Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1896. August (Jahrgang 23, nr. 6881-6905)

1896-08-01 / nr. 6881

, thkouundZdwinkstraskou · Heltauergaffe 23. Erscheint mit Ausnahme des auf Sonn­ und Deine folgenden Wochentages täglich. Abonnement für Hermannstadt: monatlich 85 fl., vierteljährlich 2 fl. 50 kr., Halb­­jährig 5 fl, ganzjährig 10 fl. und Zustellung in’s ‚Haus, mit Zustellung 1 l., 3 fl., 6 fl. 12 fl. Abonnement mit Vollversendung: Hür das Inland: Vierteljährig 3 fl. 50 Er., Batbjäßrig 7 fl, ganz­­ Jährig 14 fl. , Hür das Ausland: erteljährig 7 RM. oder 10 Yre3., halbjährig ARM. oder 20 un­ansiährig 28 . oder > Eine einzelne Nummer kostet 5 fl. d 2. Unfraniirte Briefe werden nicht angenommen, Manustripte nicht zurückgestellt. es mn Ne 6881. XXI. Jahrgang Hermannstadt, Samstag 1. August Siebenbürgisch-Deutsches s Brämumerations-Einladung auf das Siebenbürgisch- Deutsche Wageblatt. mit 1. August 1896 beginnt ein neues Abonnement auf das „Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt“. 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W. ex­­elumve der Stempelgebü­hr von je 30 fr 1896 « Ocelleztteiflichten Die hauptschuld an dem selbst für die eingefleischtesten Optimisten nicht mehr freh zu leugnenden Rückgang der dritten französischen Republik trägt neben diem ungesundem bis zur Absurdität gesteigerten Ueberwuchern des alles allein besorgen wollenden Parlamentarismus dessen­ Entartung,verbunden mit der bku Romanen im allgemeinem den Franzosen im besonderen eigenen Welt­­anschauung,die daraufhin aus ton und staatliche wie kommunale Gemeinwesen seien dazu da, um von denen, die gerade die Macht in den Händen haben, wie ein fetter Weidegrund abgegrast, oder, wenn der Vergleich Lieber ist, wie eine fette Milchkuh ausgemolken zu werden. Dies, im Verein mit dem Emporkommen zahlloser zweifelhafter oder ‚eigentlich nicht mehr z­weifelhafter Elemente, hat in der gegenwärtigen französischen Republik zu einer Korruption der herrschenden Klassen geführt, wie sie selbst: unter dem Bürgerkönigtum und unter dem zweiten Kaiserreich, von dem bisher angenommen wurde, daß er in dieser Beziehung das Menschenmögliche geleistet Habe, wo nicht dagewesen ist. In dem Frankreich von Heute wird ausgebeutet, in der dritten Republik wird der Staatsschab und werden die Stadtjäder geplündert wie noch nie; nie haben Plünderung und Ausbeutung gewisse von den früheren abweichende Formen angenommen. Das „Geschäft” ist eben an, im Vergleich zum Bürgerkönigtum und zum zweiten Saiferreich, noch mehr, weit mehr demokratisiert ; die Konkurrenz und damit der Brothneid sind größer geworden. Jeder hat Eile, Jeder ist neidisch und mißtraut dem Andern. Einer drängt den Andern fort und denunziert ihn nach Bedarf. Das Hat nicht moralisiert, das hat reformiert. Man wagt nicht mehr, wie im der­ guten alten Seit, ungeniert und Furzerhand in die Staatswaffen zu greifen, offen Bestechungs­­gelder anzunehmen — all das kommt mehr wo vor, aber nur noch selten — aber Abgeordnete und Stadtväter, Journalisten und Miubredhner, einfluß­­reiche Wähler und Wahlagenten der „Gewaltigen“, Parteiführer und Stadt­­oberhäupter und Minister, sie ale lassen sich im Austausch für ihre politische Macht, für ihre Voten, für ihren Einfluß Hinter und vor den parlamentarischen Konzissen, für ihre Untersärift, wenn diese ausschlaggebend it, für ihre Für­­sprache bei den maßgebenden P­ersonen, Gefälligkeiten erweisen, große und Heine, nehmen Geschenke und Darlehen, lassen sich bei Aktienunternehmen beteiligen, bei Lieferungen interessieren, handeln und