Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1884. Oktober (Jahrgang 11, nr. 3284-3310)

1884-10-27 / nr. 3306

Hermannstadt, Montag Seite 1078 und ich war auch gefaßt darauf, daß derselbe fi von mir verabschieden werde. Das aber, geehrtes Haus, traf nicht ein, ja der König richtete sogar folgende Worte an mich: „Ich bitte Sie, Herr Abgeordneter! Lassen Sie mich wissen, auf welche Art könnte man es veranlassen — — — (Heiterkeit und Applaus rechts.) Applause taugen nur für Komödianten. (Hört! Hört!) Wie könnte man e3 veranlassen — Belieben Sie nochmals zu lachen; ich wiederhole ja — (Heiterkeit) daß die ungarische Nation glücklich und zufrieden sei? Nun ich sagte Sr. Majestät, von meinem politischen Standpunkte ausgehend, was zu thun wäre und der König nahm das auf­­­richtige Wort nicht übel auf. Wenn Sie nun noch wissen wollen, wie «8 fam, daß Sr. Majestät diese Frage an mich richtete, so will ich es Ihnen sagen. (Hört!) Der gegenwärtige Ministerpräsident war einer derjenigen, die mich im Jahre 1859 aufforderten, anläßlich der Rundreise Sr. Majestät eine Begegnung zu suchen und dem Herrscher die elende Lage der Nation auf­­­zutreren. Ministerpräsident Koloman Tiga: IH? Niemals! Alexander Chanady: Bergebens schütteln Sie Ihr Haupt, mein &3 ist doch so. Ministerpräsident Koloman Tina: Niemalz ! Präsident: Ich bitte den Herren Abgeordneten, in Ruhe zu vollenden. Alexander E3anadh: Ich vollende schon, nur möge man mich Herr! nicht stören. Nedner erzählt, wie er infolge jener Aufforderung an der Spiße einiger hundert berittener Sänglinge auszog, mit einer Fahne in der Hand, auf welcher geschrieben stand: „1848. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit !” Bei Meze­ flereptes traf er mit Sr. Majestät zusammen. Er schilderte ge­­­treulich die elende Lage der Nation, und in Erinnerung an jene Unterredung mochte Se. Majestät dann späterhin die erwähnten Worte an ihn gerichtet haben. Nicht der König ist daher schuld daran, wenn den Uebeln des Volkes nicht abgeholfen wird, sondern der Herr Ministerpräsident Koloman Tipa, der dem Könige stets alles in rosenfarbenem Lichte malt und der ihm nicht sagt, daß das Grundübel der fluchwürdige Ausgleich ist. Wenn die Nation die gemeinsamen Angelegenheiten nicht anders los werden kann, so wäre es ein Glück, wenn der Wind die österreichische Kaiserkront vom Haupte des unga­­­rischen Königs briefe. Präsident: Ich mache den Herrn Abgeordneten darauf aufmerksam, daß solche Ausdrüche seineswegs am Plage sind. (Rufe rechts: Er nimmt sie ja ohnehin niemand ernst!) Nedner erklärt nun, daß er den Sranyi’schen Adreßentwurf annimmt und schließt mit den Worten: Wie in der Vergangenheit, so kämpfe ich auch sei für die Sühne, auf­­­ welcher geschrieben steht „1848. Freiheit, Gleichheit und Brübderlichkeit!” Und ich bin überzeugt davon, daß alle ein Verbrechen gegen Vaterland und Nation begehen, die den Soeen dieser Heiligen Dreieinigkeit zuwiderhandeln. DO Gott, Gott der Magyaren, wolle es geben, daß diese Heiligen Worte je eher in Erfüllung gehen und bis ans Ende alter Tage bei uns thronen sollen ! (Lebhafter Beifall auf der äußersten Linken.) Hierauf Schluß der Debatte,­­­ Eichenbärgisch-Deiniges Tageblait. Politische Webersicht. Hermannstadt, 26. Oktober, In den im Neichgrate vertretenen Königreichen und Ländern Gr. Majestät haben die verschiedenen Landtage ihre Sessionen beendigt, und Die parlamentarische Winterkampagne der Delegationen und des Reichsrates nimmt ihren Anfang. Am 27. d. M. werden diesmal bekanntlich in der ungarischen Hauptstadt die ersten Ligungen der Delegationen stattfinden, während die feierliche Eröffnung durch Se. Majestät Dienstag oder Mittwoch stattfinden wird... Nachdem es über die Monarchen-Zusammen­­­kunft in Skierniewicze seit dem famosen Pafsus in dem Adreßentwurfe der Regierungsmajorität des ungarischen Reichstages in der legten Zeit etwas ruhiger geworden, dürfte man nunmehr wieder ein lauteres Rauschen in unseren Blättern in dieser Sache vernehmen, denn seinesfalls dürfte dieses Thema der großen Politi­­kn den Delegationen unerörtert bleiben. Einen so dankbaren Gegenstand dürften unsere parlamentarischen Politiker sich eben fehlerlich­­er ihr Ansehen umverwertet entgehen lassen. Ob der ge­­meinsame Minister des Aeußern, Graf Kalhofy, ihnen aber den reinen und unverfälschten Wein einscheinen wird? Wer kann er wissen? Graf Kalnoky wird den Pofal, angefüllt mit dem europäischen Friedenstrante noch einmal Kredenzen, und damit die Wißbegierde gefü­llt sein. Hat, doch aue das offiziöse „Journal de St. Peterdbourg” nur diesen Ton anklingen lassen, als er vor einigen Tagen schrieb: „Daraus ergiebt sich die Folgerung, daß der gemeinsame Wunsc und das gemeinsame Interesse des Friedens wahrscheinlich das Terrain waren, auf welchem sich die drei erlauchten Gäste von Skierniewicze be­­­gegneten. Die herzliche und feierliche Manifestation ihres Einverständnisses war an sich schon eine Friedensbürgschaft von unbestreitbaren Werte. Wir glauben also, daß sie gegenseitig weder Zugeständnisse zu verlangen, noch zu gewähren hatten, daß jeder von ihnen nach wie vor seine volle Aktions­­­freiheit bewahre und daß sie nur übereinsamen, dieselbe zum Vorteile des Sr­edeng, sowohl unter sich als nach außen hin auszuüben. Das ist die Bedeutung, welche die öffentliche Meinung von ganz Europa Dieser­­­ wichtigen Zusammenkunft beilegt. Wir glauben, daß die­­­selbe die einzig richtige sei. Aber diese Situation des allgemeinen Einvernehmens und der all­­­gemein friedlichen Stimmung bietet sein sehr günstiges Terrain für leiden­­­schaftliche Polemiken. Aus diesem Grunde teilen jedenfall gewisse Zeitungen die Befriedigung nicht, mit welcher D­ieses Ereignis von dem europäischen Publikum’ aufgenommen wurde. Für einen Teil der Breite ist zwar das Neden Häufig Silber, aber das Schweigen niemals Gold.“ In der braunschweigischen Erbfolgefrage hat der Herzog von Cumberland, Ernst August, Stellung genommen, durch ein von ihm unterm 18. Oktober unterschriebenes, un­aug­­ebunden datiertes Patent, laut welchem er die Negierung von Braunschweig übernimmt, von Lande Belich ergreift, und ich wegen der Huldigung die erforderlichen Anordnungen vorbehält. Ernst August hat dieses Patent an alle deutschen Höfe und Die freien Städte geschickt, inzwischen hat freilich auch die „Nordd. allg. Ztg.