Bukarester Gemeindeblatt, 1928 (Jahrgang 20, nr. 1-53)
1928-10-14 / nr. 42
Jahrgang XX Sonntag, den 14. Oktober 1928 Do. 42 Bukarestet* Qemeindeblatt Schriftleitung: R. Honigberger Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei, Str. Lutherana 12 Wissen und Glauben. Marc. 4, 21—29. Eine der bekanntesten und schönsten neuern Christusdarstellungen, Uhdes Altarbild in Zwickau, zeigt uns den Heiland als den grossen heiligen Lichtbrioger. „Das Licht leuchtet in die Finsternis.” Von Jesus geht ein heller Schein aus, und die zuvor noch in dunklen Schatten sassen, die strecken ihm jubelnd die Hände entgegen, froh bewegt, weil sie nun auch in ^seiner Klarheit wandeln, selbst etwas von seinen Segensstrahlen empfangen dürfen. — Gewiss ist diese Darstellung durchaus biblisch. Jesus selbst nennt sich ja das1 Licht der Welt, u. insbesondere wird das1 Johannesevangelium nicht müde, ihn als denjenigen zu schildern, der gekommen ist, alle Finsternisse zu überwinden, Aber der Heiland wollte nicht nur selber ein Licht sein, sondern auch an seine Jünger stellte er die gleiche Anforderung. „Ihr seid das Licht der Welt”, so ruft er ihnen zu, und er preist selig die Jungfrauen, die ihre Lampen brennen lassen, und die Knechte, die der Herr bei ihren Fackeln wachend findet. Und ein andermal belehrt er die Seinen, dass man slein Licht nicht unter den Scheffel oder unter den Tisch stelle; es ist uns dazu gegeben. dass wir dadurch auch an unserm Teile jegliches Dunkel — jegliche Dämmerung zerstreuen. Wirklich, jegliches Dunkel? Wir wissen, dass man der christlichen Religion oftmals den Vorwurf gemacht hat, dass sie rückschrittlich, dass sie eine Feindin der Aufklärung und Bildung sei, dass sie eben deshalb eher eine Religion der Finsterlinge als derer sei, die sich nach Fortschritt sehnen. Es lohnt wohl, einmal der Frage nachzugehen, ob dieser Vorwurf berechtigt ist. Wir fragen deshalb zunächst: Wie stand Jesus Christus selbst zur Frage nach dem Werte des verstandesmäsisigen Erkennens? Wir wissen leider sehr wenig, fast gar nichts über Jesu Bildungsgang. Ueber seiner Jugendentwickelung lagert ein dichter Schleier, der uns ein einziges Mal gelüftet wird. Aber wie kennzeichnend gerade das Bild, das uns nun hier (enthüllt wird. Es'zeigt uns den 12- jährigen im Tempel. Er hat Vater und Mutter vergessen. die ihn mit Schmerz und Unruhe suchen, und weilt unter den Lehrern des Volkes, fragend, forschend, Aufklärung erbittend; alle aber wundern sich seiner Antworten und seines Verstandes. Schön und schlicht ist hier zum Ausdruck gebracht, dass Jesus schon in frühester Jugend vom Trieb der Erkenntnis beseelt war. Und wenn uns auch nirgends ausdrücklich berichtet wird, in welcher Weise er sein Wissen und seine Bildung erweitert, aus seinen spätem Reden erkennen wir, dass er die heiligen Schriften seines Volkes genau kannte, dass er wohl bewandert war in der Geschichte seiner Heimat, dass er mit tief eindringendem Verständnis dem Leben und Weben der Natur gegenüber stand und dass er helle und klare Blicke in das tiefste Wesen der Menschennatur getan hatte. Wie mag er sich jeder neuen Erkenntnis gefreut haben, die ihm offenbart wurde! Es ist, als1 ob die Freude daran seiner Seele neuen Schwung verleihe und als ob er auch seine Mitmenschen immer wieder daran teilnehmen lassen möchte, indem er ihnen zuruft: Zündet euer Licht an, lasset es hinaus leuchten in alle Welt! Wir gehen nach dem Bisherigen wohl nicht fehl, wenn wir sagen, dass Jesus damit nicht nur das Licht seiner neuen religiösen Erkenntnis meint. Er wieiss, dasls auch der wissenschaftliche Erkenntnistrieb eine Gabe Gottes ist. Und wahrlich, mit gutem Recht konnte man die Frage aufwerfen, ob der wissenschaftliche Erkenntnistrieb nicht eben so segensvoll sei, wie der religiöse. Die grössten Fortschritte der Menschheit beruhen auf ihm. Schon im Kinde erwacht er: es fragt, beobachtet, denkt nach, untersucht, es zerschlägt selbst sein Spielzeug, |um zu sehen, wie es ihnen beschaffen ist. So auch der Erwachsene. Vor keinem Räts'el scheut er zurück und setzt — wenn es: sein soll — auch sein Leben dran, um Klarheit zu gewinnen über sich selbst und über die Welt ausser ihm. — Oft treten die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse scheinbar in unversöhnlichen Gegensatz gegen die religiösen Anschauungen eines1 Zeitalters. Aber wollten wir deshalb vor der Wissenschaft zurückscheuen? Es wäre eine traurige Religion, die uns dazu zwingen wollte, und es wäre ein Beweis von geringem Gottvertrauen, wenn man — wie es wohl manchmal geschieht, — nur mit Scheu und Misstrauen die Fortschritte der Naturwissenschaften verfolgen wollte. Auch dieser Erkenntniszweig ist nicht ohne Gottes Willen aufgekommen. Ja, es scheint vielmehr, als ob Gott gerade ihm in der neuen Zeit besonders grosse Aufgaben gestellt habe. Erst durch ihn verwirklichen wir Gottes Auftrag: „Macht Euch die Erde untertan und herrscht über sie.” Die Naturwissenschaften haben uns gelehrt, Feuer und Dampf und Licht und Luft und Magnetismus und Elektrizität zu unserml Dienern zu machen und durch sie uns1 das Leben1 zu erleichtern und zu verschönern. Und indem