Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1899. September (Jahrgang 26, nr. 7816-7841)

1899-09-01 / nr. 7816

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Das äußere Bild auf den Straßen der Stadt ist wohl dasselbe, wie es sonst zu Beginn des Schuljahres zu sein pflegt: am Bortage sind die Sommerfrischler eingerückt, die Heinen und großen, mit gebräunten Wangen und elastischem Gang, und two fie Belannte treffen, wird gegrüßt, erkundigt und überrascht gethan, mie es do so Schön und vornehm hier aussehe gegen die ländliche Einfachheit des Sommerdorfes. Und all die Schüler wimmeln wie sonst an diesem Tage durch die Straßen im geschäftigsten Eifer, der nun ja einer neu zu beginnenden Arbeit gewidmet wird. Innerlich jedoch ist dieser Abschnitt merklicher als sonst. Wir haben erhebende Festtage Hinter uns, an denen wir mit voller Herzens- und Geistes- Hingabe teilgenommen haben; Ferttage, die nicht nur durch den vollen Akkord der Bosfsstimmung ausgezeichnet waren, sondern auch durch das Rauschen des deutschen Geistes, der aus dem Munde berufener Meister sich über uns ergoß. Das hat uns erhoben, gestärkt, und hat uns in gleichem Maße, als wir des feiernd müde geworden sind, zu eigener Arbeit, zur Bethätigung dieser neu ermwedten Kraftbewußtfeind gedrängt. Und nun, da die lieben Kleinen wieder mit dem Büchertanzen zur Schule wandern, empfinden wir es wohltäuend, daß auch für uns nach den unruhig fladernden Sommerwochen wieder die aneinandergereihten Stunden stillschreitender Pflichterfüllung be­­gonnen haben. Aber auch der Schule selbst ist der diesjährige 1. September bedeutungs­­voller, als es die früheren gewesen sind. Wer am 29. August der ergreifenden Szene in der evangelischen Landeskirchenversammlung beigewohnt hat, als der greife Superintendentialvikar, Heinrich Wittstod, sich die Wiederwahl zu diesem mit der Oberaufsicht über unsere Schulen verbundenen Amte verbat, und zu gleicher Zeit zwei Stuben des alten Landeskonsistoriums, Dr. 3. v. Bedeus und Sektionsrat a. D. Karl Gebbel aus ihrem Ehren­­amte sschieden, der konnte sie des Gefühls nicht erwehren, daß in diesem Augenblick sich ein Stück Volksgeschichte vollzog. Mit den drei genannten Männern ist nun die Mehrzahl der einstmaligen „Leibihar“ G. D. Teutschs aus unserer obersten Kirchenbehörde geschieden und, wie unser ganzes Volks­­leben ja auf die Kirche gestellt ist, so ist damit, gottlob allerdings noch unter der Führung des ebenbürtigen Mitkämpfers Teutichd, nun ausgesprocener­­maßen eine zweite Generation in die Leitung der Kirche und des Volkes vor­­gerückt. Wir Hoffen und erwarten, daß dabei die Kontinuität der von der ersten Generation nun einmal gefundenen Lebensanschauung in unserem Volke bei all der vorauszufegenden persönlichen Lebensauffrischung durch Die zweite nicht verloren gehe. Das gilt unwesentlich auf dem Gebiete der Schule. Heinrich Wittstod ist als Leiter unseres Schulwesens den Bahnen gefolgt, die seine Vorgänger im Amte, M. Fuß, Ir. Müller, auf dem Boden der in den fünfziger Jahren neu organisierten höheren Schulbildung erschlossen haben. Die Berschmelzung der Hassisch-antiken Charaktere und Geistesbildung mit dem Glauben des Christentums ist auch ihm die Aufgabe der Erziehung gewesen, der er in seiner eigenen Persönlichkeit scharf ausgeprägte Gestalt ge­­geben hat. Wie er selbst vom bescheidenen Elternhause aus durch unermüdete Arbeit sich zu einer hochangesehenen Stellung emporgerungen hat, wie er als Lehrer, Gymnasialrek­or, als Pfarrer und Mitglied der obersten Kirchenbehörde in strenger Pflichterfülung den Inhalt seines eigenen Lebens sah, wie er auch mit dem Einjo der Freundschaft und persönlichen