“, wohl nur namens der Berliner Regierung, gesprochen, und was sie sagte, befindet sich im äußersten Gegenjage zu den Thronaspirationen des Herzogs von Cumberland. Der Artikel der „Norddeutschen“ hat nun den Born der „Germania“ herausgefordert, wie denn überhaupt die Eler­fale SBrefse Deutschlands eifrig für den welfischen Thronbewerber Partei nimmt, und schreibt das erwähnte Blatt nachstehendes: „Der Offiziosus will den recht­­­lichen Standpunkt „nicht berühren“, seine Aeußerungen beweisen indes Hin­­­länglich, daß er ihn nicht kennt oder ihn nicht kennen will. Eine Wider­­­legung der obigen perfiden, in sich­ selbst zusammenfallenden Argumentationen wäre nußlose Wende, aber ein Blut­ gegenüber der schmachvollen Beleidigung eines M­itgliedes eines souveränen Firstenhauses durch einen Stridenten, der vorgiebt, Monarchist zu sein, ist doch wohl sehr angebracht. Wie fann ein solcher sich herausnehmen, den Herzog vom Cumberland pure als Ber­­­räter zu brandmarfen ?“ Der braunschweigische Regentschaftsrat hat bei der Eröffnung der Landesversammlung in höchst reservierter Weise versichert, daß Braunschweig dem Neiche geben werde, was des Neiches sei, und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Berfassung des Herzogtums bei der Lösung die entsprechende Berücksichtigung finden werde. » Auf 23.d.M.wurde in London die außerordentlich­e Session des Parlaments mit einer Thronrede eröffnet.Dieselbe konsta­­­tiert,daß die Beziehungen zu allen Mächten freundschaftliche seien,und sagt:»Die Nachrichten aus dem Sudan geben einer peinlichen Ungewißheit Raum,aber die Energie und der Mut Gordons bei der­ Verteidigung Chart­nns verdienen die wärmste Anerkennung.Das Vorrücken der eng­­­lischen Truppen bis Dongola bezweckt die Befreiung Gordon­s und der­­­jenigen,welche ihm treue Hülfe gewährt haben.« Die Thronrede sagt hveiterg:»In Egypten habe ich meine besten Bemühungen darauf verwendet,um­eine Besserung noch mehr zu sichern. Ich habe der egyptischen Regierung in­ der schwierigen finanziellen Lage, welche aus dem­ Mißerfolge der Londoner Kon­ferenz resultierte,meine Unterstützung geliehen.Im Ein­verstän­dnisse m­it der Regierung des Kap­­­landes bin ich damit beschäftigt,die nötigen Mittele erwägen,um der Konvention mit dem Transvaal-Lande die Beachtung zu sichern.Die Operationen im Sudan werden neue Kreditforderungen n­otwendig machen.« Die Adreßdebatte hat zugleich ihren Anfang genommen.Alle An­­­zeichen sprechen dafür,daß man im Adreßdebattieren in Pest den Engländern weit»über«ist. · Durch den Pariser Vertrag von 1856 war das Schwarze Meer bekanntlich neutralisiert worden;Rußland und die Türkei durften nur zu polizeilichen Zwecken je sechs kleinere Kriegsschiffe dort stationieren.Im Jahre 1870 hat nun Rußland erklärt,daß es die Verbindlichkeit dieser Be­­­schränkung für sich nicht mehr anerken­ne,und die Londoner Konferenz von 1871 hat dann eine entsprechende Renderung der betreffenden Bestimmungen vorgenommen.In den letzten Tagen sind nun,da Rußlan­d im Schwarzen Meer keine großen Kriegsschiffe m­ehr hatte,die feierliche Kiellegung fü­r drei russische Panzerschiffe ersten Ran­ges in den Häfen von Nikolajew und Sebastopol statt.Im ersteren galt die