiert hatte, und kührte zu den Grundlagen der „Internationale“, denen sie noch eine größere Ausdehnung gab, zurück. Der Kollektivismus der Internationale erstreckte sich nur auf den Bodenbefig und ließ die industriellen und Handelswerkzeuge bef­­­seite, was man in Marseille annahm, war nicht nur der Gemeindesig des Bodens, sondern auch derjenige aller „Arbeitsinstrumente und alles Arbeits­­­materiales“. Mit dieser Grundidee hat man es zu den heutigen Resultaten gebrangt. Die Sozialisten sind die Herren einer beträchtlichen Zahl von Ge­­­meinderäten in allen Landesteilen, die restlichen ausgenommen; sie haben neun Vertreter im Pariser Rathause und Stotjlf im Palais Bourbon.Die Korporativ­­bewegung hat eine gewaltige Ausdehnung gewonnen; den Syndikaten haben ss die großen nationalen Gewerbigenossenschaften hinzugefügt. In allen größeren Städten giebt e83 Arbeitsbörsen. Sie haben ihr Bindeglied in dem „nationalen Arbeitssekretariat”, dessen große Aufgabe nach den Sozialisten es ist, nicht nur als beständiger Untersuchungs- und statistischer Ausschuß für alle Arbeitsfragen, sondern auch als Vertreter des französischen P­roletariats dem ausländischen gegenüber zu wirken. Aber diese ganze Einrichtung umfaßt bisher nur die Ar­­­beiter der Industrie; einer der Hauptzivede des bevorstehenden Kongresses in Marseille ist es, für sie die ländlichen Arbeiter zu gewinnen. Man macht sich die Schwierigkeiten an, die dabei zu überwinden sind; sie beruhen hauptsächlich in der starren Verftüdelung des französischen Bodenbefiges, welche die An­wen­­­dung der landwirtschaftlichen Maschinen verhindert. Nur in den nördlichen Departements bildete sich bis­­her infolge der großen wirtschaftlichen Kultur ein eigentliches ländliches Proletariat heraus.­­­urobdem glauben die soziali­­­stischen Führer die Gemeißheit zu haben, auch auf diesem Felde werde sich nun mit Erfolg arbeiten lassen, und sie zählen darauf, daß besonders in den fild­­­lichen Landesbezirken die Bauern für eine Werbung der revolutionärsten Art reif geworden seien. Es muß sich zeigen, ob die Ereignisse ihnen Recht geben; jedenfalls hätten die Regierung und die Republikaner nach den Erfahrungen der legten zehn Jahre alle Veranlassung, ihren Manövern gegenüber auf der Hut zu sein. Zur kirdenpolitischen Lage. Dem Hirtenbrief des Fürst-Primas Baßary ist die Antwort aus dem protestantischen Lager auf dem Fuße gefolgt. Sun Klausenburg tagt unter Vorsuß des Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Baron Desider Banffys, die General-V­ersammlung des siebenbürgischen re­­for­­­mierten Kirchendistriktes. Oberjurator Baron Banffy gedachte in seiner Eröff­­­nungsrede auch des Tipa’schen Jubiläums in Romorn. „Wird sind dahin gegangen”, sagte er, „nicht um Politik zu machen, nicht um den Fehdehand­ Schuh hinzuwerfen oder eine Herausforderung zum Kampfe anzunehmen, sondern um unserer Verehrung und Anhänglichkeit für jenen Mann Ausdruck zu geben, der seinerzeit den Mut besaß, für die Wahrung unserer gejeglich gewährleisteten Gerechtsame den Mächtigen gegenüberzutreten, und der­­weile und umsichtig genug war, als er selbst die Macht verwaltete, dieselbe niemals für konfessionelle In­­­teressen zu bewüßen, der im Interesse seines Glaubens niemals vergaß, was die Interessen des V­aterlandes fordert, der stets als Ungar handelte, obgleich er als Protestant fühlte. Unter der Wirkung dieser Empfindung haben wir an den Komorner Veittagen teilgenommen und un­ den Ovationen für Tipa­­ane geschlosfen, den die Vorsehung noch langes Leben gewähren möge, damit er als Führer unserer Kirche dem Schifflein derselben inmitten der aufgeregten Wogen den Weg weise, damit er auf seine Sandbank gerate oder durch die von einem größeren Schiffe getroffenen Wellen nicht weggeschmwenmt werde.” Dieser Lobrede auf Koloman Tifa folgte minutenlanger Beifall. Auch der vom reformierten Bischof jenes Distriktes, Dominit Szaf, er­­­stattete Jahresbericht gemm­mt