Beliebtheit das ihm als solches erscheinende Recht mit unerbittlicher Strenge zu verteidigen sich verpflichtet fühlte — wir denten dabei an die Geburtswehen unserer Kirchen» verfassung, oder an die Intervallefrage —, so forderte er von den Schülern und später von den ihm «unterstehenden Schulen solche arbeitsfreudige, gemwissensstrenge Pflichterfüllung als die Grundbedingung jeglicher Schularbeit. Unfleiß von Seite der Lehrer und Schüler war ihm zugleich Pflichtversäumnis, Unmoralität, die ihn nicht nur erzürnte, sondern schwer tränkte und schmerzte. ALs unentbehrliches Mittel zur vollen humanen Bildung erschien auch ihm das Studium der klafsischen Sprachen, dessen unerregbaren Wert für Geistes­­schärfung und Charakterbildung ihm über allen Zweifel erhaben war. Dabei aber räumte er in Vorbild und Vorschrift auch der deutschen Litteratur ihr volles Recht ein, forgte al Lehrer, daß seine Schüler einen Schoß deutsicher Dichtungen ihrem Gedächtnis einprägten und sie ihrem geistigen Leben ein­­bildeten, forschte als Visitator unermüdlich danach, ob die Schulen diese Schufe nir etwa achtlos durch die Finger gleiten ließen. Und ebenso hat er in eigenem Vorbild und in lehrender Vorschrift seine deutsche Muttersprache wohl durch den Haffiih antiten Gedankengehalt vertieft, aber nie sie in der Sccliärheit ihrer Sagfügung beinflussen lassen, — was seiner Festpredigt zur Enthülung des ©.D. Teutig- Denkmals die von allen, auch den fremden Bettgästen, so warm anerkannte tiefe Wirkung verlieh, das war neben der Tiefe der Empfindung und einfachen Geradheit des Gedankenganges die wunderbar anheimelnde Schlichtheit ihrer sprachlichen Darstellung. Das Flitter­­a­au in der Sprache hatte er, Fremb­wörter im ihr waren ihm zu­ wider. Von dem Manne, dem das Vertrauen der Landeskirche nun die Leitung unsere3 Schulwesend in die Hände gegeben hat, wissen wir, daß er ebenso ausgerüstet mit Wissen und Charakter, wie sein Vorgänger, sein schweres Amt übernehmen wird, und daß er es mit dem Willen antritt, es im Geiste der Traditionen, in denen er selbst aufgewachsen ist, zu führen. Aber wir wien auch, daß heute mehr als je neue Anforderungen an die Schule heran­­treten, ebenso ausgehend von dem Lebens- und Geistesfortschritt der Zeit, wie von der Schulpolitik der Staatsregierung, und daß es immer fehrerer sein wird, in unseren fleinen Verhältnissen den Ausgleich zwischen den einmal gefundenen Formen und den berechtigt oder unberechtigt sich herandrängenden Forderungen der raschlebigen Neuzeit zu treffen. Von der starren Hand des neuen Superintendentialvifar können wir erwarten, daß er das schon be­­stehende innere Leben der Schulen kräftigen, e3 zu einheitlicher Arbeit zu­­­sammenfassen wird, möge es ihm auch gelingen, die durch Nötigung von außen oder innen so etwa ergebenden Umformungen so zu leiten, daß die dabei doch immer verbundene Lebensgefahr nicht das Mark unseres geistigen Lebens treffe. Unseren Schulen aber wünschen wir zum neuen Anfang des Jahres Kraft und Arbeitsmut. Was sie unserem Volke sind, brauchen wir nicht nochmals zu jagen. Mögen sie Pflanzstätten bleiben humaner Gesittung, geistiger Bildung, deutschen Charakters, mögen sie aus dem Rauschen des deutschen Geistes, den auch sie in diesen Festtagen vernommen haben, die alte Buthermahnung behalten, daß wir taufen sollen, so lange der Markt währt, die Asoziationen auf, die Hilfe der Tranzsilvania nicht in Anspruch zu nehmen, sondern die Subvention anzunehmen, die der Handelsminister als Rekommensation für jene Summe dem Vereine anbieten wolle. Die Leitung des Vereines nahm auch in der That die angebotene Summe an. Anläßlich der vorjährigen Vollversammlung griffen