schadern mit Staats­­und Kommunalstellen, in die sie ihre Verwandten, Freunde und Klienten hineinprotegieren, und wenn solche Staatsstellen nicht genügend vorhanden sind, nun so Schaffen sie — sie Haben’3 ja dazu — neue und immer neue, und wo das Alles nicht ausreicht, greift man zu der altfranzösischen I­nstitution der Chantage; man erpreßt, mad man gutwillig nicht bekommt. Das sind die verschiedenen Arten, wie man in der dritten Republik „regiert und verwaltet“, immer von geringen, aber natürlich vorhandenen Ausnahmen, von ganz vereinzelten Politifern abgesehen, die selbst reine Finger haben, aber mit umsehen und dulden müssen, wie rings um sie herum die Staatsfuh gemolfen wird, von aller Welt, die überhaupt P­olitif treibt. Der Rest des französischen Volkes, d. h. dessen große Masse, ist natürlich nach wie vor ehrlich und arbeitsam, aber auch dieser Rest ist insofern demoralisiert, als er sie das Augsgebeutettwerden geduldig, als etivad Selbstverständliches gefallen läßt und nichts thut, um da Gemeinwesen wieder zu sanieren. Bon Seiten derer, die ein Interesse daran haben, die gegenwärtigen Baustände möglichst zu beschönigen und ihre Schwächen zu verschleiern. Hört man übrigens, in Beantwortung der vorstehend wiedergegebenen Vorwürfe häufig sagen: Verleumdung, alles Berleumdung! Wo sind denn die großen Vermögen, die wir zusammenstehlen solen? Wenn einer von uns Herren der dritten Republik — „les princes de la république, l’aristocratie de la revolution“ nennen sie sich selbst gern — stirbt, so stirbt er entweder arm oder Hinterläßt doch mur, selten ein großes­­­ermögen! — Das ist ganz rigtig. Von den­ bekannten Führern der dritten Republik sind verschiedene wirklich arm gestorben und zwar die einen, weil sie zu denen gehört haben, die si persönlich nicht bereichern wollten, die anderen aber, weil sie entweder nit Zeit genug gehabt, wirkliche Reichttümer zu sammeln oder weil sie, teild unter dem Bizwang der Verhältnisse, teild in frivolem Uebermut im Leben das wieder aufgegeben oder verjubelt hatten, was die Politik ihnen an rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Gütern in den Schoß geworfen. &3 werden in der dritten Republik überhaupt mehr mittlere und kleine Vermögen politischen Ursprungs erworben, als große Vermögen zusammen­­gebracht. Auch das Liegt in der Demokratisierung des „Geschäfts”. Und dann darf man Eins nicht vergessen: Die heutigen französischen Politiker sind zum überwiegenden Teil Leute, die von Haus aus gar nichts riesigen und in ihren früheren Lebensberufen Schiffbruch gelitten hatten, die also ihre neue Karriere nicht nur mit nichts, sondern gewöhnlich mit Minus beginnen. Kommen sie dann allmählich, das geht aber bei der großen Konkurrenz meist nur sehr langsam, zu Einfluß, also zur Gelegenheit, sich im größeren Stile zu be­­reichern, so müssen sie von der gemachten Beute zuerst das neue, sehr teuere Leben bestreiten und dann ihre alten Schulden nebst Wucherzinsen abtragen. Erst das, was hierauf noch übrig bleibt, kann kapitalisiert werden. Da nun aber das politische Glücksrad ungemein schnell sich dreht, so haben die Politiker meist nach jahrelanger Sautzeit, d. h. nach der Zeit, in der sie vom Schulden­ machen geben mußten, nur eine sehr kurze Erntezeit vor si, in der sie die alten Schulden bezahlen, die Kosten der Gegenwart bestreiten und für die Zukunft sorgen können. Die Wenigen, die es bis zu wirklichem Reichthum bringen, sind an den Fingern herzuzählen, und die ziehen sich gewöhnlich rechtzeitig aus dem politischen Leben heraus und bringen ihr Schäfchen als Finanziere