Transsilvania - Beiblatt zum Siebenbürger Boten, 1842 (Jahrgang 3, nr. 1-102)

1842-06-10 / nr. 45

Dritter Nr. 45. Jahrgang. 1842. TRANSSIRVANTA, Beiblatt zum Siebenbürger Boten. Hermannstadt, den 10. Juni. Spiel mit dem Leben, So spielt's mit dir. Wem ich gefalle, Gefällt auch mir. Hoffmann. Das Daguerreotyp im Harem. Es ist hinlänglich bekannt, daß der berühmte französische Maler, Horace Vernet, vor einiger Zeit eine Reise nach Aegypten zum Pascha Mehe­­met Ali unternahm. Während dieses Besuchs er­­lebte er ein Acht orientalisches Abentheuer , dessen Mittheilung wir einem Freunde des großen Künst­­lers verdanken. " Horace Vernet befand sich schon länger als eine Woche in Alexandrien. Er wohnte im Palaste des­­ Vicekönigs und machte täglich Spaziergänge durch die Stadt, eingehüllt in einen langen Aegyptischen­­ Mantel; diese Excursionen nöthigten ihn, jeden Morgen eine Straße zu durchwandern , welche un­­terhalb der umübersteiglichen Terrassen liegt, hinter denen die Weiber des Pascha lustwandeln. Eines Morgens war er sehr früh ausgegangen, und befand sich fast allein auf der Straße, als ein Gegenstand, der für ihn bestimmt zu sein schien, zu seinen Füßen auf den Boden niederfiel... Es war eine weiße, an einem rothen Bande befestigte Rose , zugleich sah er das Ende einer Schärpe von derselben Farbe auf der Brustwehr der Mauer flattern.­­ — „Was mag das zu bedeuten haben?” == spray) der Maler erstaunt für sich. Indem er sich jedoch der Erzählungen aus Tau­­send und eine Nacht erinnerte, fügte er leise hinzu: ‚Das ist eine Liebeserklärung! .. .” In der That , wer hätte den Sinn dieses sym­­bolischen Geschenks anders deuten können! Bedeutete nicht die weiße Rose: „Ic bin eine Dame des Harems “, und das rothe Band: „Ic brenne in heißer Liebe für Dich, aber ich bin in Banden.“ Unglücklicher Weise ist der berühmte Künstler ein sehr würdiger Mann, und die Strahlenkrone seines Ruhmes ruht auf einem beinahe greisen Haupte. — „Man hält mir ohne Zweifel für einen Andern,“ — sprach er für sic mit einem philoso­­phischen Lächeln. Indem er jedoch um sich blickte , fand er zu seiner Verwunderung die Straße leer. — „Wenn auch diese Rose nicht für mich be­­stimme ist,“ = dachte er = „so habe ich doch das Recht , sie zu behalten.“­­ Dann seßte er seinen Weg weiter fort, den Duft der Blume einathmend und unwillkürlich über das sonderbare Abenteuer nachdenkend. Er dachte noch am folgenden Morgen, als er an derselben Stelle vorüberging, daran, aber sieh ! eine zweite Rose fiel zu seinen Füßen nieder und die Schärpe wehte von Neuem über seinem Haupte. Am dritten Tage erfolgte eine dritte Blume, und so ging es fort, die ganze Woche hindurch.­­­ „Sie ist entschieden für mich bestimme !“— sagte der Maler, indem er die sechste Rose auf­­nahm — „ohne es zu wollen, habe ich eine der Frauen meines Wirthes verlockt, und so bin ich denn eine Art Joseph vor dem Pharao unserer Zeit!“ Indem Horace Vernet so scherzte, war er ernst­­lich in Verlegenheit und betrat den Palast Mehe­­met Ali?s mit unruhigem Herzen. Nicht der kleinste Umstand konnte ihn auf die Spur der Unbekannten leiten, er sah nicht einmal den Schatten eines weib­­lichen Wesens in seiner Wohnung , auch flogen die Rosen nicht mehr von den Terrassen des Harems herunter.

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