Oedenburger Zeitung, 1899. November (Jahrgang 32, nr. 251-275)

1899-11-01 / nr. 251

0 ” XXXII Jahrgang s­­ " Mittone, 1. November m. * Sep »Politifdes Tagblatt. Adminiftration und Verlag: Buchdrukerei Alfred Homm­alter, Grabeneunde 121, Telefon Nr. 25. sl Preis: 6 Seiler. Bram­merationd- Breite: Fir Loco: Ganzjährig 20 Kr., Harbjährig 10 Kr., Vierteljährig 5 fr, Monarlıd) 1 Kr. 70 SI. Für Audwärts: Ganzjährig 25 Kr., PR 2 Kr 50 91., Vierteljährig 6 Kr 25 Hl., Monatlich 2 Kr. 20 Hl. Preis: 6 Seller. BEE Des Feiertages wegen er­­scheint unsere nächste Kummer Don­­nerstag. Aibends,­­ Im­erate nach Tarif. Derselbe wird auf Wunsch überall im gratis und franco versendeh, Annoncenquftinge Abonnements und Jnsertionissos­bühren sind an die Administration (Grabenrunde 121) einzusenden. Vermittlung durch alle Annoncen-Bureaug. — . t Alferseelen. Dedenburg, 31. Oktober. Wie über den Gräbern liegt Stille und Sriede über Feld und Flur, sobald der rauhe N­ovember ins Land tritt. Die muntern Sänger in Hag und Bush sind verstummt­­ und sträuben ihr Gefieder, daß sie aus­­sehen wie feine ederbälle: sie machen einen „Pelz“ und die empfindlicheren unter ihnen haben sich längst aufgeschwungen und sind weit fortgezogen in sonnigere Gefilde. Gelb fallen die Blätter, die jüngst fröglich noch gegrünt von den Bäumen, und der rauhe Athem des „Windsmonds“ treibt sie rauschend vor sich her über den erstarrten Boden, wie ein grausamer Sieger die­ überwundenen todesmatten Schaaren. Nebel, Dämmerung und Nach­t ziehen herauf und nur hier und da fällt noch ein Sonnenstrahl auf die verödete Erde. Die eigentliche Signatur der Zeit sind aber graufeuchte Nebelschleier, sie um­hüllen das wehmüthige Bild des Fried­­hofes, nach dessen Gräbern die Lebenden morgen und übermorgen eifriger als sonst im Jahre pilgern werden, um bunte Blumenkränze und Grabeslichter als duftige und hellauflodernde Opfergaben der Er­­innerung an ihre Todten zu meiden. Auf den Gräbern wird das — ad, leider! — trügerische Bild neu erwachten Blüthenlebens entfaltet; auf Gräber fällt noch einmal der helle Schimmer wahren Himmelsglanzes von den Kerzen und Ampeln ausgehend, die lautere Menschenliebe, frommes ottver­­trauen und sinnige Pietät dort anzünden am Allerseelentage. Allerseelen­ meld’ Hochernste, be­­deutungsvolle, heilige Zeit, die uns daran mahnt, daß Alles vergänglich, Alles Staub it und daß die Menschen übel beraihen sind, wenn sie sich selbst die kurze Spanne Lebens durch unfruchtbare Barteizwillig­­keiten, durch eingebildete Wider­wärtigkeiten und unerfüllbare Ansprüche verbittern. Der Kampf ums Leben ist eine unmench­­liche Kette, deren Dinge zumeist aus menschlichen Jammer bestehen und nur hie und da glänzt ein Ringlein — Glüd, Zufriedenheit genannt — zwischen den dunklen Genossen heraus. Wir aber denken am Allerseelentage nicht der Sorgen, mit welchen die ung im Tode vergangenen Lieben zeitlebens gerungen haben, wir sehen sie vor uns in ihren spärlichen glüklichen Stunden, verklärt vom Strahlenfranze m wehmüthiger Erinnerung und Die Kränze, die mir trauernd auf den falten Leichenhügel legen, gelten ihren Tugenden ; für ihre Mängel haben wir nur die P­alltonsblume der Versöhnlichkeit.. Wohl sind die Zeichen äußern Schmucks nur ein schmacher Aus­druck dessen, was darinnen unvergeßlich murzelt, doch die geweihte Stätte, wo der Staub ausruht vom bunten Traum des Lebens, sie war von je­der Menschheit hoch und heilig an der Friedensort, wo still die ernste Majestät des Todes thront, t wo der­ Todesengel seinen großen Garten pflegt.­­ Wenn wir in schmerzlich süßer Er­innerung verlunfen vor den Gräbern stehen, so ist es uns als flüsterte uns eine innere Stimme zu: ,„Berraget nicht, es gibt ein Wiedersehen!’