Feier,welche der vom­ Marineminister begleitete Generaladmiral Großfürst Alexis leitete,einem Panzerschiffe,das den Nam­en»Kath­arina«führen wird,im letzteren zwei neuen Panzer­­­schiffen,»Sin­ope«un­d»Tschesme«.In seiner Ansprache,die Großfürst Alexis bei dieser Gelegenheit hielt,war der leitende Gedanke,daß sich in der Wiederherstellung der Flotte des Schwarzen Meeres der Glaube an die Zukunft Rußlands verkörpere.In Rußland wird dem Vorgange eine große Tragweite beigelegt. In Belgien hat das Florifale Kabinet Malou, nach kurzem Bestande, seine Demission gegeben, welche der König wünschte, und es soll nunmehr ein Geschäftsministerium gebildet werden. Stimmen aus Dem Bublikum. Bitte Da eine neue Bearbeitung der von mir 1857 herausgegebenen „Siebenbürgischen Sagen” in Vorbereitung sich befindet und es sehr ertwünscht wäre, wenn dabei insbesondere auch die geschichtlichen Sagen aus allen Teilen des Landes reichlicher vertreten wären als dies damals möglich 27. Oktober 1884. Nr. 3306 war, so erlaube ich mir die höfliche Bitte an alle Freunde der Sache, vor allem an jene, die am meisten Gelegenheit haben, mit dem Wolfe zu ver­­­fehren, an die Herren Geistlichen, Lehrer und Notare, mich mit solchen Bei­­­trägen unterfragen zu wollen, welche noch nirgends veröffentlicht worden sind. In der Aufzeichnung wolle man die Sprache, in welcher das Wolt er­­­zählt, in seiner Weise verändern und die gesammelten Gaben bis Ende November gefälligst an mich gelangen hafen. Hermannstadt, 26. Oktober 1884, Dr. Friedrich Müller, Stadtpfarrer. Mofal: und Tages» Chronik. (Ernennung.) Der f. u. Minister für Kultus und Unterricht hat die ordentliche Lehrerin an der Kronstädter Staats-Clementarschule, Katharina Borosnpoi, in ihrer gegenwärtigen Anstellung bleibend bestätigt. (Ernennungen.) Ueber­­vertrag des F. ung. Justizministers wurden von Sr. f. und apostolisch­­e­ Majestät ernannt: bei dem Tordaer Gerichtshof: Sigmund Nagy, Unterrichter de Tordaer Bezirksgerichts ; bei dem Klausen­­­burger Gerichtshof: Ladislaus Bodor, Vizeanwalt in Slaufenburg; endlich­­­ beim Hapeger Bezirksgericht: Zosef Veres, Vizenotär ebendort. (Personalnachricht.) Se. Exzellenz der f. u. Minister für Kultus und Unterricht wird demnächst in Marrenburg eintreffen, um die neuesten Universitätsbauten zu besichtigen. Bei diesem Anlaß wird, wie „K­olozsvari Közlöny“ berichtigt, der dortige Universitäts-Gesangverein an den Minister ein Gesuch um Beschaffung eines Klavier für seine Gesangsübungen richten. P­ersonalnachricht.­ Oberst Josef Ritter Draudt von Paal Tione, ein Sohn de Hauptmann Johann Draudt aus Kronstadt, Kommandant des­­nfanterie-Regiments Erzherzog Friedrich Nr. 52, ist auf sein Ansuchen in den Ruhhestand verlegt worden. Se. Majestät hat demselben bei diesem Anlasse den General-Majors-Charakter ad honores und in Anerkennung seiner langjährigen, pflichttreuen und vor dem Feinde ausgezeichneten Dienst­­­en das Ritterkreuz des Leopold-Ordens, beides mit Nachsicht der Taxen, verliehen. (Oberehegericht.) Heute beginnt eine dreitägige Sihungsdauer des Oberehegerichtes der ev. Landeskirche WA. B. Kundmachung der Hermannstädter f. u. Bottdirektion.) Zu belegen ist eine