Kaschauer Zeitung, Januar-März 1873 (Jahrgang 35, nr. 1-26)

1873-01-15 / nr. 5

' Br XXXV. Jahrgang 1873. Erscheint jeden Mittwoch und Samstag, für Pränumeration Kasc­hau vierteljährig 1 fl. 25 sendung fr., mit Postver­ 1 fl. 50 fr." Pränumeration wird jeden Tag angenom­­men bei der Administration der Kaschauer Zeitung, Hauptgasse Nr. 60, bei al­­­len Postanstalten u. Buch» Megjelen minden Szerdán és Szombaton, Unfransirte Briefe an die Redaktion werden nicht angenommen. Nr. 5. Kafchau, Mittwoch, Fokalblatt für Volks-, Haus- und Landwirthschaft, Industrie und geselliges Leben. 15. Jänner. Bei größeren Ankündigung­­en und öfterer Einschaltung entsprechender Nachlaß. In Wien übernehmen Inserate für uns die Hex­­ren A. Oppelik, Wollzeile Nr. 22, Haassenstein , Vogler, Neuer­ Markt Nr. 11 und Rudolf Messe Annoncen - Expedition. Inserate übernimmt für uns die Inter­­nationale Annoncen - Expedition von Lang & Schwarz Pest, Badgasse und Wien, Wollzeile 6. — In Berlin S. Kornik. In Stuttgart E. Stöck­­hardt. In Paris Havas Laffitte Bullier & Comp; Anonyme Briefe werden nicht berück­sichtigt und Manuskripte nicht zurück­­gegeben. Handlungen. Kascha­er Zeitung Kundsc­haftsblatt für Kaschau und Spezies. (KASSA-EPERJESI ERTESITÖ) Inserate, 5 kr. für eine fünfmal­ gespaltene Petit­­zaile. == Inseratenstempel 30 kr. für jede Anzeige. Kaschau, 14. Jänner. England Am 9. d. M., N.­M. "2­3 Uhr, starb zu Chislehurst in der Exkaiser Napoleon III. in Folge einer Stein­­operation nach mehrtägigem furchtbaren Leiden. Das Ab­­leben dieses Mannes, welcher während 18 Jahren Frankreich regiert hatte, ist heute noch von einiger politischer Bedeutung, indem hiermit die äußerst rührige bonapartische Partei in Frank­reich lahm gelegt­ wurde, ein großes culturhistorisches und zum Andern knüpft sich daran Interesse, welches dazu anregt, einen Rückblick auf den Lebenslauf dieses merkwürdigen Mannes zu werfen. Carl Ludwig Napoleon wurde am 20. April 1808 zu Paris als der dritte Sohn des Ludwig Napoleon, ehemaligen Königs von Holland und der Königin Hortense (Beauharnai­s) geboren, jedoch von seinem legitimen Vater de8avouirt und es ist eine notorische Thatsache, daß er von dem Admirale Ver­­huel im ehebrechlichen Umgange mit Hortense Beauharnais erzeugt wurde. Seine Jugendjahre verlebte dieser unechte Buonaparte theils in der Schweiz und theils in Augsburg, alswo er das Gym­nasium besuchte, er ging sodann unter die ita­­lienischen Carbonari und betheiligte sich an einer politischen Verschwörung gegen den Papst, an welchen hierauf der Exkönig­­ von Holland zu seiner Entschuldigung schrieb : „Sie wissen, daß der frevelhafte Bursche nicht mein Sohn ist". Nach dem Tode des Herzogs von Reichsstadt betrachtete er sich als den Erben seines Onkels Napoleons Buonaparte, dessen Vornamen er sofort annahm, und faßte den Entschluß, sich auf den Thron Frankreichs zu schwingen. Die von ihm zu Straßburg und später zu Boulogne angestellten Versuche, Frankreich zu revo­­lutionären, mißlangen kläglich und er wurde beidesmal gefangen genommen, zuerst über sein unterthäniges Bitten vom Könige Louis Philippe nach Amerika entlassen, das zweitemal aber zur Gefängnisstrafe verurtheilt, die er zu Ham verbüßte und von wo er in den Kleidern des Maurers Badinguet am 25. Mai 1846 nach England entfloh. Dort fand er die Unterstüzung seiner Maitresse, der ungeheuer reichen, verbuhlten Miß Howard, welche ihm auch endlich die Mittel gewährte, die Er­­eignisse des Jahres 1848 zu Gunsten seiner dynastischen Prätension in Frankreich