IV. Quadriennale des Kunsthandwerks sozialistischer Länder (Erfurt, 1986)

Entfaltung, Erfolg, Erneuerung, Aner­kennung verdienende spektakuläre Er­gebnisse und Ermüdung, Mißerfolg, Sackgasse - all das kann gewiß auch zu­sammen innerhalb einer Periode von vier Jahren auftreten : Ob wir nun das Werk, die künstlerische Entfaltuhg eines Künstlers oder die Änderung, die innere Bewegung einer Kunstgattung analysie­ren. Vieles kann also innerhalb von vier Jahren in einer Kunstdisziplin passieren. Das ungarische Kunsthandwerk kann auf eine fruchtbare und an Ereignissen reiche Periode zurückblicken, bei der es weder an schöpferischen Möglichkeiten noch an künstlerischen Erfolgen fehlte - wenn wir die III. Quadriennale des Kunsthandwerks in Erfurt als Aus­gangspunkt unserer Betrachtung neh­men. Die Frage lautet : Was sollen wir von den erreichten Ergebnissen, von unseren Werten bzw. aus der gegenwärtigen Lage unseres Kunsthandwerks zur Schau stellen? Die Entscheidung zu treffen, womit wir vor die internationale Öffentlichkeit treten sollen, ist nicht einfach. Wir sprachen vorhin von künstlerischen Möglichkeiten. Und tatsächlich: In der letzten Zeit traten mehrere gesell­schaftliche Bedürfnisse zum Vorschein, die die traditionellen, im Kunsthand­werk tätigen Künstler vor anspruchs­volle, repräsentative und schöne Aufga­ben stellten, die mit modernen künst­lerischen Ausdrucksmitteln zu lösen wa­ren. Hinter dem an die Künstler und ihre Ar­beit gestellten Anspruch verbirgt sich nicht einfach nur Dekorieren. Es steckt viel mehr dahinter. Es sollten nämlich inhaltlich-gedankliche Aussa­gen in Übereinstimmung mit der Funk­tion des Gebäudes zum Ausdruck ge­bracht, die Bestimmung der Parks und Plätze vorbereitet, das Interieur betont und schöne ästhetische Umwelt geschaf­fen werden. Die künstlerische Partnerschaftsmitwir­kung - besser gesagt Zusammenarbeit — ist ausgezeichnet gelungen bei den ab­wechslungsreich projektierten und mit den Mitteln der Innenarchitektur und der Baukunst anspruchsvoll gestalteten Interieurs und Parks. Mit Hilfe der verschiedenen Techniken der Textilkunst und mit den Mitteln der Keramik, der Porzellan-, Emaille-, Me­tall- und Glaskunst wurden sehenswerte Werke von hohem Niveau geschaffen, an denen auch die betreffenden Gemein­schaften Gefallen fanden. Bei der Gestaltung dieser harmonischen und humanen Interieurs erhielt der Bei­trag der Kunsthandwerker von Aufgabe zu Aufgabe unterschiedliche Schwer­punkte : Wir können uns an dekorativen Werken erfreuen, die sich dem betref­fenden Platzensemble einfügen, an auto­nomen Werken, die das Interieur be­herrschen, die als Soloinstrument zum Vorschein treten bzw. eine bildliche oder plastische Rolle übernehmen - wir begegnen also einer breiten Palette von Kunstwerken. Wir müssen jedoch darauf verzichten, repräsentative und niveauvolle Kunst­werke unserer Kunsthandwerker in Er­furt zur Schau zu stellen, Kunstwerke, die Rathäuser, Kulturhäuser, Kranken­häuser, Hotels, Bildungseinrichtungen usw. bereichern, denn die überwiegende Mehrheit dieser Werke kann von ihrem Platz nicht bewegt werden. Doch selbst wenn man sie bewegen könnte, würden sie an ihrem künstleri­schen Wert, an Aussagekraft, an inhaltli­chem und formellem Reichtum so man­ches verlieren, sobald man sie aus ihrer Umwelt herauslöste. Mit den erwähnten Werken gleichwer­tig und von mindestens