unter den heutigen Umständen hervorragendes politisches Interesse. Eingedenk der jüngsten Synode der beiden evangelischen Kirchen wird in dem J­ahresberichte die Hoffnung ausgesprochen, dab beide Kirchen vereint in evangelischem Geiste für die liberalen Seen, für Aufklärung und Fortschritt kämpfen werden. Der Sieg dieser Seen könne nicht zweifelhaft seien ; die Räder der Jahrhunderte können nicht rückwärts gedreht werden, &o kann gar nicht vorausgesegt werden, daß die Gesettgebung Ungarns und Die daraus Hervorgegangene verfassungsmäßige Regierung sich zu unheilvoller Arbeit zusammenfinden und, den ultramontanen Strömungen weichend, jenem liberalen Geiste untreu werden konnten, der die Vergangenheit der ungarischen Geseb­­­gebung charakterisiert. Der Bericht spricht ferner die Hoffnung aus, daß die in jüngster Vergangenheit auf dem Horizonte Ungarns aufgetauchten sctwarzen Punkte nicht zu Gewitterwolfen heranwachsen und daß die unter dem Schlag­­­worte „Bar“ begonnenen Bersuche eben nur Bersuche bleiben werden. Aber selbst wenn der Sturm losbrechen sollte, so könnte er nur ein vorübergehender sein, und die ungarische protestantische Kirche wird dann die Luft noch hesser und intensiver reinigen. Sie hat schon viel stärkere Stürme überdauert und wird auch diese überleben, denn ihre Kraft ist heute stärker denn je, und sie bildet im Leben des ungarischen Staates einen Faktor, mit dem unbedingt ge­­­rechnet werden muß. Uebrigens werde der Angriff in erster Linie nicht gegen die protestantische Kirche, sondern gegen die Rechtsordnung unseres Staates, gegen die Souveränetät der Gesettgebung gerichtet. Diese beiden besigen Hin­­­reichende Kraft, um den Angriff zurüczuschlagen. Die Liberale öffentliche Meinung Ungarns ist unser mächtiger Bundesgenosse, sagt der Bericht, und diese Fan nur vorübergehend ungestraft provoziert werden. Ueber den Hirtenbrief Vaßarys schreibt die „Neue freie Presse” : „Das ist nicht der Weg, der zum Frieden führt. Alle die vortrefflichen Mahnungen des erzbischöflichen Hirtenbriefes zum Vertrauen auf den göttlichen Ursprung der Kirche, zur Geduld und Selbstüberwindung, sein stürmischer Appel an den Patriotismus, welcher fordert, daß die ohnehin gereizten Ge­­­müter nicht noch mehr aufgereizt werden, müssen ihre Wirkung verfehlen, wenn jene unbegründete V­orauslegung, daß die katholische Kirche angegriffen sei, zu­­­gegeben wird. Der in seinen Tiefen aufgewühlte, der bischöflichen Führung nur no mit Widerstreben folgende Klerus wird aus allen Worten des Hirten­­­briefes nur jenes einzige heraushören, die Kirche sei verlegt worden, und die wenigsten werden zugeben wollen, daß auch in einem solchen Falle Geduld und Gelbstüberwindung noch Tugend sei. Bewußt oder unbewußt, gewollt oder nicht gewollt erfüllt der Primas mit diesem Hirtenschreiben das, was der evangelische Bischof ihm zum Vorwurfe macht, er stellt sie an die Seite der Bewegung, er verschärft sie und gibt­ ihr durch sein oberhirtliches Wort die firchliche Legitimation. It die Kirche verleßt, dann hat sie ein Recht sich zu wehren; steht der Glaube in Frage, dann giebt er für den Katholischen Priester seine höhere Pflicht, als ihn zu verteidigen; die Methode ist dann nur eine Frage des Temperaments, und was man bisher von dem ungarischen Klerus gesehen hat, das spricht nicht dafür, daß er in seiner Mehrheit sich für das demütige Dulden entscheiden werde, wenn er die Kraft in sich fühlt, zu kämpfen. Die ihmwarzen Punkte, die Tipa an dem kirchenpolitischen Horizonte Ungarns erblich hat, werden demnach auf solche Art nicht zum Verschwinden gebracht. Drud erzeugt Gegendrud. Schon meldet der Telegraph eine Protestkundgebung gegen den Hirtenbrief aus dem Klausenburger evangelischen Distrikte, an deren Spibe der Präsident des Abgeordnetenhauses steht, wie in Komorn im Mittel­­­punkte der Vorgänge der vierjährige Ministerpräsident Tipa, vielleicht der be­­­deutendste Mann des heutigen Ungarn, gestanden