auszuwügen. Prinz Napoleon wurde bekanntlich mit Hilfe des Geldes seiner englischen Beischläferin im August 1848 als Abgeordneter „in die französische Nationalversammlung, am 10. December desselben Jahres auf vier Jahre, und am 22. December 1851 auf weitere zehn Jahre zum Präsidenten der französischen Re­­publik gewählt ; am 22. November 1852 wurde er durch das Plebiscit zum erblichen Kaiser ernannt, nahm am 2. Decem­­ber 1872 den Titel Napoleon III., Kaiser der Franzosen an, ver­­mählte sich am 29. Januar 1853, nachdem er seine englische Maitresse und Wohlthäterin getäuscht und betrogen hatte, mit einer Spanierin von zweifelhaftem Rufe, nämlich mit Eugenie de Guzman und Porto Carrero, Gräfin von Theba, Tochter des Grafen von Montijo, geboren am 5. Mai 1826, welche ihm am 16. März 1856 den Thronerben, Eugen Louis Bona­­parte, auch Lulu genannt, gebar und die ihm nach der Kata­­strophe von Sedan mit ihrem „Kinde von Frankreich“ in das Exil nach Chislehurst in England folgte, alswo er vor einigen Tagen gestorben ist. Der Nekrolog des nunmehr aus dem Leben geschiedenen­­ Kaisers von Frankreich, Napoleon III., wurde eigentlich schon bald nach dem jähen Sturze seiner Herrschaft, nach den Tagen von Sedan und nach dem Falle der Festung Metz ge­­schrieben, daher die öffentlichen Blätter anläßlich dieses Sterbe­­falles nur die Wiederholung dessen bringen, was sie damals über ihn aussagten und was die Farbe ihrer politischen Partei trug. Die gesittete Welt, worunter die Diplomatie leider nicht gänzlich mit inbegriffen werden kann, war zu keiner Zeit darüber im Zweifel, daß der unechte Buonaparte und Erfasser von Frankreich kein großer Mann sei, sondern sie wußte es, daß er ein sitten- und gewissenloser Mensc­h von mäßiger intel­­lektueller Begabung war, dessen Erfolge auf dem Gebiete der Politik nur durch die Erbärmlichkeit der Zustände möglich­­ wurden, die während seiner Regierung unter den Machthabern auf dem europäischen Continente herrschten. Nicht Louis Na­­poleon war es, welcher den französischen Chauvinismus und die politische Bedeutung der napoleonischen Legende geschaffen hat, sondern Geschichtsfälscher, wie Thiers, Miguet u. dgl., die den Cultus des Kriegsruhmes in Frankreich ge­­schaffen, das erste Kaiserreich als ein politisches Ideal ges­priefen, die Volkseitelkeit rastlos gewährt , die Rache für Waterloo und die Erwerbung der deutschen Rheinlande zur politischen Parole des französischen Volkes gemacht haben. Den großen Irrthum in der Politik Frankreichs, nämlich das Bündniß mit dem römischen Ultram­ontanismus, welchem die Bildung des Volkes, zumal der ländlichen Bevölkerung zum Opfer gebracht wird, hat nicht erst Napoleon III. be­­gangen, sondern er fand ihn schon vor und hat nur theil­­weise daran festgehalten , während der gegenwärtige Präsi­­dent der französischen Republik heute nur gänzlich darin befangen ist. Die Fleury, Fialin de Persigny, St. Arnaud und die übrigen Helden des 2. December, welche mit ihren berauschten Soldaten das Pariser Volk massacierten, diese Verräther der Republik und Genossen des Meineides, wur­­den nicht dir­ den neuen blutigen Caesar herangebildet, sondern dur; die im Lande auf Kosten der historischen Wahrheit fortgepflegte napoleonische Tradition und durch die entsittlichende Kraft der Julimonarchie. Wenn den Ne­­trologen, welche die liberalen deutschen Zeitungen über Na­­poleon III. bringen, der Grundtext : „Das zweite Kaiser­­reich, das war die Lüge“ gemeinsam ist, so muß man vor Allem bedenken, daß seit den Tagen des ersten