Neues Pester Journal, April 1894 (Jahrgang 23, nr. 91-110)

1894-04-01 / nr. 91

Dreiundzwanzigster gad­hgtr.91. urnal. 5 Pester Abonnement: Ganzj. fl. 14, Halbj. ff. 7, viertelj. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20.­­ Erscheint täglich, auch an Montagen. Eigenthümer: Sigmund Broppy. 3 een gene ..Honntag-1sxpri 118940 Einzelne Nummern in Sudapek 4 hr, in der Proving 5 kr, Redaktion und Administration: 5. Bezirk, Waitzner-Boulevard Nr. 34. ru va —— Mir richten namentlich an unsere geehrten Abonnenten in der Provinz die höfliche­ Bitte, die Erneuerung des Abonnements bei den betreffenden Boftl-Anstalten möglichst frühzeitig anmelden zu wollen, damit Die Zusendung des Blattes seine Unter­brechung erleide. ..« Ys­dapest,31.ga­rz. Nun folgt der letzte,große Schlußakt jener Trauerkundgebungen,mit welchen ganz Ungarn,in erster Reihe aber die Hauptstadt des Landes die Heimbeförderuug der Leiche Kossuth’9ssz begleitete.Die irdische Hülle,welche dem Mjigen Geiste als Organ diente,wird der heinsischen Erde überantwwortet.Die Pietät, welche von der die Funeralietz arrangirenden­ Hauptstadt den­ großen Todten gegenü­ber in so würdige­­ Formen bekundet wu­rde,«,erfuh­r eine schöne,wirklich menschliche Ergänzun­g durch die Thatsache,daß der Bestattung Kossuth’s die Versetzung seiner Gattin und seiner früh ver­­storbenen Tochter voranging·»chenke,o"Vater­­land,der Asche der Heimathiosem wenn du einst frei geworden sein wirst!«——diese Aufschrift hatte einst Kossuth auf das Grabmal seiner Lieben im Genueser Friedhof gelegt. Der Wille des nunmehr todten Patrioten wurde erz­­üllt. Indem er in seine ewige­­ Ruhestätte einzieht, findet er dort bereits die i­e Sener, welche seinem Herzen am­ nächsten gestanden. Und der Wunsch­ des fern von Der Heimath lebenden Kossuth, den er in den Mar­mor auf dem Genteser Gottesader eingraviren ließ, bezog sich gewiß auch auf seine eigene P­erson. Auch die Sehnsucht des durch. Die po­­­itischen Stürme in die Fremde verschlagenen Sohnes nach der gemeinsamen Mutter, der Wunsch, einst im Schofe der vaterländischen Erde zu ruhen, it in jenen kurzen Worten an­­gedeutet. Und da Koffuth seine schriftliche Berz­fügung D­interließ, welche Hinsichtlich seiner Beerdigung spezielle Bestimmungen­ enthalten oder die Heimbeförderung seiner Heide an irgend­welche Bedingungen geknüpft hätte, so kann es als gewiß angenommen werden, daß er es selbst gewünscht und gehofft, vereint mit der Ace seiner Lieben die ewige M­uhe in un­­garischer Erde zu finden. Lyfurgos, der große Geieggeber Spartas, hatte seinen Mitbürgern, als er in die Fremde zog, 008 Versprechen abgenommen, die von ihn gegebenen Gejege so lange nicht zu ändern, bis er nicht­ zurückkehren werde, ls er in der Fremde sein Ende herannahen sah, verfügte er, daß die Asche seines verbrannten Körpers im Winde zerstreut werde, damit man vieselbe nie nach Sparta zurückbefördern könne. Kossuth wollte nicht dem Beispiele Lyturgos’ folgen. Er wollte in heimischer Erde ruhen. Dieser sein Wunsch wird erfüllt, und er kann erfüllt wer­­den, denn diese heimische Erde ist Die eines freien Landes. Durch fünfundvierzig Jahre außerhalb des Landes lebend und die Informationen über die Zustände Ungarns fast ausschließlich aus den Drittheilungen einer Warteirichtung schöpfend, besaß Kossuth wahrscheinlich nur ein lücenhaftes Bild von dem wahren Charakter des jenigen ungarischen Staates. Doch wäre es geradezu undenkbar, daß ein mit solch auß er­­ordentlicher Begabung ausgestatteter Geist, wenn auch vielleicht seinen in allen Details zu treffenden Begriff, nicht wenigstens eine Ahnung gehabt haben solle von den gewaltigen Ver­änderungen, welche sich in