Transsilvania - Beiblatt zum Siebenbürger Boten, 1843 (Jahrgang 4, nr. 2-100)

1843-05-16 / nr. 39

. Vierter Nr. 39. UPRANSSIRVANLA. Beiblatt zum Siebenbürger Boten.­ ­ Hermannstadt, den 16. Mai. Was für ein Nest ist Lebedos! viel kleiner noch, Als Gabit — du kennst es ja, Mein Freund, so gut wie ich, und doch Lebt? ich vielleicht am liebsten da! Frei nach Horaz Epist. 1. 11, 6=7. Physiognomische Studien über Klein- und Großstädter. (v. Schirges.) Die großen Städte und die Großstädter machen so viel von sich reden, daß man meinen sollte, die kleinen und die Kleinstädter wären schier von der Erde verschwunden. Eigentlich haben die leßtern selber viel dazu beigetragen, daß sie vor jenen mehr und mehr in den Hintergrund treten, indem sie nämlich selbst oft darnach trachten , die Rolle der Erstern zu spielen und sich ihrer eignen Natur schä­­men, woran sie — wie wir gleich sehen werden — sehr Unrecht hun. Möchte man doch Allen Klein­­städtern zurufen : Gott bewahre Euch vor dem Groß­­werden! Wie viel Vorzüge hat der Kleinstädter vor dem Bewohner der großen Stadt! Io frage er den , den sein Weg aus der Stille kleiner, obscurer Städte in das Gewirr der großen, glänzenden führte , — wo er die glücklichsten Stunden seines Wanderlebens feierte, wo er sich am größten und wo am kleinsten fühlte ? So lange unsre Vorfahren ihrer Abneigung gegen Thore und Mauern folgten, kannten sie das ganze große Heer moderner, groß­­städtischer Siechthümer nicht, so lange es nur Flecken gab, war das Leben fleckenlos und heiter ; erst mit den Mauern kamen die Feinde des Lebens , und je mehr Idore sich ihnen schlossen, je mehr geheime Zugänge t­aten sich ihmen auf. Ein Kleinstädter wird unter ganz andern Verhältnissen groß, als ein Großstädter , der in vielen Dingen klein ist und bleibt; ein Kleinstädter wird noch einmal so stark, so alt, noch­ einmal so weise, als ein Großstädter, der mit spöttischer Verachtung und mit geheimem Neide vom kleinstädtischem Leben und Treiben redet. Die Kleinstädter sind meist Naturmenschen , vom Bürgermeister herab bis zum letten Ladenjungen . Ge­­sellschaftsmenschen ,­­von der Frau Senatorin bis zur Jungfer Nix , Gemüthsmenschen, vom Herrn Pastor bis zum Unterküster. Welche Frische der Empfänglichkeit — in der Seele eines Kleinstädters, — welche Empfänglichkeit für alles Große, Schöne , welcher Respect vor der Municipalbehörde , welche Demuth und ristliche Bescheidenheit vor dem lieben Herr­ Gott! Und welche edler Stoizismus , welches Phlegma den verführerischen Losungen des Lebens gegenüber! Wo bist du geblieben stumme Liebe , stille Ge­­müthswelt, sprachlose Seligkeit — seit mich die dürre Schiksalshand aus jenem kleinen Hause in der kleinen Vorstadt in die Häuser der Großen und durch die Straßen der großen Städte führte ? Was ist aus Euch geworden, ihr bescheidenen Wünsche, ihr frommen Zähren , ihr Gedanken der Bewun­­derung und Ehrfurcht? Himmel, ich kenne mich selbst nicht mehr; ich habe kein offen Ohr mehr für die sanften Töne der Frau Base , keine Geduld mehr für die lange, rührende Geschichte des Herrn Vetters. Es ist recht traurig, daß man Alles verlieren kann, selbst den Geschmac an kleinstädtischen Dingen. Aber die Erinnerung führt im Unglück der Seele das vergangene Glück, so oft wir wünschen , vor, wie ein sprudelnder Quell seine geheimen Wellen dem Dürstenden an die brennende Lippe schlägt. So betrachte es wirklich als ein großes Glück , in einer kleinen Stadt zu sein, und halte es für ein Unglück, als Großstädter leben zu müssen ; nichts würde mich trösten können im Gewühl großer Städte, 1843. Jahrgang.

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