ist. Wenn der Primas, der behauptet, nichts für die Kirche, aber alles für die Nation zu fürchten, solche Männer an die Spike seiner Gegner treten sieht, so dürfte er doch einiger­­­maßen daran irre werden, ob er mit seinem Hirtenbriefe ein patriotisches Werk vollbracht hat, ja, es sind Zweifel erlaubt, ob er auch nur der Kirche damit gewüßt hat,” Bischof Pap ü­ber die konfessionelle Lage. Einem Mitarbeiter der „Pelti Hirlap” gegenüber äußerte sich der reformierte Bischof des trans­­­danubischen Distrikts, Gabriel Pap, über die absch­webenden Kirchenpolitischen Fragen in folgender Weise: Ermüssen erwiderte der Bischof auf eine hierauf bezügliche Frages­« de antero­ewers»dem Beschlusse des Distrikts gemäß nicht nur über interne wichtigere Momente,sondern über jede bedeutsamere Bewegung,welche direkt oder indirekt die reformierte Kirche tangiert,Berichterstatten,und dies allein war die Ursache,daß er in seinem Berichte die kirchenpolitischen Fragen be­­­­rührte.Herrn Tipa habe von dem Bericht erst Kenntnis erhalten,als da­­­s elbe ihm und den übrigen Mitgliedern gedruckt zugesendet worden.Auf welche Weise der Bericht in die Presse gelangte,bevor er im Konvent ver­­­han­delt wurde,sei ihm unbekannt;keinesfalls sei er für die Defentlichkeit bestimmt gewesen.Bezüglich einer,die Angelegenheit des Zwangs-Religions­­­unterrichts betreffenden Frage meinte der Bischof,daß hinsichtlich dieses Punktes das Gesetz die Klarc­rfügung enthalte,daß von den aus Mischehen hervor­­­gegangenen Kindern die Knaben der Religion des Vaters,die Mädchen der Religion der Mutter folgen,und das Volksschulgesetz mache die Religions-und Sittenlehre zu einem obligatorischen Gegenstande;so sei es natü­rlich,daß die «. Ren-kleines­ Unter der Königstanna Preisgetrönter Roman von Maria Theresia May. (8-Fortsetzung­) IM. " Waldesraufchen, minderbar get du mir das Herz getroffen: teulich bringt ein jedes Jahr Welfes Laub und welfes Hoffen! (genau.) Wie war es traul­ in dem Hübschen, behaglich ausgestatteten Gemach, das man im Schlosfe „das rote Zimmer“ hieß. Er lag dem Galon der Baronesse gegenüber und gewährte einen weiten Ausblid über den ganzen Vor­­­garten, über das Dorf Ober - Rotheim und die Felder und Wiesen, die sich daran schlosfen, auch den Waldpfad, den gestern Siegfried heraufgeritten war, und den Wald, dessen dunkle Wipfel Heute silbern gligerten und funfelten, konnte man vom „roten Zimmer“ aus übersehen. Es war in der Nacht starrer Reif gefallen und empfindlich kalt geworden. Das „rote Zimmer“, das von den Rotheim’sgen Familienmitgliedern gerne zu gemütlichen Plaudern in den Morgen- und Mittagsstunden aufgesucht wurde, hatte auch heute seine Anziehungskraft bewährt. Tante Lona, deren schöne, Schlanke Hände selten müßig im Scope lagen, arbeitete an einer unwunderfeinen Soige, nach einem alten, kunftvollen Muster; die Ausführung erforderte so große Sorgfalt, daß Baronesse Yella schon oft erklärt hatte, sie werde beim bloßen Zuschauen ungeduldig. Heute aber war die alte Dame nicht mit ganzem Herzen bei der Arbeit, die ihr sonst so viele Freude machte. March befümmerter Blid Tante Lonas streifte heimlich das s­­chöne Gesicht ihrer Nichte, die in einem Schaufelstuhle lehnte und die feinen Füße an das K­amingitter stemmte. Das herrliche Haar rollte in langen, schweren Loden über den Naden und wurde nur von einem prachtvoll gearbeiteten Korallenlamm zusammen­­­gehalten. Regungslos saß das junge Mädchen da, die Arme unter der Brust verschränkt und farrte in die Flammen. Ein Zunfe flog Herüber auf ihr Kleid von schwerem grauen Seidenstoff. Yella regte sich nicht, ja fast Schien es, daß der Funke verlöschte, ohne Schaden zu thun. „So­­rüde doch etwas vom Kamin zurüc, Bella, wenn du schon nicht den Schirm vorgestellt haben willste — sagte die alte Dame ängstlich. — „Du figert so nahe, daß auf dein Kleid sicher noch mancher Funke fliegen wird, “ „Was thut das, Tante?” sagte das schöne Mädchen gleichgiltig, ohne den Blick von den Stämmen zu wenden. „Du lieber Gott, w­ag das thut? Num, abgesehen von dem Unglück das entstehen kann und vor dem uns der Liebe Himmel bewahre, verdirbst du dein Kleid”, sagte Frau v. Balten etwas ärgerlich. „Dann zieht man ein anderes an“, entgegnete Yella so apathisch wie vorhin.