Bottmeisterstelle in Baaßen (Kleinkfoffer Komitat), gegen Dienstvertrag und Erlag einer Barfaution von 100 fl. S Jahresbezüge: 120 fl. Gehalt, 40 fl. Kanzlei und 400 fl. Beförderungspauschale. Bewerbungsgesuche sind binnen 3 Wochen bei der obigen Direktion einzureichen. (Todesfälle) In Hermannstadt starb am 25. Oktober im 67. Lebensjahre nach schwerem Leiden Samuel Fikeli, Ev. Ingenieur, ein seines Charakters, Wissens und Fleißes wegen hochgeachteter Bürger dieser Stadt. Die Beerdigung findet heute nachmittags 3 Uhr auf dem evangelischen­­riedhofe statt. gu Diod starb am 16. d. M13, Frau Mathilde Zeyf von Beyffalva, geb. Barcsay von Nagy-Barcsa, nach langer Krank­­­heit im Alter von 36 Jahren. (Beim Zahlkonzert des Musikvereins) am 1. November steht den Freunden der Chorschule, namentlich aber jenen Familien, die in derselben ihre Mädchen im Chorgesang unterrichten lassen, eine herzige Ueberraschung bevor. Als Mittelpunkt, um den sich die Soloproduktionen gruppieren, erscheint im Programm, worüber sowie auch über die Karten­­­ausgabe wir demnächst eine eigene Anzeige bringen, der reizende Frauenchor „Durch die Linden rauscht der Wind“ von Neinede Diesen Chor n um im Konzerte vorzutragen, hat der Musikdirektor als ersten Berjuch einer öffentlichen Kunstleistung dem zweiten Kurs der Chorschule des Musikvereins zugemiesen, wovon auch auf diesen Wege die Eltern und Angehörigen rechtzeitig verständigt werden, damit alle Schülerinen des zweiten Kurses­ am 1. November ohne Ausnahme um 6 °­­ Uhr abends zum Konzert sich einfinden können. (Diebstahl.) Ein beim Wirtshause im jungen Walde stehender unbespannter Einspännerwagen, grün angestrichen, mit roter Wagentruhe, ist in der Nacht vom 24. auf den 25. d. M. gestohlen worden. (Ein junger Nattler) wurde aufgefangen und befindet sich Schwimmschulgasse 8. (Gefunden) wurde eine Kriegsmedaille. (Zeitungsnachricht) Die legte Nummer der „Karlsburger Wochnschrift" kündigt ihren Abonnenten an, daß sie nun zu erscheinen aufhöre, und an deren Stelle ein neues Blatt trete, unter dem Titel: „Deutsche Lesehalle, für alle Stände“ herausgegeben unter Mit­­­wirkung hervorragender Schriftsteller und Journalisten von Mari Zitter. Die Probenummer dieser neuen litterarischen Wochen­­­schrift, welche rein deutsch-nationale Interessen vertreten wird, erscheint am 6. November in Hermannstadt und wird folgende Artikel enthalten : 1. Unser Programm, von Morig Bitter. 2. Ein freier Bit in die Gegenwart, von Rudolf Steiner in Brunn am Gebirge bei Wien. 3. Poesie und Religion. Ein Essay von Dr. Eugen Filth in Hermann­­­mannstadt. 4. Unsere Herkunftsfrage, von Professor Johann Leon­­­hardt in Schäßburg. 5. Feuilleton. 6. Roman. 7. Wissenschaft und Kunst. 