Bukarester Gemeindeblatt, 1923 (Jahrgang 15, nr. 1-52)

1923-10-14 / nr. 41

Dahrgang XU Sonntag, den 14. Oktober 1923 Schriftleitung: R. Honigberger Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei, Str. Lutherana 10 Do. 4t Buharester Gemeindeblatt Bei den Uolksgenossen im Szatmarer Komitat. Die Nachrichten, die unsere Zeitungen in den letzten Wochen über das Wiedererwachen des Deutschtums im Szatmarer Komitat ver­breiteten, Hessen in mir die Erinnerung an eine Reise wieder lebendig werden, die ich aus fa­miliären Gründen im Jahre 1915 nach Nagyká­roly (Careiü mare) unternommen hatte. Wie sehr hatte es mich damals überrascht, dort von deutschen Siedlungen in der Umgebung zu hören. Vergessene deutsche Brüder! Es trieb mich, einige ihrer Ortschaften aufzusuchen und mich über sie einigermassen zu orientieren. Hatte ich nicht auch Notizen über sie gemacht ? Ich suche zwischen alten Papieren und finde ein kleines Tagebüchlein mit Angaben über die Reise selbst und über die dort gewonnenen Eindrücke. Zwanglos hingeworfen, wie es der Augenblick eingegeben hatte. , Und doch geben sie bei der Durchsicht ein wenn auch recht, anspruchsloses, so doch nicht ganz uninteressantes Bildchen. So mögen sie denn hier ihren Platz Anden, ich streiche aus ihnen nur, was allzupersönlicher Natur ist. Abfahrt von Schüssburg 5 Uhr 33 Nach­­mitlags. Wir verstauen unser Gepäck und setzen uns dann in den Speisewagen. Dort trifft man natürlich allerlei Bekannte: einen Hermann­städter Grossindustriellen, der zur »ersten Ki;iegs­­sitzung« der Lieferanten nach Budapest reist; einen frischgebackenen Feldgeistlichen, der sich in seiner Uniform bläht und mit Stolz seine prächtigen Militärstiefel zeigt, die er für 60 Kr. erstanden hatte, sogar die Empfehlungen, die ihm vornehme Herrschaften mitgegeben, müssen wir lesen; auch eine Bukarester Damebegrüssen wir, die sich wieder einmal auf der Flucht nach Deutschland befindet, wir haben sie sehr im Verdacht, dass ein anderer Grund sie fort­treibt als drohende Kriegsgefahr: sie hat Ver­wandte in Deutschland, an denen sie sehr hängt, und es zieht sie zu den »Zentren der Bildung«. Es gibt mancherlei zu plauschen, sodass man erst um 11 Uhr daran denkt, in seinen Wagen zurückzukehren und zu schlafen. Es balDen sich aber inzwischen neue Passagiere einge­funden, sodass man bestenfalls in seine Ecke ge­kauert etwas /»dösen« kann. 4 Uhr morgens Ankunft in Püspökladány. Natürlich kein Anschluss. So entschlossen wir uns zu einem kurzen Gang in dies grosse ma­gyarische »Nest*. Unser Weg führte durch breite Dorfslrassen. Die Häuser sind durchwegs primitive Bauten, wie sie für die magyarische Landbevölkerung typisch sind. Selbst das Ge­meindehaus, das auf dem weitgedehnten Platze steht, ist ein ganz einfacher einstöckiger Bau. Dabei zählt Püspökladány 36000 Einwohner. Nur die Kirchen, von schönen Parkanlagen um­geben, machen mit ihren schlanken Türmen einen hübschen Eindruck. Fast rührend aber wirkt die reiche Blumenpracht, die uns aus jedem Fenster entgegenwinkl und die die kleinen Vorgärtchen vor den Häusern so präch­tig schmückt. Die Hanptstrassen sind durch­wegs mit Bäumen bepflanzt. Plötzlich hören wir aus einer Seitengasse einen eigentümlich tutenden Ton. Es ist der Schweinehirte, der seine Schutzbefohlenen um sich sammelt. Aus allen Häusern eilen sie herbei, in lustigem, fast graziösem Laufe. Das Rindvieh hat es weniger eilig. Stattlich gehörnte Ochsen und Kühe kommen würdigen Schrittes herbei, die Schäfer­hunde fehlen auch nicht. Schon sieht man die ersten Feldarbeiter zur Arbeit gehen ; auch ver­einzelte Eisenbahner eilen zum Dienst. Wir folgen ihnen durch die lange Pappelallee zurück zum Bahnhof. l/.ß Uhr Abfahrt nach Debreczen. In un­serem Abteil sitzt ein würdiger, eleganter, älterer Herr mit seinem etwa 18 jährigen, nicht weniger tadellos gekleideten Sohn. Beide sprechen aus­schliesslich magyarisch. Der Junge ist gross und kräftig, sieht aber etwas albern aus. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, als der Alte seinen Sohn ermahnt, sich doch die Mundwinkel zu wischen, da sie ganz speichelig seien. Der Junge tut cs, kann aber die bescheidene Bemerkung nicht unterdrücken, dass er das doch nicht sehen könne, worauf der Vater antwortet: »Deshalb kannst du dir den Mund doch hie und da wischen«. Wie aus den weiteren Gesprächen hervorgeht, machen die beiden eine Vergnügungs­reise. Sie plauschen fast ununterbrochen, wobei der Alle zwischendurch dem Jungen die Augen­winkel nochmals mitseinemGoldffngerauswischt. Auf einer Station sehen wir Soldaten. Ich halte sie für Bayern und rede sie freundlich an : »Woher kommen Sie?« Die Antwort erfolgt in glattem Deutsch : »Von der Arbeit.« Ach so, es sind Gefangene. »Sind Sie Russen?« frage ich. Der Angeredete zuckt die Achseln, wendet sich ab und sagt mit eigentümlichem Ausdruck: »Ja«. * * *

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