­­­ Ein etwas unmilliger Ausdruch flog über das gütige Gesicht Tante Lonas. Doch ehe sie etwas erwiderte, hielt sie die Spihe glatt gespannt auf dem präch­­­tigen, rot und blau gemusterten Vorhange, um den Effekt der zuleit gearbeiteten Arabeeten zu beurteilen. „Dann zieht man ein anderes Kleid an“, wiederholte Tante Lona nach dieser Heinen Raufe, indem sie die Arbeit finden ließ, „und das unbrauchbar gewordene Kleid verschenft man, nicht wahr? Ich weiß wohl, daß du es so macht“, fuhr die alte Dame fort, als ihre Nichte nicht antwortete, „aber recht ist das nicht, Nella, gewiß nicht. Die Frau hat in jedem reife, in den Gott sie gestellt Hat, mag sie nun Fürstin oder eine schlichte Arbeitersfrau sein, die Pflicht, zu sparen. Man kann dabei sehr gut auch den Pflichten des Standes genügen. Seit ich bei euch bin, kann ich eine gewisse Unzufriedenheit nicht 108 werden, daß du alle Tage schon in frühester Morgenstunde in reichster Gesellschaftstoilette erscheinst, Wei deiner Jugend Hast du follten Puch doch wahrlich noch nicht nötig.“ „Tante Zona predigt”, jagte das schöne Mädchen mit halbem Spotte und rollte spielend das dunkelsgoldene Haar um seinen Finger. „Oieb mich auf,­ Tantchen, bei mir ist alle Mühe umsanft. Mich ändert niemand mehr. Ich Liebe Glanz und Pracht, mich freut es, mich fostbar zu kleiden, und dieses Vergnügen mag ich mir von niemand verfümmern lassen. Zu einer schlichten Hausfrau, zu der du mich so gerne erziehen möchtest, fehlt mir alles Talent; ich glaube es auch nicht, daß es einer Baronesse Rotheim be­­­sonders gut stehen würde, im Linnenkleidchen und schwarzen Seidenschürzchen umherzulaufen. „Wenn aber eine Einschränkung von der Notwendigkeit geboten ist. Yella 2” fragte Frau dr. Balten ernst, ohne zu zeigen, daß der Spott des jungen Mädchens sie verlegt hatte. „Sie ist aber nicht notwendig, Tante”, erwiderte Yella unmutig. „Ich habe Papa gestern, nachdem ich” — sie unterbrach sich — „nun, ich habe Papa gefragt, ob er Grund zu ernsten Besorgnissen habe, und Papa hat mich volständig beruhigt. Ich müßte auch wirklich nicht, wie ich es anfangen sollte, mich einzuschränken.“ Ein wehmütiges Lächeln spielte um die Lippen der alten Dame, als sie wieder vorsichtig den Faden in die Nadel legte. „Gott gebe, daß dein Bater Recht hat“, sagte Tante Lona nach einer Weile sanft. „So fürchte aber, daß der Papa dich recht verwöhnt, Yelle. Bom Einschränken, Kind, will ich dir bei Gelegenheit eine Geschichte erzählen.” Yella stand auf und job mit einer raschen Bewegung ein Tabouret neben den Sessel der Tante. „Erzähle jebt, Tante Lona,“ jagte sie fast befehlend, gleichzeitig nahmn sie das Gesicht der alten Dame in ihre beiden Hände und drüdte einen Ruß auf die von früh ergrauten Haaren umrahmte Stirn.­­­ Als sich Yella wieder aufrichtete, fiel ihr Eid duch das Fenster und nahm plößlich einen Ausbruch so eisiger Starrheit an, daß Frau von Balten erstaunt der Richtung folgte. Vor dem weit offenen Gitterthore des Vorgartens sahen die beiden Frauen die Nebengestalt G Siegfrieds auf seinem prächtigen Rosie, das sich in diesem Augenblicke hoch aufbäumte, augenscheinlich erschrect von dem plößlich Hinter einer Hede hevorgetretenen Bettler, der sich auf eine Krüde stüßte. Mit wütendem Gebell fuhr ein großer Neufundländer auf den Bettler zu, der ängstlich sich des Hundes zu erwehren suchte. Da schien Siegfried dem Bettler etzrad zuzurufen, warf dann mit einer bligischnellen Bewegung sein Pferd herum und stürmte den Waldpfad hinab, gefolgt von dem in mächtigen Säben an ihm hinaufpringenden Hund. Der Bettler blieb «

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