ähnlicher Bedeu­tung in ihrer Wirkung und Ausstrah­lungskraft ist die in- und ausländische Ausstellungstätigkeit unserer Künstler und kann als eine wichtige Station der künstlerischen Entfaltung betrachtet werden. Über die Möglichkeiten der periodi­schen Vorstellung einzelner Kunstgat­tungen hinaus trugen Landesausstel­lungen, die alle Gebiete des Kunsthand­werks erfaßten, die Gobelin-Ausstel­lung von 1945 bis zur Gegenwart, sowie Ausstellungen, die die Tätigkeit unserer Künstlerlager repräsentieren, wesentlich dazu bei, daß die Werke unserer Künst­ler entsprechend eingeschätzt und dem interessierten Publikum gezeigt werden konnten. Und dabei haben wir auf die kleineren Kollektiv- und selbständigen Ausstellungen noch gar nicht hingewie­sen. Darüber hinaus ließ man auch Einblick in die Werkstattarbeit, in das Experi­mentieren, in die Erschließung und Er­probung der möglichen künstlerischen Ausdrucksformen gewähren. Mit ande­ren Worten : Die Ausstellung wurde zum selbständigen Mittel der künstlerischen Ausdrucksweise, zur selbständigen Kunstgattung. Der Besucher erlebt also nicht nur einen schönen Gegenstand, ein wertvolles Einzelwerk oder ein plastisch bzw. bildlich anspruchsvolles Kunst­werk, das seine Welt in Richtung der bil­­denen Kunst erweitert und die Mittel der bildenden Kunst integriert, auf diesen Ausstellungen. Er wird auch mit dem Entstehungsweg des Kunstwerkes, mit der Natur und den Bearbeitungsmög­lichkeiten - oft mit den Grenzen dieser Möglichkeiten - der einzelnen Stoffe be­kanntgemacht. Die Künstler befassen sich mit immer mehr Stoffen und eignen sich neue oder uralte, bereits vergessene Bearbeitungs­techniken, Technologien an. Charakte­ristisch ist, unabhängig von der Kunst­gattung, daß sich unsere Kunsthandwer­ker um maximale Kenntnisse über die Stoffe bemühen, sich für die natürlichen Formen interessieren und sich der Erfor­schung der Reaktionen der Stoffe auf Außen Wirkungen widmen. Die ungarischen Verantwortlichen für diese Schau in Erfurt stützten sich auf die Ausstellungstätigkeit unserer Kunst­handwerker, indem sie mit dem Wettbe­werb unter dem Titel „Durchsichtig­keit, Licht, Schweben“ den Künstlern die Möglichkeit eröffneten, sich in Er­furt vorzustellen. Die Losung des Wettbewerbes fand so­wohl im Kreise angehender als auch im Kreise bereits reifer und erfolgreicher Künstler ein entsprechendes Echo, denn sie stimmte mit den künstlerischen Pro­blemen überein, die die Künstler bewe­gen. Bei der Auswahl der für die Schau in Er­furt vorgesehenen Kunstwerke war die Zusammenarbeit mit unseren Textil­künstlern und Kunstglasproduzenten besonders erfolgreich. Kein Wunder, denn die Gestaltung des Themas der Ausschreibung steht der von ihnen bear­beiteten Materie am meisten nahe. Welche Gedanken wurden in den Künstlern geweckt, zu welchen Arbei­ten inspirierten sie die Durchsichtigkeit, das Licht, das Schweben ? Die Vasen und andere nützliche und de­korative Gegenstände - diese intimen Ausstellungsexponate mit persönlicher Note - zeigen mit einfachen Mitteln die im Glas als Bearbeitungsmaterial ver­borgenen optischen Eigenschaften. An den Rasterverzierungen und an den sich in der Glaswand verbergenden Blasen bricht das Licht, auf den geschliffenen Gegenständen bekommt es eine neue Dimension, während es durch das far- 130

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