Kaiserreichs die Lüge in Frankreich von seinen Geschichtsschreibern culti­­virt und es nur dadurch möglich wurde, die Lüge selbst in der Person des dritten Napoleon in Frankreich zur Herr­­schaft zu bringen. Die zur Gewaltthätigkeit geneigte Socialdemokratie mit ihren Gefahren für den Bestand und die Fortentwick­­lung der menschlichen Gesittung konnte in Frankreich und anderswo nur durc eine fehlerhafte Gesetzgebung entstehen, weshalb sie auch nur durch die zweckmäßige Verbesserung der lekteren und nicht dur den Massenmord mit sicherem Erfolge bekämpft werden kann. Napoleon der Dritte, wel­­cher jedoch nicht nur die Socialdemokraten, sondern vielmehr die ehrlichen und gebildeten Republikaner ermorden ließ, ver­­dient ebenso wenig den Namen eines „ Metters der Gesell­­schaft“, wie Cavaignac, der über den Juniaufstand in Baz­ris einen leichten aber blutigen Sieg erfochten hatte. Daß sie Napoleon III. das Wohlwollen und theilweise auch die Bewunderung der europäischen Cabinete durch seine Decem­­briade, doch die Anwendung der trockenen Guillotine auf die Republikaner und durch seinen, energisch ausgedrückten Widerwillen gegen das „demokratische Gesindel“ erwarb, konnte nach der Seelenangst, welche diese Regierungen wäh­­rend der Stürme des Jahres 1848 erduldet hatten, wahr­­los Niemanden Wunder nehmen. Die regierenden Zehn­­tausend in England, die überdies in der Decembriade eine Art von Sport erblickten, fanden besonderes Wohlgefallen an dem ehemaligen Geliebten der Miß Howard und die westeuropäische Allianz, die entente cordiale Frankreichs mit England, entsprang aus dieser Sympathie, welche dem Exkaiser auch bis zum Ende seiner Laufbahn in Chislehurst großentheils erhalten geblieben war. Den Börsens­windel hat zwar Napoleon III. nicht erfunden, aber er begünstigte ihn, um seine Mameluken und wahrscheinlich auch sich selbst zu bereichern, zur Gründung eines sogenannten Familienfonds für alle Fälle, nach anderweiti­­gem Beispiel anzulegen in der Bank von England.­­ Der Grund zu diesem modernen Raubsysteme wurde schon in früherer Zeit, und zwar nicht blos in­ Frankreich gelegt, allein unter. Napoleon III. wurde dasselbe erst reit aus­­gebildet, indem die Pereire, die Fould, Morny, Hansmann und dergleichen Ehrenmänner den Börsenschwindel, die un­­solidesten Speculationen und die Bauwuth in den Städten groß­zogen. Die Entsittlichung des Theaters, die Herrschaft der Demimonde, der Verfall des Familienlebens, die Ver­­nachlässigung der Volksschulen und die Vermehrung des Aberglaubens schritten gleichmäßig fort, während es den äußerlichen Anschein hatte, als ob der Nationalwohlstand Frankreichs unter dieser Regierung außerordentlich zunehme. Für das Interesse Englands hat Napoleon III. den Krim­­krieg geführt und Italien dankt seine Einigung vielmehr dem Orsini und den Irrthümern der französischen Politik, als dem Wohlwollen dieses Buoraparte, der es ganz gut wußte, daß in ihm kein Tropfen italienischen Blutes floß. Die Flibustierzüge nach China und Mexico, welche vorzugs­­weise durch die Jesuiten angezettelt wurden, erscheinen als die Merkmale der Verkommenheit, in welche die französische Regierung und Nation bereits verfallen waren und die in der dummdreisten Kriegserklärung an Deutschland ihren stärksten Ausbruch fand. Napoleon III. war ein glücklicher Kronprätendent, weil die bereits in Frankreich vorhandenen Umstände sein Unternehmen begünstigten und er sich nicht scheute, zur Er­­reichung seiner Absicht einen Meineid zu begehen, zu betrügen und Tausende von Menschen morden