Bukarester Gemeindeblatt, 1922 (Jahrgang 14, nr. 1-53)

1922-01-15 / nr. 3

No. 3 Jahrgang XIV Sonntag, 15. Januar 1922 Bukarester Uemeindeblatt Schriftleitung: R. Honigberger. fiescilättsstsill: GemeináeKanzlei, Str. Lutherana 10 Die Lage der Lutherischen Kirche in Ungarn. Unter dieser .Ueberschrift hat kürzlich Bischof Alexan­der Raffay-Budapest in der Vierteljahrsschrift .Die Eiche* einen Aufsatz veröffentlicht, in welchem er besonders die Schicksale der Evangelischen Kirche in den von Ungarn los­gelösten Gebieten behandelt. Uns interessieren in diesen Aus­führungen in erster Linie die auf das heutige Grossrumänien bezüglichen Abschnitte. Gerade in ihnen sind aber eine Reihe voa Behauptungen enthalten, die unseres Erachtens nicht stillschweigend übergangen werden dürfen. Raffay schreibt, nachdem er sich über die Verhältnisse n Oberungarn (d. h. der Slowakai) ausgelassen, u. a.: .Auf rumänischen und jugoslavischen Gebieten tritt die Gewalt schroffer hervor. Hier sind die Verfolgungen, Misshandlungen Wütig furchtbar. Geistliche und Lehrer werden gepeitscht, mit zerfetztem Fleisch in Waggone geworfen und so in Ge­fängnisse, geführt. . . , Wenn man alle Leiden dieser Armen in einem Buche zusammenfassen könnte, so wäre das das furchtbarste Buch, was je geschrieben wurde“. Es 1st nicht ganz deutlich, ob diese Sätze sich speziell auf jugoslavien oder auch auf Rumänien beziehen sollen. Im ersten Falle müssten wir uns je.der weitern Bemerkung ent­halten, da uns die Verhältnisse in Jugoslavien viel zu wenig bekannt sind, als dass wir uns darüber ein Urteil erlauben dürften, ln dem zweiten Falle aber müssten wir dem Herrn Bischof doch um genauere Praezisierung seiner Behauptun­­geu bitten. Uns ist jedenfalls nicht bekannt, dass an evan­gelischen Geistlichen und Lehrern in Rumänien derartige Greueltaten begangen worden wären. Es will uns vielmehr scheinen, als ob Ralfay hier sehr ungenauen und jedenfalls masslos übertriebenen Berichten zum Opfer gefallen sei. Und das ist um so bedauerlicher, als durch solche Entstellungen des Tatbestandes den Minoritäten auch nicht Im mindesten gedient wird, vielmehr nur ihren Gegnern wirksame Waffen in die Hand gegeben werden. Bischof Raffay wendet sich dann in seinen weitern Erörterungen speziell gegen die Siebenbürger Sachsen, indem or die Schuld an den schwierigen Verhältnissen der evange­lischen Kirche in Rumänien auf die von ihnen befolgte Poli­tik, d. h. auf ihren all zu rasch gesuchten Anschluss an die neuen Machthaber zu schieben sucht. Durch das Verhalten der Sachsen sei die Organisation der lutherischen Kirchen verhindert worden und damit zugleich der Kulturkampf der evangelischen Kirche abgeschwächt worden. Die notwendige Folge sei, dass bei dem Zusammenbruch der europäischen Kultur in Siebenbürgen auch die sächsiche Kirche mitgerissen worden sei: .Auch deutsche Kinder müssen in der Schule rumänisch beten und auch ihre Kinder beten schon mit ge­falteten Armen, wie die Rumänen, und das furchtbare Sinken allgemeiner Menschlichkeit wird auch die Siebenbürgisch­­sächslsche Evangelische Kirche vernichten.“ Wir verzichten darauf, die zahlreichen Irrtüraer und Entstellungen in diesen Ausführungen Raffays im Einzelnem zu widerlegen, Ea steht ihm natürlich ebenso wie jedem an­dern Menschen durchaus das Recht zu, die Politik der Sach­sen zu kritisieren und wir finden es nur natürlich, wenn er als Ungar] ein anderes Verhalten der Sachsen ge­wünscht hätte. Uns genügt es, darauf hinzuweisen, dass die spätem Ereignisse den Nachweis von der Richtig­keit der sächsischen Politik erbracht haben. Sind nicht auch die Ungarn schliesslich notgedrungener Massen in den glei­chen Weg eingeschwenkt, den wir eingeschlagen haben ? Wenn aber Raffay gegen uns den Vorwurf zu erheben sucht, dass wir die Organisation der lutherischen Kirche verhindert, hätten, so darf doch wohl gefragt werden: wann und wo ist das geschehen? Wir meinen, dass gerade das Gegenteil richtig ist. Vom ersten Augenblicke an war der Gedanke an­­die Vereinigung aller Evangelischen in Grossrumänien inner-; halb der Landeskirche Siebenbürgens freudig begrüsst wor­den. Die Evangelischen Kirchen Altrumäniens, der Bukowina und Bessarabiens haben sich auch tatsächlich unter voller Wahrung ihrer Eigenart mit der siebenbürgischen Landes­kirche zusammengeschlossen. Selbst ein Teil der Banater Glaubensgenossen ist dem neuen Verbände beigetreten. Wen« aber ein Teil der letztgenannten Gemeinden sich noch fern hält, so ist das auf das Widerstreben der leitenden magyar­­sch-evangelischen Kreise zurückzuführen. Aus irgend wel­chen, uns nicht klar ersichtlichen Gründen, sträuben sich die­­lse gegen ein Zusammengehen mit der deutsch-evangelische*®' Kirche Grossrumäniens und das, obgleich sie wissen konn­ten, dass jeder Gedanke an eine Vergewaltigung der ungar­isch-lutherischen Kirche durch die siebenbürgisch- sächsische. Landeskirche völlig fern lag. Wie weit da Fragen persönli­chen Ehrgeizes mitspielen, wollen wir nicht weiter unter­suchen. Tatsache ist, dass die Schwierigkeiten ln dieser; Hinsicht nicht von unserer Seite kommen, jedenfalls wirkt es­­aber sehr eigentümlich, wenn Raffay gegen die sächsische Kirche so unbegründete Vorwürfe erhebt, und es dann ge~ wissermassen als gerechte Strafe darstel f, dass nun audn deutsche Kinder in den Schulen rumänisch beten müssen usw. Uns tröstet bei alledem freilich, dass auch diese Behauptung Raffays nicht zutrifft. Der Geltungsbereich der deutschen Sprache ist unseres Wissens in den deutsch-evangelische» Schulanstalten Rumäniens nirgends berührt worden. Dagegen wurden gerade unter der rumänischen Herrschaft im Banat eine Reihe deutscher Schulanstalten ins Leben gerufen, sodass jetzt hier deutsche Kinder, die bisher in der Schule magyar­ischbeten mussten, in ihrer eigenen Muttersprache beten können, was ihnen bisher nicht möglich war. Nicht um anzuklagen. ist dies gesagt. Wir haben wirklich kein Intereise daran al­ten Streit wieder aufleben zu lassen und am allerwenigste» wünschen wir Streit mit den ungarischea Glaubensgenosse», Schreiber dieser Zeilen wünscht von Herzen ein friedliche» Einvernehmen mit der ungarisch lutherischen Kirehe ; er ist davon durchdrungen, dass ein we.ia auch noch sooser gl»

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