oder Großgrundbefiger ins Trockene. Die weniger Glückichen begnügen sie damit, sich in eine Inflative Staatsanftelung hineinzulavieren, nachdem sie sich soviel zusammengebracht haben, daß sie und die Shrigen damit forgenfrei Teben können ; auch sie scheiden dann aus der aktiven Politik aus und der Rest wird langsam, aber sicher, von den Nachdrängenden beiseite geschoben, um nach einigen Jahren politischer Thätigkeit irgendwo, in Paris oder in den Provinzen ein mehr oder weniger bescheidenes Rentnerdasein zu führen. Viele sterben arm, obwohl sie dem Lande Hunderttausende und Millionen gefoftet haben, sie haben eben nicht verstanden, das „E­rworbene“ festzuhalten, mit ihn Waren formellen Hausierhandel treiben und dabei oft die ihnen auf den Leim gehenden Leichtgläubigen auf jede mögliche Art übervorteilen. Wir können mit Freude konstatieren, daß der Herr Bizegespan unseres K­omitates, als Ge­werbebehörde 2. Instanz ii bier so wichtigen Angelegenheit in dautenswerter Weise angenommen und da­s Anbieten anderer Artikel durch $ 50 des Ge­werbegefeges (der betreffende Paflus lautet: „Der Gewerbe­­treibende ist berechtigt, sowohl auf feine, „als­ auch auf fremde Erzeugnisse, soo und wann immer, an mit Verweihung von Mustern, Bestellungen zu sammeln oder sammeln zu lasen.”) das Vorgehen der betreffenden Agenten leider als zulällig erklärt, die Gewerbe- und Polizeibehörden 1. Instanz auf das im Kraft bestehende Verbot des derartigen Anbietens von Druckäriften aufmerksam gemacht und aufgefordert hat, strenge Kontrolle zu üben. Die bezügliche Verfügung des Herrn Vizegespans ist auf Grund der Innerministerialverordnung vom 3. März 1873, Bahl 463, erfolgt, laut welcher die Verfügungen des $ 7 des kaiserlichen Patentes (Preßordnung) vom 27. Mai ganz in den siebenbürgischen Landesteilen ihre Gültigkeit be= Halten Haben. & 8,7 3 Preßordnung ordnet nun im ersten und im legten Ube fage an: ” ® „Das Hausieren mit Druckkriften, das Ausbieten derfelden zum Berg kaufe, das Ausrufen und Verteilen derselben außerhalb des Gemwerbelotales ist untersagt”, und „das Samm­eln von Pränumeranten oder Substribenten auf Druckschriften durich Bersonen, welche nicht mit einem Erlaubnisschein der Sicherheitsbehörde versehen sind, ist dem Hausieren mit Druckchriften glei­­chalten.”­­ Wie aus obigem hervorgeht, ist die betreffende Verfügung des Vize­­gespansamtes vollk­ommen gejeglich und darf nach Erfolgung derselben nun mit Zuversicht erwartet werden, daß unser Buchhandel von ungefeglicher Kon­­kurrenz verschont bleiben wird. Auch der übrigen Handelszweige hat si der Herr Vizegespan Tebhaft angenommen, leider konnte dies nicht in der Weise geschehen, wie beim Buchhandel, da wie schon oben erwähnt, das Vorgehen der betreffenden Agenten leider auch die Verfügungen des $ 50 des Gewerbegesees gedecht wird. — Deshalb mußte sich das B Vizegespansamt darauf beschränken, die dies­­bezüglichen Mißbräuche an höherer Stelle aufzuheben und von dort geießliche Maßpregeln zu­ erwirken. Die bezügliche Vorstellung wurde nun auch auf Antrag des Herrn Vizegespans in den im Frühjahre i.S. an das Handelsministerium gerichteten Jahresbericht des Verwaltungsausschusses aufgenommen und wird ein Antrag auf Stellungnahme in dieser Frage — wie wir erfahren — auch der nächsten Generalversammlung des Stomitates vorgelegt werden, und steht nun abzuwarten, ob der Erfolg eintreffen wird. Jedenfalls aber sind die Gewerbe- und Handeltreibenden unseres Komis­tares und besonders unserer Stadt dem Herrn Vizegespan für seine Verfügungen in dieser Angelegenheit vollen