Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1884. Oktober (Jahrgang 11, nr. 3284-3310)

1884-10-27 / nr. 3306

Reduktion uind xidministration Heltauergasse 23. Grichetntinitzuznasmederzoimsmidzfeiets takes-tsch. glioi­nementfür germanufladh monatlich 85 fl., vierteljährlich 2 fl. 50 fl, halbjährig 5 fl., ganzjährig 10 fl. ohne Bustellung in’3 Haus, mit Bustellung 1 fl., 3 fl., 6 f., 12 fl. Abonnement mit Pulversendung: Für das Inland: vierteljährig 3 fl. 50 Re TAL., ganzjährig 14 fl. Für das Ausland: vierteljährig 7 NM. oder 10 Fres., Halbjährig 14 AM. oder 20 ne 23 AM. oder TB. Unstansirte Briefe werden nicht angenommen, Manuskripte nicht zurückgestellt. N“ 3306. X1. Jahrgang. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt. Hermannkadt, Montag, 27. Oktober Prämumerationen und Ihferate übernehmen außer­­dem Hauptdurenn, Heltauesgäste Nr. 28: in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresz­­­wandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich's Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz Fr. Wachsmann Nr. 187, Sächs.­Regen Carl Fronius, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Battoni, Lehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein - Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Moriz Stern, Heinrich Schalek, J. Danneberg, Pest A. V. Goldberger, Frankfurt a M. @. L. Daube & Co. Insertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile kostet beim einmaligen Einladen 7 fr., das zweitemal_je 6 k., das drittemal je 5 kr. d. W. exclusive der Stempelgebiär von je 30 Kr. 1884. 0 gen Neresdebatte im Abgeordnetenhause. Achter Tag. Bett, 23. Oktober. Präsident Wechh eröffnete die Ligung um 10 Uhr vormittags. Geza Onody nahm den Wdrenentwurf der Antisemiten gegen die An­­­griffe der übrigen Parteien, namentlich des Ministerpräsidenten, in Schub. An den traurigen Verhältnissen in Ungarn sei nicht der Antisemitismus schuld, sondern die vom Ministerpräsidenten seit neun Jahren eingehaltene­­­ politische Richtung; dies sei der Baum, auf welchem die bitteren Früchte des Elend und des Pauperismus wuchsen. Wenn der Referent die Antisemiten des Kommunismus beschuldigt, so möge er, abgesehen von der Grundlosigkeit dieser Beschuldigung, daran denken, daß der Ministerpräsident vor nicht langer Zeit dem katholischen Klerus mit der Konfissation der geistlichen Güter drohte. (Widerspruch recht?.) Thatsache ist, daß er seine Jupiterblige über den Häuptern des Merus flirren ließ. Man müsse Ungarn von der Palutokratie der Juden, ebenso aber auch­ von der Staatsgemeinsamkeit mit Oesterreich unabhängig machen und deshalb nehme Redner den Adreßent­wurf Andreanicky's an. (Beifall der Antisemiten.) Lonaz Berger meinte, mit einer farblosen Paraphrasierung der Thron­­­rede und mit leeren Komplimenten künne man seine P­olitik machen. In der Politik müsse der Realismus maßgebend sein (Beifall Tinis), «e s ei hesser,­­­ heute die Wahrheit klarzulegen, als morgen einzusehen, daß man sich getäuscht habe. Diesen Prinzipien entspreche der Majoritäts-Adreßentwurf nicht. Anders verhalte er sie mit dem Adreßent­wurfe der gemäßigten Opposition. Dieser bezeichne als die dringendste Aufgabe, die Verwaltung zu reformieren, die politische Freiheit zu jcingen, die Korruption zu unterdrücken; er weist auf diejenigen­­­ Verwaltungszweige hin, in welchen Ersparungen möglich seien, ferner­ auf die Quellen, aus welchen die Staatseinnahmen vermehrt werden können; er enthält in jeder dieser Richtungen positive Vorschläge und deshalb stimmt Nebner für den vom Grafen Apponyi eingereichten Adreßentwurf. (Lebhafter Beifall Linke.) Karl Salat bespricht eingehend die Notwendigkeit eines selbständigen Bol­gebietes, sowie eine radikale Wirtschaftsreform, und bekämpft den modernen Liberalismus. Ihm ist die Judenfrage vor allem eine Waffenfrage, und bildet die semitische Waffe niemals ein staatserhaltendes, sondern stets ein staatszer­­­legendes Element. Die Juden haben für die magyarische Nation noch nie etwas gethan; mit der Magyarisierung ihrer Namen erweisen sie niemanden einen Dienst. Er erklärt si­­ch­ den Emerich Szalay’schen Adrekentwurf. Otto Hermann ist davon überzeugt, daß jeder, der die gegenwärtigen Verhältnisse ernstlich erwägt, die Stunde der Inangriffnahme der Baterlands­­­befreiung an­­gekommen erachten muß. Redner ist ein großer Verehrer von Baltyafar Horvath, doch muß er instatieren, daß die Behauptung Horvaths, als wäre die Adreßdebatte nicht dazu da, daß wir uns eingehend