8. Eine Beilage: „Poesie“ Nr. 1. Die Beilage „Poesie“ er­­­scheint ebenfalls allwöchentlich und bringt Gedichte unserer hervorragendsten inländischen Dichter. Das Abonnement beträgt ganzjährig 6 fl. Mein Vater kam auch sehr bald,tötlich erschrocken über den Unfall seines Lieblings und voll Dankbarkeit gegen die Fremde,die so liebevoll für mich sorgte. Von diesem Tage an war ich sehr häufig in dem Veilchenzim­mer,wie ich es seiner dunkelblauen Ausstattun­g wegen nannte,und in dem Maße sich mein Herz der Fremden zuneigte,gewann ich das ihre:Ich war eben ein Glückskind,wie der Doktor mir oft versicherte,dem alle Herzen zuflogen.Sie lehrte mich spielen und singen und drang darauf,ein Talent besonders zu üben,das m­ir viele Freude machte,die Malerei.Ich zeichnete sehr gern un­d vor allem gut gelangen mir Köpfe.Stundenlang konnte ich in dem m­ir bald vertraut gewordenen Feenreich arbeiten,und meine liebe Lehrmeisterin war stets liebevoll und gütig gegen m­ich,nie aber sprach sie über ihre Vergangenheit Jede darauf bezügliche Frage beantwortete sie ausweichend,oftmals gar nicht üch erfuhr,daß sie Agathe von Brühl heiße und ganz allein stehe.Ihr Sohn, Möbel, die zierlichen Nippes-Figuren, welche die Etageren und den an einem Fenster stehenden Schreibtisch schmückten, fesselten meine Aufmerksamkeit, vor allem zog mich ein Knabenantlig an, das lebensvoll aus dem breiten Gold­­­rahmen über dem Schreibtisch herniedersah. Prächtiges braunes Lodenhaar umgab das zarte Gesicht, dem die lachenden, übermütigen Augen einen eigen­­­tümlichen Ausdruch verliehen. Ich hatte bis dahin in stummen Staunen meine Umgebung gemustert, jeßt viel ich laut, mit der Hand darauf deutend: „Wie reizend ist das Bild !” Die alte Dame, welche bisher unbemerkt an meiner Seite gestanden, beugte sich sogleich zu mir nieder und ohne meinen Ausruf zu beachten, sagte sie freundlich: „Nun, wie geht es dir, meine Kleine, fühlst du noch heftige Schmerzen ?” Ich schüttelte den Kopf und fragte mit der den Kindern eigenen Hart­­nädigkest: „Bitte, wen stellt es vor? &3 ist so sehr hübsch.“ „­3 ist mein Sohn“, entgegnete sie mit trübem Lächeln und wie um eine neue Frage meinerseits zu verhindern, wendete sie sich zu einer alten Person, die eben eine frische Kompresse um’ meinen Fuß legte. „Ist der Herr Professor benachrichtigt worden ?“ „a wohl, gnädige Frau, er wird sogleich hier sein.“­­­ dessen Bild einen wunderbaren Zauber auf mich ausübte, war nach­ Amerika­­­ gegangen und wahrscheinlich dort gestorben, da sie nie Nachricht von ihm erhalten. Diese Ieitere Behauptung jedoch wagte ich in Zweifel zu ziehen, da ich einmal ein halbzerrissenes Convert am Boden fand, welches den Boft­­­stempel einer amerikanischen Stadt trug, und ich vermutete, daß die Briefe, die sie von Zeit zu Zeit empfing und die sie stets unbeschreiblich aufregten, von dem so rätselhaft V­erleugneten kamen. Mich beschäftigte das Schickal des Schönen Knaben ungemein, aber ich wagte seine Frage, die doch jedenfalls unbeantwortet geblieben wäre. Nur einmal trat sie aus ihrem starren Schweigen am Tage dor meiner Einsegnung. Sie saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster und ich kniete zu ihren Füßen. Leife und Liebevoll strich sie über mein Haar und sagte mir schöne, unvergeßliche Worte: „Dein Leben Liegt Schön und sonftig vor dir, Mag­dalene, feine Wolfe trübt des Himmels Tichtes Blau. Aber, mein Herzenskind, nicht ewig giebt er Sonnenschein, Sorgen und Schmerzen treten in jedem Menschenleben. Auch dir werden sie nicht fern bleiben. Gebe Gott, daß ihr Maß nur ein geringes sei. Es kommen trübe, trostlose Stunden, die man nicht­ übergehen zu künnen