Dank. schuldig. Ein französischer Intervieiwer. Der Budapester Korrespondent des Pariser „Zemps“, Lautier, hat auch unfern Ministerpräsidenten „angezapft“ und schreibt nun seinem Blatte über den Baron Banffy. Er f­i­dert ihn als einen Mann von etwas militärischem Aussehen und Allüren, der in seinen Bewegungen und seinen Reden eine gewisse Raschheit verrät. Man fiegt es ihm an, daß er auf Eloquenz und Finessen nicht viel giebt. Er sieht immer aus, al wolle er einem Bataillon einen Befehl ertheilen. Er geht immer geradewegs auf sein Bier zu, ist dabei aber ein Mann von voll­­endeter Höflichkeit und großer Offenheit. Baron Banffy sieht die gegen« mwärtige Situation jeder optimistisch — wie Lautier urteilt. „Seit Tifa — so sagt Banffy — dauern unsere Ministerien 2—2­­, Jahre. Ich bin seit 18 Monate lang Minister, habe also nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch ein Jahr. Das ist schon etwas und nachher werden wir schon sehen.“ es­­ — num an. „name nn 0.­ 0. Imnnnarnange ne ums mnnem Tonnen: mans or simep mum semnmer ernim nn nun Aura­­­­­­h Feuilleton. Borneime Proletarier. Roman von Arthur Zapp. (22. Fortlegung.) „Bräuleinchen*, sagte eines Morgens der große, vierschrötige, unbeholfene Mensch zu ihr, während er, den großen Besen, mit dem er soeben das Kontor gefegt, in der Hand, mit verlegenem Grinsen vor ihr stand, „oräuleindhen, ich — ich hätte eine­ Bitte an Sie, aber Sie müssen es mir nicht für ungut nehmen.“ Marielächellepr über die bcollige Art des Hausdieners,der,auf den Besen sich stützend,betreten diengen zu Bodens­ schlagen,wie ein schuld­­bewußter Schuh­nabe dastand. »Nawas ist’i denn,Litschke?«sprach sie ihm ermunternd zu.»Rur heraus damit Wetmeg irgend in meiner Macht steht—­—« Litschke bläckte auf und faßte sich ein herz. «Sehn Sie,Frät­leinchen,Sie sind eine gebildete Dame und kennen des­ Sieben und-nqja,ich könnte ja auch herrn Voßberg brikaget,aber Frauen kennen sich in solchen Sachen nun’mal viel besser aus,als wir Mannsleute.Es handelt sich nämlich um die Anna,Sie wissen,die mit den schwarzen Bligaugen,die immer am dritten Fenster im Saal sih.Seit über Jahrunsig arbeitet sie schon bei nur in der Fabrik,und ich bin ihr vom ersten Tage an gut gewesen;denn warum?Keine ist foadrett und fo qtekt,wie sie,lustig und stink,wie’n Wiefel ist sie auch.Und gerade das habe ich gern,weil ich selberio­ nungeschickter Tolpatsch bin.« Der Hautmeister hielt inne und fuhr sich mit der breiten Handfläche über die Stim als habe ihn seine lange,inhaltsschwere Rede in Schweiß­ebrat. S­ie möchten also die Anna gern Heiraten, nicht P* fragte Marie un­willkürlich interessiert: „So weit sind wir noch nicht, Fräulein, und sehen Sie, das ist’s ja sein —* Shut dem heimischen Handel. Unter dieser Aufschrift hatten wir im Leitartikel der Nummer 6738 darauf hinge­wiesen, welcher Mißbrauch) der die Agenten fremder Handeshäuser dadurch getrieben wird, daß sie mit Der Hausdiener fraute sich verlegen Hinterm Ohr und zeigte eine forgen­­volle Miene. „Haben Sie ihr denn schon eine Erklärung gemacht — ich meine, das Sie — daß Sie sie lieben?” forschte Marie slotternd und errötend, denn sie glaubte des armen Litschke Ratlosigkeit rühre von seiner Schüchternheit her. „Ach Gott, Fräulein, wenns blos das wär’”, antwortete Litschke mit einer geringm­äßigen Handbewegung, „damit hält unsereins fi nicht lange auf und viele Worte machen in nich. Man führt sein Mädchen zum Tanz, trastiert sie und schenft ihr­­ mal ’ne WVrofche oder ’nen Ring, um sie weiß, woran sie 18. Aber das Heiraten, sehen Sie, Fraufeindchen, das ist’s eben, Heirate ich sie oder Heirate ich sie nicht ?