Kirchliche Blätter, 1910 (Jahrgang 2, nr. 1-53)

1910-11-26 / nr. 48

— 606 — ein Jahr gewähre mir, Herr, und gib mir Kraft, tief zu graben in der Schrift, die von dir zeugt, in dem Leben, das zu dir führt, zu befruchten meine Seele mit allem Hohen und Guten, das den Willen zur guten Tat antreibt und mir so deiner und des Heilandes immer würdiger macht. Ra, ich bin gewiß, wie die Sonne durch den Herbstnebel bricht, wird auch die Sonne deiner Gnade dem ernstlich Wollenden immer wieder scheinen.“ S. 8. In der Diaspora. (Schf.) Wie der Sonntag dem Pfarrer das schwerste, aber auch erhebendste Tagewerf bringt, so war es auch in der Diaspora, denn auf der Tagesordnung stand der Besuch von Bisti und Deva. Wieder war es das Batizer Viergespann, das in der Sonntagsfrühe, in Begleitung zahlreicher anderer Wagen, den Bischof nach Pissi führte. Und wieder traf der Bischof mit so unerwarteter Pünktlichkeit zur Sekunde ein, daß das Programm der Empfangsfeierlichkeiten eine kleine V­erschiebung erlitt. Auf der hoch über die Bahn­­geleise in die Gemeinde führenden Brücke war ein prächtiger Triumphbogen errichtet, bei dem auf beiden Seiten die Schüler der Staatsschule mit ihren Lehrern und Lehrerinnen Spalier bildeten. Ein liebliches, weißgekleidetes Mädchen war die erste, die im schön vorgetragener magyarischer Ansprache den Bischof be­­grüßte und ihm einen Strauß von herrlichen Rosen überreichte. In magyarischer Sprache dankte der Bischof und nun fand unter dem Glockenläuten vom refor­­mierten Kirchturm der Einzug in die Gemeinde statt, wo am Eingang zum Kirchhofe Kaufmann Gutt als Richter von BPissi in magyarischer und Kaufmann Zeidhner im Namen der Glaubensgenossen in deutscher Sprache den Bischof willkommen biegen. Im gast­­lich geöffneten reformierten Pfarrhaus fand die Vor­­stellung des reformierten Presbyteriums und des Lehr­­körpers der Staatsschule statt. Und wieder läuteten die Glocken, diesmal zum Gottesdienst. Vor der Kirchen­­pforte erwartete Pfarrer Juhaß den Bischof. Dieser Tag werde sicherlich nicht vergessen werden von den Evangelischen A. B., an dem sie zum erstenmale ihren Bischof gesehen, der gekommen sei, die Zerstreuten auf­­zusuchen. Betroffen seien sie nicht gewesen. Seit zwanzig Jahren hätten sie Zugang zu dieser Kirche. Auch fest sei die Pforte weit aufgetan. Der Hoch­­würdige Herr Bischof möge eintreten und mit dem Evangelium die Seelen der Gläubigen erquieen und stärken. Der Bischof dankte in magyarischer Erwiderung so die freundliche Begrüßung und sprach die Hoffnung aus, daß das gute Einvernehmen der beiden Schweizer­­lichen auch in Zukunft fortbestehen werde. Unter den Klängen der Orgel fand der Einzug in die Kirche statt, die in ihrer puritanischen Einfachheit so recht zur Verkündigung und Würdigung des Wortes einladet, wie denn auch die Kanzel nicht zur Seite an einem Pfeiler hängt, sondern inmitten des Chores vor der Gemeinde aufgerichtet ist. Auch hier wurde der Gottes­­dienst, wie es die Zusammenlegung der Gemeinde er­fordert, zweisprachig gehalten. Erst wurde ein ma­­gyarisches Lied gesungen und Reiseprediger Buchalla hielt Gebet und Ansprache über Lukas 11, 23. Dann sangen wir „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ und der Bischof predigte über Palm 128, 1 und 2: „Wohl dem, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen geht. Du wirst dich währen d einer Hände Arbeit, wohl dir, du hast es gut.“ Er sei gekommen, um hier, wo sich das Leben in lauten Tönen fund­gebe, wo duch die Schienenstränge die Gemeinde so un­­mittelbar mit der weiten Welt verbunden sei, und jeder Zug daran mahne, daß man mitten darin stehe in der großen Entwickklung und von ihr beeinflußt werde, sich zu erfundigen, ob die Seele sich auch sehne nach­ dem Ewigen. Ein jeder verstehe in dieser Ge­­meinde das Wort: „Du wirst dich währen deiner Hände Arbeit.” Die Arbeit habe diese Gemeinde zu­­sammengeführt und halte sie auch beisammen. Sie sei wohl nicht immer angenehm, aber sie Lasse sich adeln, wenn man sich erinnere, daß sie dazu beitrage, die Kraft des Geistes und der Seele zu mehren. Neben die Arbeit stelle das Tertwort die Furcht Gottes. Man habe den Eindruck, als ob die Gegenwart das alte Wort von der Gottesfurcht als dem Anfang aller Weisheit nicht mehr in seiner Tiefe zu fassen ver­­suche, als ob im Gegenteil der Weisheit Anfang darin liege, den Heren zu leugnen. Aber „wohl dem, der den Heren fürchtet und auf seinen Wegen geht“. Die Wege Gottes seien freilich zuweilen seltsamer Art im einzelnen Menschenleben. Auf dem Bahnhof draußen würden immer neue Geleise gelegt. Sie gingen aus­­einander, sie führten zu­einander. E 3 sei nicht gleich­­giltig, welches Geleite der Zug fahre. Durch falsche Weichenstellung könne unendliches Unheil herbeigeführt werden. So sei es auch im Menschenleben. Man müßte zusehen, daß man das richtige Geleite fände. Wenn man es doch von allen, die der protestantischen Kirche angehörten, sagen könnte! Mit dem Vers „Deit unsrer Macht ist nichts getan“ schloß der Gottes­­dienst. Im Pfarrhause wurde in größerer Gesellschaft ein Imbiß eingenommen, bei dem der Bischof herz­­liche Dankesworte für die gastliche Aufnahme aus­­sprach. Auch einige Besuche wurden noch gemacht. Dann standen die treuen Batizer mit ihrem P­ier­­gespann wieder bereit zur Fahrt auf den Bahnhof, wo auch ihnen der Bischof für ihre vielfachen Be­­mühungen aufs freundlichste dankte. Auf dem Bahnhof in Piski erwartete eine Ab­­ordnung aus Deva den Bischof, um ihn zu geleiten, und als nach kurzer Fahrt der Schnellzug in den Devaer Bahnhof einfuhr, stand auch hier eine stattliche Anzahl von Herren bersammelt, an ihrer Soige Kurator Steinmann, der auf die Begrüßungsansprache hielt. Vom Bahnhof geleitete eine große Anzahl von Wagen den Bischof zu jenem Absteigquartier bei Kaufmann Schumann, woher auch gleich nach dem Mittag offen, als die Glocken der reformierten Kirche ertönten, der Gang zum Gottesdienst angetreten wurde. Da die neuge­­baute Kirche noch nicht geweiht war , die Ein-

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