unserem Lande voll­­zogen. Aus gewissen Symptomen, aus jenen under fink­baren Ausstrahlungen eines kräftig pulfi­enden nationalen Lebens, welche einem magnetischen Strome gleich selbst in größeren­ Entfernungen fühlbar sind, mußte er den Eindruck empfangen haben, daß das von ihm in tödtlicher Erstar­­rung zurückgelassene Ungarn sich im wahren Sinne des Wortes verjüngt habe. Thatsache ist es, daß­ er den mit ihm in persönlichem Ber­­feht stehenden Mitgliedern der staatsrechtlichen Opposition gegenüber unablässig auf den großen Unterschied Hinwies, welcher zwischen seiner persö­nlichen, exzeptionellen B­osition und der Position einer wenn auch oppositio­ neulen, doch im Vaterlande lebenden, Bier zu wirten berufenen ,Bartei besteht. Er wies wiederholt ausdrücklich Darauf­ hin, A. diese Bartei bestrebt sein müsse,­­ das allen des Herrschers zu gewinnen. Ein solcher Rath ist nicht mehr eine Politis der Unversöhnlich­­keit, sondern eine P­olitit, welche mit den Grundbedingungen eines monarchischen Staats­­wesens rechnet. Kossuth wollte nicht, er konnte es nit wollen, daß­ die in ihm verkörperte­dee der Unversöhnlichkeit­ mit seiner Leiche nach Ungarn befördert werde. Mi seiner Grabstätte wird der Genius der Versöhnung wachen. Unter den tausenderlei anderen Be­­weisen it die SHeimführung seiner irdischen Ueberreste gleichfalls ein Beweis, daß wir heute ein Staatsunwesen bilden, das mit allen Garans­tien der Freiheit ausgestattet it. Einst war es gefährlich, seinen­ Namen auszusprechen.. Heute veranstaltet ihm die Hauptstadt Ungarns ein imposantes­­ Begräbniß, wie solches selbst den größten Männern nur überaus selten­­ zu­­iheil wird, und die gesammte Nation afsistirt diesen Auneralien mit entblößtem Haupte, und mit tiefempfundenen Gefühlen im dankbar bes­iegten Herzen. Das Land hat Kosinth bestat­­tet, nach erfolgter Bestattung möge das Land an sein regelmäßiges Tagewerk gehen. § F b B B § 1 ; # Be Hé Bi & 4 § | § Seren B Griefenes, ranngenes, Griesenes. (Original-Feuilleton des „Neuen Beter F­orrnal") Ein Näthfel. Sie kommen nicht, wenn wir sie rufen, und bleiben uns auf dem Salje, wenn wir sie fortschiefen. Wer sind diese merkwürdigen Gäste? Es sind die Gedanken. Woher sind sie und wohin gehen sie? Warum sind sie jegt willfährig und gleich darauf unwiderspenstig ? Blasen des Gehirns nennt sie der Dichter und läßt uns damit glauben, da sie aus uns kommen. Es ist aber nichts in uns,­­nämlich vom Hause aus, wovon sie leben können. Das Denken kommt von innen; die Gedanken kommen von aufen. Die Potenz des Denkens jedoch ist stets da; die Welt der Dinge und Begriffe liegt überall um uns und Alles ist uns eigentlich — da der Gedanke schneller eilt, als Schall und­ Licht — überall gleich ferne und gleich nahe. Warum können wir also nicht immer deuken, wann wir wollen, was wir wollen und wie viel wir wollen? Warum können wir nicht anfangen und aufhören nach Belieben, warum die Gedanken nicht kom­mandiren? Die reichsten Genies und die­ gereif­­testen Stünstler und Center stimmen darin­ überein, daß sie in ihrer Gedankenarbeit nicht von sich selbst abhängen. Invita Minerva — unter dem Wider­­streben der Göttin — sind die Werke entstanden, in denen Meister sich schwach zeigen; zur­ „guten Stunde“ dagegen jene, wo Große sich selbst über­­treffen. Aber auch wir gewöhnlichen Leute erfahren an uns, daß nicht wir zu den Gedanken, sondern die Gedanken zu uns kommen. Manchmel führt teifliche Wederlegung zu einem klugen Entsehlusse , aber viel öfter bringt uns ein Moment unerwartet das Richtige. Und wir schlagen uns an den Kopf, nicht aus Freude, sondern wie um ihn zu strafen, den dummen Schädel, dem eine so einfache, klare Sade nit shhon früher eingefallen ist ! Und es ist doch derselbe Kopf, der jet so blitischnell und so blighell fid) erwies! * Sch. 1a3 dieser Tage in den Schriften eines fühnen philosophischen Kopfes und fand folgende Sentenz : „On ne peut penser et 6orir qu’assis” (Man kann nur fitend denken und schreiben) sagt Gustav Flaubert. Damit habe ich Dich, Nihilist ! Das Sigfbeildh ist gerade Die Sünde wider den heiligen Geist. „Nur die ergangenen Gedan­­ken haben Werth.