* Ueber des Hausdienerd grobe Züge breitete sich eine aufrichtige Betrübnis, er ließ den Stiel des Besens gegen die Wand fallen und fuhr sich mit beiden Händen in das Haar: „Herrgott, Bräuleinden, ich sage Ihnen, die Frage bringt mich noch um den BVerstand. Heirate ich sie, oder Heirate ich sie nicht? Tag und Nacht grüble ich darüber nach, und ed läßt mir Feine Ruhe, und kein Effen schmedt mir mehr und fein Trinken. Sehen Sie ha$ eine Mal bin ich fest entschlossen und in meinem Sinn gehe ich schon aufs Standesamt, und dann wieder sage ich zu mir: „Mee, ed gebt nich, Litschke, eö geht nich!“ „Aber warum geht’s denn nicht?“ fragte Marie erstaunt den großen mer­der ,eine wahrhaft verzweifelte Miene aufstecte, mit Mitgefühl be­­trachtend. „Sehen Sie, Fräulein”, fuhr Litschke fort und sein gutmütiges Gesicht d verbütterte sich immer mehr, „sehen Sie, die Anna ist 'n bisschen leicht. Sonntags immer auf’n Tangboden und schöne Kleider und Brotchen und Armbänder. Na, wie sol da mein bisschen Gehalt reichen? Und dann, sehen Sie, Fräulein, dann weiß ich noch nicht einmal, ist sie mir aufrichtig und von Herzen gut oder .“ Der Sprechende senkte feine Augen und Seife, als ob er sich schäme, sprach er weiter: „Sehen Sie, vorige Woche, ich Hati'n bischen spät zu thun im Geschäft, und wie ich denn bernadh nach Hause gehe, und komme über'n Alexanderplag, wen sehe ich dicht vor mir Arm in Tem mit fo­n, willen Sie, Fräulein, mit fon rechten Modefagle — die Unna­­ch sage Ihnen, Fräulein, das war gerade, als wenn mir einer 'n Messer in die Brust stieß. Am andern Morgen, al ich ihr nun ihren Leichtsinn vorhalte, da lacht sie mir ins Gesicht und sagt: „Litschke“, sagt sie, „ich glaube gar, du bist eifersüchtig auf fon — fo­ n —. Ich war man blos ’n bisschen durftig und der Herr lud mich ein, 'n Glas Bier mit ihm zu trinken, und da bin ich denn mit ihm in’n Prälaten "gangen. Was ist'n da weiter.” — Sehen Sie, Fräuleinchen, so find­en die Berliner Mädchen.” In Marie Brust stritten das Mitleiden mit dem Kummer des guten, unbeholfenen Menschen und die Entrüstung über den Leichtsinn der jungen Arbeiterin miteinander. „Unter diesen Umständen freilich, Lieber Litfchfe*, sagte sie achfelzuchend, „unter diesen Umständen kann ich Ihnen zu der Heirat nicht raten, und ich glaube kaum, das Here Voßberg — —* „Da, ja, daß habe ich mir wohl gedacht.“ Littchle Tieß betrübt den Kopf auf die Brust sinken und starrte eine Weile vor sich hin, dann aber hob er den Blick wieder zaghaft zu der ihm Gegenüberstehenden und stammelte: — «Aber ich bin ihr doch nur mal zu gut,und sehen sie,Fräulein, vielleicht ändert sie sich,wenn sie erst meine Frau ist,vielleicht,daß sie dann ernster und gesedter wird Ju wem­ ich sie nicht so lieb hätte,damitreilich —aber so—ja,ja,die Liebe,Fräuleinchen,die Liebe!« Kopfschütteln drehte sich Marie an ihr Pult,und lange ging ihr das, was Litschie ihr mitgeteilt,im Kopf herum. «Die Liebe,Fräuleinchen,die Liebe!«tönte es ihr wiederholt in ihr, während sie ihre Blicke zerstreut über das vor ihr aufgeschlagene Buch gleiten ließ. Die Liebe!Sie hatte sie bis dahin nur aus den Romanen gekannt und nun zum ersten Male hatte sie Gelegenheit,das Wesen dieser rätselhaften, wunderbaren Macht in nächster Nähe zu beobachten.In dem Leben aller dieser einfachen Menschen,mit denen ihr Beruf sie zusammenbrachte,schien die Liebe eine wichtige,wenn nicht die erste Rolle zu spiele­r.III-bedenkt in ihr Herz die Liebe nie einkehren?—­ (Bortregung folgt.)

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