‘ und­ daran Hammert ih der wahrhaft Fromme — nicht der früm­­melnde — Mensch und blicht da rum ohne Murren, ohne Groll auf das Häuflein Erde, das seinen Raub so fest verschlos­sen hält. Heuer vollendete das halbe Jahr- Hundert seinen Lauf über den Gräbern Derer, melde die gesammte ungarische Nation als die hef­denhaften, edlen Blut­­zeugen ihrer Freiheit verehrt. Heute am A­llerseelentage sollen wir auch ihrer Manen pietätsvoll gedenken. Nicht verblaf­fen soll die Erinnerung an die hehren Lichtgestalten, die als Märtyrer Für die Unabhängigkeit ihres theneren Vaterlandes, zu Arad in den Schopf der Erde gebettet wurden, allem verflären sol das Nacgedenken einer ganzen Nation die Dankbarkeit und Liel zu dem hochherzigen Schöpfer der heutigen Unsere Beufige Nummer 11 8 Herten stark. Feuilleton. Die Ehre des Todten. „Sei, brav, Willi, macht die Aeuglein zu“, sagte die junge rau, „ed ist ja bald zehn Uhr“. Sie neigte sich zu ihrem Kinde, einem dreijährigen, wohlgenährten, cothwangigen Büblein, süßte ihm den Wiund und drückte das Blondtöpfchen sanft in den Bolster. Willi war brav. Er schloß lächelnd die Augen. Die junge Frau stand in eine Weile da, in den Anblick des Kindes verjunfen. Dann wendete sie sich um und schritt in der Stube, deren Dielen große L­aufteppiche bedeckten, auf und nieder. Eine­ saubere, aber ärmliche zweifensterige Stube, in der einzelne bessere Möbelstück, der Flügel und das in einen Soldrahmen gefaßte Delbild, welches an der Wand über dem Schreibtisch hing, von verglommener Pracht zeugten, von jenen schönen Zeiten erzählten, da Frau Marie Helwig nicht, wie jeit, ge­­zwungen war, durch Musik- und Sprachen­­unterricht ihren ‚Lebensunterhalt sümmerlich zu erwerben, da sie, Die Gattin eines geachteten, reichen Kaufmannes, als Schönheit in der Gesellschaft gefeiert war und in den Tag hinein lebte, fröhlich, sorgenlos und unwohlgemuth . .. Die junge Frau ließ sich auf den Lehnstuhl am­­ Schreibtisch nieder und starrte in sich hinein. Der volle Lichtschein der tief herab­­gebrannten Kerze fiel auf ihr Gesicht: ein zartes, oachSbleiches, frühzeitig gealtertes Gesicht mit einem leidvollen Zug um den schönen Mund. Nur ihre Dunkelblauen, von larigen Wimpern überschatteten Augen waren noch jugendlich glanzvoll. Aber der Glanz, der aus ihnen strahlte, war fein fröhlicher, es sprach etwas Wildes, Wüstes aus­­diesen funfelnden Augensternen, ein unendlich herbes Weh und eine stumme Berzmweiflung, die sich nicht in Worte bannen lassen. Er war still in der Stube, so lautlos still, daß man das Tiefen der kleinen Taschen­­uhr vernehmen konnte, die auf dem Tusch neben einem Zeitungsblatte lag, darin zei fettgedruckte Worte: Unschuldig verurtheilt — roth unterstrichen waren. Auf einmal hallten vom Kirchturm zehn Schläge. Und wie ver­fegte Schlag verrauscht war, regte es sich fuiternd im Gitterbettchen. Willi hob den Kopf empor.Er konnte nicht schlafen so müde er auch war Seine verschwimmenden W­euglein gingen juchend umher. Er wollte sich zunächst davon überzeugen, ob Alles, was ihm a­n Herzen lag, nch an Dr und Stelle sich befand. Nichts fehlte. Oben an der Zimmerdecke schwebte die runde, vorhe Kugel, der L­uftballon, von dem eine­ dünne­ Schnur tief herabhing. Willi ergriff die Schnur und und zog daran. Die rorhe Kugel glitt ein wenig nieder, stieg empor, pochte, zweimal leise an die Dede und blieb wieder still schweben. Aber auch das pusige Kasperl, dessen Kopf im Striclwert des Bettchens steckte, hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Der Knabe drücke das Figürchen, das daraufhin langsam Die 2ider hob, die Arme regte und die Kleinen Trebinellen gegen­einander stieß. Das gab einen feinen Klang. Willi erschrad. Wenn Mama es gehört hätte! Er dukte ich rasch unter die Dede. Da fühlte er etwa Hartes, Kühles an der Wange. Was war es nur? Wichtig, sein Apfel, den er. Heute Abend von Mama bekommen, als Lohn dafür, daß er ihr das Nachtgebet nachgejagt. Er faßte den Apfel und bik hinein. Sehr fielen seine Blicke auf den Kranz, der auf dem Stam­pe lag Dieser Kranz war er, der ihm den Schlaf verscheuchte und der set wieder eine Fahl von fröhlichen Vorstellungen in seiner Seele, er­weckte. Morgen Früh wird er mit Mama (­ der Trammar) zum Friedhof fahren und auf Papa’s Grab diesen Kranz niederlegen. Das wird herrlich werden ! Und er wird die ganze Fahrzeit neben dem Kutscher stehen! Und er selbst wird den Kranz auf’s Grab legen. D Papa tief unten in­ der Erde liegt, damit sich Willi befreundet, das bereitet ihm weiter seine Sorgen, das wu­ndert ihn nicht einmal. Aber während er jeßt, den Bollgenuß des saftigen Apfels auskostet, taucht plößlich ein forgender Gedanke in ihm auf, der ihn big jest noch nicht, beunruhigt hat. Es alt ei schweres Problem, das in dem Blei tumort und nach, einer Lösung pa­ntwort finden Aber Mama muß er wisse­n sinnt und finnt und fann doch feine

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