die Radikalen deshalb den Vorstand des Vereines scharf an und beantragten, daß der Verein die angebotene Unterfrügung zurüc­­weise. Damals blieben die Antragsteller jedoch in versch­windender Minorität. In der Vollversammlung nun, welche am 28. d9.M. stattfand, wurde — wie aus Deva berichtet wird — einhellig ausgesprochen, daß in Zukunft die staatliche Unterftügung von 400 fl. von der Regierung nit anzunehmen sei. Chaupvinistifdhes aus der ziadanubischen Schweizerkirche. Su­preßburg hielt am 23. und 24. August der Konvent des evangelischen Kirchendistrittes diesseits der Donau seine diesjährige Generalversammlung ab. Auf demselben kam es auch zu einer reinen Sprachendebatte. Bei mehreren Jahren ist nämlich der charakteristische Beschluß gefaßt worden, daß die Aus­­übung des Seelsorgerberufes an die Kenntnis der magyarischen Sprache ge­­bunden ist. Auf der erwähnten fetten Generalversammlung wurde nun seitens einiger florafischer Vertreter der Antrag gestellt, es sei diese durch das prak­­tische Bedürfnis nicht geforderte Bestimmung aufzuheben, Selbstverständlich wurden die „panflavistischen” Antragsteler mit Glanz niedergestimmt und so ist denn im zischanubischen Kirchendistrikt nach wie vor das Seelenheil all der nichtmagyarischen Gemeinden von der magyariscen Sprach­enntnis ihrer Pfarrer abhängig. Zurückweisung­ staatlicher Unterfagung Wir seien im „B- 9“: Vor zwei Jahren kam die Regierung darauf, daß der rumänische Verein Associatiunea ceulturala mehrere Gewerbeschüler mit Geld unterstüßte, daß die in Bukarest gegründete und baforomänische Ziele verfolgende Ver­­einigung Transsilvania ihr zur Verfügung steh­e. Die Regierung forderte politische Hebersicht. Hermannstadt, 31. August. —+ zwischen den beiden Flügeln der Unabh­ängigkeitspartei ist ein edler Wettstreit entstanden, wenn es wohl gelinge, in der sogenannten Henkiaffaire mannhafter „Stellung zu nehmen“. Unlängst hat Franz Kosfuth von Gregled aus in dieser Angelegenheit irgend et­was mani­­festieren lassen — mir merfen mit tiefer Beschämung, daß wir seinerzeit ver­­gessen haben, unsere Leser von diesem michtigen Ereignis in Kenntnis zu jegen — und nun wird, wie „Rel. Ert.” zu melden weiß, demnächst auch Gabriel Ugron in der Hauptstadt eintreffen, um seine Getreuen darüber zu informieren, welche strategischen Maßregeln er bei Beginn der Abgeordneten­­häusfigung gegen die Regierung zu ergreifen gedentt. Die Bolfspartei arrangiert nächsten Sonntag in Neuhäusel eine Volleversammlung, welcher Graf Ferdinand Bichy selbst präsidieren wird. In derselben wird der­­ge­­ordnete Karl Kalman das Programm der Partei entwickeln, während der Advokat Paul Kovac über die Kirchenpolitik sprechen wird. Die Abge­­ordneten Bol­an Smegfal und Karl Kalman werden außerdem slovafische Reden halten. Um die Slovaken bemüht sich auch, wie es den Anschein hat, der oberungarische „Kultur“-Verein, der vorgestern in Trentesin, also in­ mitten unter slovafischer Bevölkerung, eine Generalversammlung abgehalten hat, von der ein Budapester magyarisches Blatt rühmt, sie habe eine Ant­­wort auf die Thurocyz-Skt.-Martiner slowakische Feier gegeben. Das im Aagenblid meist besprochene Ereignis in Desterreig ist die Berufung des deutschliberalen Führers und früheren Meid­dtags­­präsidenten, des Geheimrats Baron Chlumeck­y, an das allerhöchste Hof­­lager nach Zihl. Die am nächsten liegende Vermutung ist, Baron Chlumecky werde für den Ministerpräsidenten Grafen Thun eine Art Stell sein, der dem als unbrauchbar erkannten österreichischen Staatssenter demnächst mit ver­­bindlichem Lächeln die Zügel aus den ungefchi­ten Händen nehmen werde. &3 wäre im Amtereffe­n der westlichen Hälfte unserer Monarchie dringend zu münschen, daß sich derartige Vermutungen als richtig erweisen möchten, denn Sreihere v. Chlumecky ist, wenngleich kein starf prononzierter Parteimann, so doch ein deutsichgesinnter Politiker, der sich dabei doch auch bei den Nicht­­deutschen Desterreicd einer gemissen Autorität erfreut. 