glaubt. Wenn sie an dich herantreten, Magdalene, dann deine, Daß es deines Gottes Wille ist. Sei fest und starr im Glauben, so wirst du dich nie ver­­­lassen fühlen. Ich habe viel Trübes erlebt, Kind, habe gekämpft und gerungen wie wohl wenige Menschen, ich habe meines Herzens Liebstes dahingeben müssen, habe meinen einzigen Sohn verachtet, ausgestoßen gesehen, leicht­­­sinniger, Herzloser Menschen wegen. Du, du weißt nicht, wie weh das thut. Ich habe sie bitter gehaßt damals und glaubte ihnen nie vergeben zu künnen. Und doch, auch das ist überwunden, auch mit ihnen habe ich Frieden gemacht in meinem müden Herzen.” Sie sc­hwieg und sah gedankenvoll in die Fare Frühlingslandschaft hinaus, dann erhob sie sich, trat an ihren Schreibtisch und nahm aus einer der Schubladen ein Medaillon an feiner Goldfette, das sie mir um den Hals legte. „Das trage stets zum Andenken an diese Stunde, und wenn du einst dem Geschlecht begegnen solltest, das dieses Wappen führt, dann bringe ihnen stumm den Segen der alten Frau, die um ihren­willen gekreuzigt wurde.“ Sie faßte mich sanft auf die Stirn und entließ mich. I­n meinem Zimmer droben im Lindenhaus nahm ich das glänzende Geschmeide vom Naden und betrachtete es mit Findlicher Neugier. Es war ein einfaches goldenes Medaillon, dessen Verzierung ein Kreuz von Brillanten bildete und das auf der Kürseite ein Wappen zeigte, Kreuz und Schwert übereinandergelegt, mit der Umschrift: „Setreu bis in den Tod.” Meine Phantasie beschäftigte sich noch lange mit der geheimnisvollen alten Dame. Wie brennend gern hätte ich ihre Lebensgeschichte erfahren! Aber seit jenem Tage war sie noch viel zurückaltender als sonst. Viertes Kapitel, Winterstille Alle diese an sich so kleinen Erlebnisse zogen an meinem Geiste vor­­­über, als ich an jenem rauhen Spätherbstabend auf der Rasenbank unter der Eiche saß, und seine Ahnung sagte mir, wie sehr sie in mein späteres Leben sich verwideln sollten. Als ich aus meinen Grübeleien aufwachte, bemerkte ich mit Schreden, daß die Sonne längst Hinter den buntbelaubten Bergen versch­wunden war und der dunkle Schleier der Nacht die Erde zu umhüllen begann. Ich trat eilig den Heimweg an und wunderte mich im Stillen, daß ich noch sein Licht in unserem Heinen Hause sah. Mein Vater liebte die Dämmerstunde nicht, und so w­rrde zu meinem großen Mißvergnügen, sobald er dunkelte, stets mit anerkennenswerter Pünktlichkeit von Frau Ursel die Lampe gebracht. Sollte der Doktor meinem Vater so die Zeit verplaudert haben ? So ging umn milltürlich langsamer, vielleicht störte ich noch und blieb deshalb einen Augenblick, überlegend, ob ich eintreten solle, im Hausflur stehen, als die Stimme des Doktors halb ärgerlich, halb begütigend mein Ohr traf: „Sei fein Kind, Wilhelm, ich habe dir schon gesagt, daß ich dein Leiden allerdings für bedenklich, keineswegs aber für unheilbar halte. Unbe­­­dingte Ruhe, seinerlei anstrengende Beschäftigung, im Frühjahr eine Badekur, wenn du schon durchaus den Winter in deinem Lindenschloß verleben willst, und ich gehe jede Wette ein, der Sommer findet dich so munter, wie einen Such im Wasser.” (Fortlegung folgt.)

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