zu lügen­ zu lassen. Außerdem war er das Geschöpf und nicht der Schöpfer gro­­ßer Ideen und Begebenheiten, wie er Nationalitätsidee erfunden, sondern dieselbe denn auch nicht die nur auf unge­­sehrte Art zu seinen schlecht concipirten politischen Unter­­nehmungen verwendet hat. Nachdem er in unrühmlicher Weise sich von dem Schachtfelde von Sedan in die preußi­­sche Gefangenschaft begeben hatte, und der innere Maras­­mus Frankreichs, wie er unter dem zweiten Kaiserreiche zur Entwicklung gelangte, offenkundig geworden war, da mochte der gefallene Caesar, durch Ausschweifungen tief herabge­­kommen an Geist und Körper, den Nest seiner Tage ruhig im Exile verleben, anstatt gegen die Republik in Frankreich mit seinem ränkesüchtigen Weibe zu conspiriren und sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß es für seinen Sohn kein größeres Hinderniß geben wird, auf den Thron Frank­­reichs zu gelangen, als die unrühmliche Geschichte des zwei­­­­ten Kaiserreichs und die Erinnerung an die Schmach von­­ Sedan. Wir können nicht der Ansicht beitreten, daß Napoleon III. als Parvenukaiser dazu gedient hat, das Fürstenthum­ von Gottesgnaden in Europa wesentlich zu Schwächen und den demo­­kratischen Staatsgewalten zur fördern, sondern wir hegen viel­­mehr die Meinung, daß die regierenden Fürstenhäuser, bei denen seine Brautwerbungen unglücklich ausfielen, und insbe­­sondere die kühle und abwehrende Haltung des russischen Hofes, ganz vornemlich aber die in Frankreich und auch außerhalb desselben seit dem Jahre 1848 stark verbreiteten demokratischen Ideen ihm seine Politik aufnöthigten. Seitdem die Kaiserin Eugenie das Kind von Frankreich geboren hatte, war ihr Sinn ununterbrochen darauf gerichtet, ihrem Sohne den Thron in Frankreich zu sichern, und da die innere und äußere Politik der französischen Regierung nunmehr durch dynastische Interessen bestimmt wurde, so ist nicht abzusehen, warum sie sich mit dem­ Fürstenthume von Gottesgnaden in Widerspruch hätte setzen sollen. Der eigentliche Lebenszweg Napoleon des Dritten, dessen hervorragendster Characterzug in einem rücksichtslosen Egoismus bestand, war der Genuß sinnlicher Freuden und so ver eigentlich die Debauche. Seit seinem Eintritte in das Jünglingsalter hat er, dieß in Italien, Nordamerika, England und Frankreich doch seine zahlreichen und zumeist so mäßigen Abenteuer thatsächlich bewiesen. Niedrig von Gesinnung, genußsüchtig durch Naturanlage, oberflächlich in seinen Kenntnissen, gewissenlos bei Verfolgung seiner Zwecke, unverläßlich als Freund, verlogen und heimtückisch, kriechend und nur Comödiant im Unglücke , fehlten diesem eher­maligen Imperator, der sich in seiner Eitelkeit mit dem römischen Augustus verglic, alle diejenigen Eigenschaften, welche Achtung gebieten. Napoleon des Dritten zweites Kaiserreich war nur in Frankreich möglich und es war für die Franzosen auch nothwendig, um sie von ihrer nationalen Ueberhebung und von den Schlafen, welche dem Volksc­ha­­racter aus der Regierung Louis des XIV. und aus dem ersten Kaiserreich noch anhaften, gründlich befreien zu können. Würde dies wirklich erzielt werden, dan hätte das zweite Kaiserreich, welches nicht der Friede, fordern die Lüge und die Liederlichkeit war, allerdings eine civilisatorische Mission erfüllt, und an das Andenken des dritten Napoleon dürfte sich dann­ in nicht ferner Zukunft ein milderes Urtheil und allmählich die Versöhnung knüpfen. Möge diese Hoffnung recht bald in Erfüllung gehen! —— n — *

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