3 ist natürlich, daß im Augenblick noch offiziöserseits alles gethan wird, um die Berufung Ehlumeckyd als bedeutungslos darzustellen. Dasselbe wird „in natürlicher Weise“ so erklärt, daß Se, Majestät in dem Wagenbliche, wo der Versuch ge­­macht werden sol, das parlamentarische Leben twieder zu erwecken, und mo von der neuersten Obstruktion gesprochen wird, die sie auf die Delegations­­wahlen‘ erst reden sol, Wert darauf lege, die Meinung eines so erfahrenen Politikers und gewiegten Parlamentariers wie Baron Chlumecky es ist, zu Hören. Unmittelbare Konsequenzen seien vom Empfang in Zichl nicht zu erwarten. — Der Eeritale Präsident des dösterreichischen Abgeordnetenhauses Dr. dr. Fuchs sprach dieser Tage in einer Versammlung des katholisch-apostolischen Volks­­vereins in Saalfelden, wobei er sich nach einem Bericht der „Salzb. Ehrenit“ unter anderem dahin äußerte: „IH bedaure unendlich die Haltung der deutsch-radikalen N­ichtung und deren Organe, die, des Patriotismus bar, den österreichischen Staatsgedanken ganz ungescheut über Benilletos. In der Stille. Roman von Konstantin Harro. (14. Fortlegung.) „Seh, Margot”, sprach Sanna in heftigem Tone zu der Heinen Wilden, „Kinder gehören nicht ins Krankenzimmer, sie machen nur unnötigen Lärm. Wie konntest du auch ohne Großmutters Erlaubnis hier eindringen ? Ich ver­­stehe dich nicht!” „Mein Himmel, ich hatte­­ doch so gut gemeint”, erwiderte Margot weinerlich. „Ich wollte den Herren Lieutenant etwas unterhalten. Und daß ich zuleßt von der dummen Verlobung geredet habe . . .“ „Von welcher Verlobung ?“ fragte Sanna mit finsterem Gesicht und mit harter Stimme: „Bon der da!” antwortete Margot ein wenig troßig. Sie zeigte nach dem Mädchenbilde auf dem Schreibtisch: „Sie ist ja zum Verlieben schön, aber das habe ich ihr doch gleich angemerkt, daß sie eine falsche Rage ist! Nein, die Männer sind nicht ein bisschen schlau!* Sannad ernster Blid ruhte auf dem Offizier. Sein Gesicht war sehr bleich, er regte sich nicht. „Seh!“ sagte sie sanft und Tiebreich zu ihrer Heinen Freundin und streichelte ihr zärtlich die blühenden Wangen. „Ich war gänzlich im Jertum, wenn ich dir eine Schuld beimaß. Dein Geplauder kann Herrn dv. Mühlen unmöglich geschadet haben. Herr dv. Mühlen hat sicherlich nur wieder Schmerzen im Arm, das kommt öfter vor und ist nicht beängstigend. Geh’ und sage der Großmutter lieber nicht von deinem Be­­suche hier im Zimmer. Sie könnte böse sein.” „DO, ich werde mich hüten!“ achte Margot, schon wieder beruhigt. „Es war unwirklich dumm von mir, so ohne weiteres dem Heren Lieutenant über den Hals zu kommen! Ich bin ja kein Kind mehr, sondern eine erwacsene junge Dame. Ich vergefle es nur immer noch. Wolien, Herr du, Mühlen, schlafen Sie süß! Adien, Sannden !* Und sie huschte hinaus. Lautlos schritt Sarina dem Fenster zu. Sie lebte si nieder und nahm ihre Arbeit zur Hand. Aber ihre Finger zitterten starr und in ihren Augen quoll­e8 Heiß herauf. Sie konnte nicht Stiche ziehen, sie mußte die Stickerei fortlegen. So nahm sie das Buch wieder vor. Doch auch mit dem Lesen wollte es nicht gehen. Sie zwang si vergebens zur Aufmerk­­samkeit. Sie hatte mit Rettaufwand ein paar Seiten überlesen. Kaum wußte sie, was darauf fand. So legte sie auch den Band Shakespeare wieder zur Seite und blidte unverwandt in den Herbstlich stillen Garten inaug. Er war einer von