Transsilvania - Beiblatt zum Siebenbürger Boten, 1845 (Jahrgang 6, nr. 6-103)

1845-04-22 / nr. 32

1845. 8 TRANSSILVANIA. Sechster Hermannstadt am 22. April. Jahrgang. Motto: Tugend macht die Schönheit: schöner. Spectator: „Beiblatt zum Siebenbürger Boten. Die Schwestern. Von August Kläri., !"5 Wie kommt es doch, "liebe Mütter! daß du Emilie nicht “bei dir“ behalten hast, als du den Vater heirathe­­test? Sie war ja wohl damals kaum drei Jahre alt?“ so fragte die schöne Agathe ihre Mutter, Frau Wild, und fügte dann­ hinzu: „nie wäre Emilie so ganz häus­­lich" so ganz ungesehit" für das "gesellschaftliche Leben ge­­worden, wenn" Sie sie gleich mir" erzogen hätten; das Arme­ gute Mädchen spricht mit "den Küchenmägden, als ob sie feläft'was Kochen, Baden und Bunten aus dem Grunde verstände und sahen“ Sie 'es' wohl, liebe 'Mut­­ter! als wir 'gestern in Eisenstein ankam aß Emilie vor der Tante“ Krankenbett!/ und Tas eine Predigt laut vor, nein’ ==" müßte"ich auch nur eine Woche“ so leben, wie Emilie schon seit Monaten lebt, wahrlich dann würde ich mir den Tod wünschen.“ y Du hast nicht ganz Unrecht,“ "antwortete Frau Wild, „ Emilie hat allerdings keine Erziehung genossen, wie sie sich“ für eine junge Dame von unserem Stande fehrde. “Als ich deinen Vater­­ heirathete, hätte ich sein Kind gern im Hause behalten; doch die Schwester 'von Emiliens Mutter — die den Ruf hat, sehr verständig und gottesfürchtig zu sein <= sagte, daß sie der ster­­benden Mutter angelobt "habe, die kleine Emilie nach­­ einem, von beiden Schwestern 'entworfenenen Plane er­­ziehen zu wollen und da auch "dein Vater seine Zustim­­mung gab, so half es mir nichts, daß ich dagegen war, obschon ich bald begriff, was das Loos der unschuldigen“ Für dich, meine liebe Agathe, wird“ Emilie sein würde, allerdings ihre Gesellschaft nicht eben ersprießlich sein, doch was läßt ft dagegen thun, du hast doch einmal mit ihr einen Vater. — „Das ist nun wohl war,“ so entgegnete Agathe,„ allein es thut mir doch recht herzlich leid, daß Emilie nun nach Hause zurückkommt und mich Schwester nen­­nen soll, ich werde mich wenig mit ihr abgeben, ihre unverständige Tante hätte ihr eine “gebildetere Erziehung­­ geben­ sollen;' die 'Natur­ ist ihr auch nicht eben günstig gewesen, ich finde "Emilie gar nicht hübsch. „Frau Wild stimmte diesen Ansichten bei und Mut­ "ter und Tochter sahen der Ankunft der tief­­ betrübten Emilie mit Widerwillen entgegen. Frau Stellings Krankheit­­= so lautete“ der Be­richt,­ welchen “man "am­ Morgen empfangen hatte — hatte si in der verfroffenen Nacht verschlimmert, '„ fürchtete, daß“ sie vor "Abend in’ die Ewigkeit eing würde und auf diese Nachricht war“ Herr“ Wild augen­­blicklich “nach Elsenstein geeilt: Er fühlte wahre Hoch­­achtung“ und „brüderliche Liebe für die Sterbende, nicht allein als Schwester “seiner früheren herzlich geliebten Gattin, sondern vor ‚allen auch "als die edeldenkende Er­­zieherin "und mütterliche Freundin seiner theuren Emilie. Dieses Kind, ihm durch die bleichen Lippen seiner ster­­benden Charlotte mit abgebrochenen Morten­ empfohlen, war die Freude seines Lebens; Frau. Stelling, die in der Nähe des lieblichen kleinen Städtchens H... ihr Landgut bewohnte, hatte das Kind aus den dahin sin­­kenden Armen­ der sterbenden Schwester empfangen und gelobte beim allwissenden Gott, alle ihre Kräfte anzu­­wenden, um­­ das verwaisete Mädchen zu einem täglichen Gliede der menschlichen Gesellschaft zu erziehen. Getreu hatte die würdige Frau ihr Versprechen erfüllt, sie hatte in Emiliens jugendlichem Herzen sc­hlummernde Eigen­­schaften entwickelt und ausgebildet und war stets bemüht gewesen, jede unedle Neigung­­ und Begierde sorgfältig zu unterdrücken oder­­ auszurotten. Ja — die edle Frau hatte in aller Art die Bestimmung ihres lieben Zöglings im Auge behalten." Sie hatte sie zur Zierde für die Erde und den Himmel zu bilden getrachtet, die schönen Anlagen des Mädchens mit Liebe befördernd, auf daß sie als Gattin und Mutter einmal die reinste Seligkeit genießen und um sich verbreiten könne, und die Kenntniß |

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