“ Da stehen einander zwei gescheidte Köpfe gegenüber, die beide aus Erfahrung urtheilen, und beide haben recht. „Ersesfene“ und „ergangene” Gedanken! Klingt das nicht sonderbar? Es ist wie mit der Jagd ; der Jäger kann auf dem An­­stand harren, bis ihm das Wild zu Schuß formt, er kann ebenso pürtchen durch Feld und Busd, um die Beute aufzuscheuchen, und es gibt außerdem eine Treibjagd, auf der einem das Wild durch fremde Hilfe zugesagt wird ; das it. auf die Gedankenjagd übertragen,­­ die gestüre fremder Gedanken, welche nur für den trägen und unfruchtbaren Kopf bloße Mit­­theilung bedeutet, jedem eigenberechtigten Gehirn aber eigene Gedanken erweckt. Da hätten mir den zu den erseffenen und ergangenen — um bei der etwas zweifelhaften M Wortbildung zu bleiben — wo die „erlesenen“ Gedanken. Für jede Art des Dentens sprigt die Erfahrung, und jede zeigt, daß wir Durch einen Willensakt das Den­­ten fördern können. Aber alle zusammen bemwei­­fen nicht, daß wir volle Seereihaft über Das­­jenige haben, was doch aus uns zu kommen scheint, über die Gedanken. Das Siten zunächst, das Flaubert empfiehlt m it vielen Leuten das Lebenselement der Ce­danienarbeit. Er freilich fügt ein Wort bei, welches die Gnade wie mechanisch erklärt. Er sagt: Denken und Schreiben fann man nur­ figend. Aber er meint damit: Denken kann man nur schreibend.; denken nämlich­ in den Sinne, B da­ man nicht nur Gedanken hat, sondern sie alle ausdenkt, d­urchdenkt,­ zu Ende denkt, bis zu jenen Ende, wo sie mittheilbar werden. Denn ein Gedanke, so rasch und geheimnißvoll er auf entstehe, so arsinnlich und seelisch er auf im Wesen ei, muß, um zu existiren, wie die Seele einen Leib haben, einen Organismus, Anfang und Ende, Kopf und Fuß. Und, gar eine Gedankenfolge oder eine Darstellung oder ( was ja auch Gedante ist: eine’ Melodie! Nun, diese Formung oder auch nur Firiring eines Gedan­­tens ist an die „Erbsünde” des­ Sikens gebunden, mindestens an die des Schreibens. Den Schmetter­­ling Biyde muß man zu faffen versuchen, um ihn irdisch zu Füllen. Ein Tölpel, wer ihm dabei vie­l schönen Flügel läcb­t! All ja doch schon die Operation des bloßen Gedächtnisses, um Gedanken, Die auf­­steigen, festzuhalten, an sich eine Kopie, nur weni­­ger verläßlich als das Umgiegen in Zeichen, die außerhalb unseres Kopfes em­stiren. Also um recht zu denken, muß man schreiben, und um zu schrei­­ben, muß man fißen. ch habe unter meinen Be­­kannten einen Dichter, der mir gestanden Hat, es fielen ihm im Gehen tausend Dinge ein, aber noch­ nie sei er im Stande gewesen, fid) auch nur die erste Szene eines Stüces­­ vorzustellen, wenn er nicht Rapier vor fidh und den Stift in­­ der Hand hatte. Die­dee eines Ganzen, die steige vor ihm auf in Hundert V­erzweigungen und mit grenzenz­losen Perspektiven, aber festhhalten lasse si sein Detail, nicht einmal ein Name, ehe er zu schreiben beginne. Das hat seine physiologischen und seelischen Gründe. Das Siten ist fein so ein­­faches und selbstverständliches Ding, wie man sich es vorstellt. Es bedeutet vor Allem geistige Samm­­lung, weil es den Leib jeder Funktion überhebt. 63 zieht ab vom jeder Beziehung und Berührung | B MM B b | /

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