jenen Tagen, die mit Allgewalt über die Menschen­­seele ein Sehnen verhängen, das tief ist wie der unwolfenlose Herbstgimmel und weit mie die Erde, deren Berge und Wälder in voller Klarheit vor den farbentrunkenen Bliden liegen. Und es kam in Sannah Brust eine Sehnsucht voller Trauer und legte ihr den Notschrei auf die Lippen: „Freiheit! U, Freiheit! Wenn schon die Liebe mit ihrem Rosenzweig mich nicht berühren darf, der Freiheit höstliche Blätter kühle sol mir doch einst die Stirn Schmüden! Wohl wäre es schön, hier zu bleiben im eigenen Heim! Aber dieses Heim teilen zu müssen mit einem, der mir widerwärtig ist, so lange ich denken man, das vermag ich nicht! Lieber die Fremde, die Armut, die Verlassenheit! Und mer weiß! Vielleicht Habe ich doch starke Schwingen, die mich emportragen über das niedere Krähen gefindet, bad mir die Luft zum Atmen mißgönnt.” Sie schaute von den bunten Blättern des Gartens auf den Kranken Hin. Er lag wie in halber Betäubung. Die toten blaffen Wangen, auf denen die langen dunklen Wimpern ruhten, erzählten von lautlos getragener Seelenpein. Er mußte ein starker Wille in diesem von der Stubenluft geschwächten Körper wohnen, ein Wille, der da gebot: „Trage den Schmerz ohne Klage!" Sanna mar zu vornehm in ihrem Fühlen, um dieses Schweigen tiefen Weh’s nicht zu ehren, nicht groß zu finden. „Wie muß er jene geliebt Haben!” dachte sie mit einem Seufzer. „Und kann er vergessen, was er so treu umfaßte? Wird die Verlorene nicht immer noch seine Gefühlswelt beherrschen, wird sie nicht all sein Sehnen zu fr ziehen auch in der Hoffnungslosigkeit des Verlustes? D­er stirbt die Liebe wirklich, wenn der Gegenstand derselben si unmürdig zeigte? So viele bes haupten es.” „Stolze Seelen müssen auch diesen Glauben haben. Ich selbst künnte nur lieben, so lange ich achten fan, Und er? er? Er ist ja auch stolz, das weiß ich, doch muß er sein! Aber warum freue ich mich micht dieses­ Stolzes, der sein Gemüt wieder frei macht, der ihn den Schmerz überwinden lehrt ? Ach, ich verstehe mich selbst nicht mehr !” Wieder grübelte sie. Aber sie fand das Rechte nicht. Sie hätte den Menschen närrisch geheißen, der ihr gesagt hätte: „Du Liebst ja diesen Mann, dessen Schmerzen dir wehe thun!“ Ein paar Tage blieb das A­llgemeinbefinden Mühlens Herzlich s­chlecht. Der Oberstabsarzt schüttelte bedenklich den Kopf und fragte Sanna, was es denn mit dem Franken gegeben habe. Er gefalle ihm gar nicht. Sanna wich aus. „Vieleicht schlimme Nachrichten aus­ der Heimat!“ meinte sie endlich zurückhaltend. „Wird wohl ein Frauenzimmer dahinter stehen !“ sah das Mädchen scharf an. „Er muß sich ja in die Sanna verlieben”, feßte er in Gedanken Hinzu: „Und natürlich wieder das alte Leiden: Er Hat nig und sie Hat nig. Folglich Berdruß, Mißverstehen, Trennung! Ein Jammerthal, diese Erde! Wenn man nicht noch das bisschen Essen und Trinken hätte, verlohnte es sich der Mühe des Lebens überhaupt nicht. Ja, wir Werzte, wir wissen ein Lieb zu singen von dem treffenden Feuer des Äußern und des innern Elends, Und selbst vor uns wird noch der ärgste Schaden vertuscht und verheimlicht. So groß ist die Furcht vor dem Urteil der Welt, daß sie die Lüge no auf todgemeihten Lippen Pla finden läßt, daß sie dem besten Freunde noch den Einblick in die tiefste Herzensfalte wehrt.“ Sanna war im Zimmer,­­als der Bursche die Briefschaften für seinen Heren brachte. Erregt griff die rechte Hand des Offiziers nach einem Schreiben aus Berlin. „Sol ich Ihnen den Brief öffnen?" fragte Sana, die am Tish Ban« dagen widerte: „Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen . . ." murrte Fechner und i

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