über die Lage äußern, unzulässig sei. Gerade bei der Adreßdebatte hat die Regierung und ihre Partei diese Pflicht. Und wenn sie diese Pflicht nicht erfüllen, dann hat die Opposition umso mehr den Beruf, dies zu thun. Nach Ansicht des Renners kann der Antisemitismus nur den Vorwand für die Einführung der Ausnahmsmaßregeln bilden, deren Beweggrund zu sein, ist er aber nicht ge­­­eignet. Mit Bezug auf die Rede Nendtvich­’s, sagt Redner, daß er deren wissenschaftliche Vergangenheit kenne und auch wisse, daß derselbe ordentliches Mitglied der Akademie sei, was übrigens sein besonderes Verdienst zu nennen ist. Redner konstatiert ferner, daß Nendtvich sich gehü­tet habe, die induktive Methode in Anwendung zu bringen. Denn wer diese Methode in Anwendung bringt, muß die Dinge von allen Seiten prüfen. Redner zweifelt nicht, daß alle die Zitate, mit welchen Nendtvich das Haus überschwemmt hat, richtig sind. Aber wenn man schon zitiert, muß man anl alle die Liebenswürdig­­­keiten zitieren, welche die spanische Inquisition über die Protestanten gejagt, welche die lutherischen Muder über die Katholiken gejagt und was die Katho­­­liten gegen die Muder gejagt. Die Zitate, welche aus den Werten der Rabbi’s im Hause gemacht wurden, lassen nur darauf Schließen, daß Katholiken und Lutheraner ähnliche Erklärungen abgegeben haben. Die Ziele des Antisemitismus wären nicht ernst, weil sie von rein religiösen Momenten ausgehen, und daß sie nicht von Diesen ausgehen würden, aus dieser Anklage kann sich der Anti­­­semitismus nicht herausflügeln. Span Simonyi: Meinerseits niemals ! Otto Hermann hält es für verwerflich, wenn jemand für ein Ver­­­sprechen eine Belohnung empfängt und dieses Versprechen nicht einlöst. Dies hat Sztoczy die jüdische Moral genannt; er möge sich enthalten, sich auf den Standpunkt dieser Moral zu stellen. Biktor Fitoczi: Worin? Hört! Worin? Antworten Sie! Bewegung.­ Otto Hermann: Jftoczy erwähnt in seinen „12 repirat“, daß in seinem Naumer Wahlbezirk das Geld seine erobernde Kraft verloren habe, da seine Wähler an den Gaftereien der Gegenpartei teilgenommen, in das Lager derselben aber doch nicht übergegangen sind. (Hert.) Bil­or Fitoczi: Sie haben recht gehabt! Gabriel Andreanfiy: Jawohl, sie Hatten recht! (Lärm.) Span Simonyi: Sie hatten recht! (Große Heiterkeit.) Otto Hermann verlangt von den Predigern der Moral, daß auch sie die Moral befolgen sollen. Er erkennt es übrigens an, daß eine Kuchenfrage em­ftiert, weil die sechste Großmac­ht, ein Teil der Presse, ihren Beruf ver­­­gessend, den Haß in die Frage gemischt habe. Hinsichtlich der gouvernementalen Beeinflußung der Wahlen will Redner seine Dekriminationen erheben und begnügt so, die Unregelmäßigkeiten auf Grund eigener Erfahrung zu kon­­­statieren. Er will nur erwähnen, daß, als aus einem Wahlbezirke wegen Verge­­­waltigung seitens der Regierungsorgane eine Deputation beim Ministerpräsidenten erschien, dieser derselben die famose Antwort erteilte, er könne zu seinem Be­­­dauern auf einseitige Informationen nichts geben. (Große Heiterkeit und Lärm links, Bewegung rechts.) Von der Thronrede sprechend, meint Redner, daß dieser der Geist des M­inisterpräsidenten anzumerken sei. Nedier fragt, ob die Regulierung der oberen Donau und des Eisernen Thores die so viel ge­­­rühmten großen Reformen seien? It die Regelung des Staatshaushaltes und des Justizwesens nicht wichtiger? Ueber­ das öffentliche Gesundheitsmwesen be­­­kommen wir Berichte, welche Revier­­icht einmal von den Zuschaffern akzep­­­tieren­ würde. Die Jugend habe seine Gelegenheit, eine­ andere, als die juridische Laufbahn einzuschlagen. Höhere Lehranstalten fehlen uns so gut wie ganz; wir disponieren höchstens über glänzende Paläste für dieselben, von einer nationalen Kultur ist jeder wenig zu sehen. Nedner ist der Ansicht, die Erziehung müsse von Unten begonnen werden und zwar duch Heranbildung eines verläßlichen ungarischen Elements. Der Mangel solcher kulturellen Bestrebungen sür die Ursache der Verbreitung des Pauperismus, und da sagen die Machthaber, es müssen außerordentliche Maß­­­regeln eingeführt werden. Die Duelle der h­auptsächlichsten sozialen und wirt­­­schaftlichen Uebel Tiege in der korrumpierten Noministration, deren V­erbesserung unser Biel sein müsse. Das Protektionssystem ist der größte Fehler unserer Administration; bedeutende Meiber, die früher mit in Verdiensten ergrauten Männern belegt waren, sind heute unreifen Knaben anvertraut. Wenn die Verwaltung verstaatlicht wird, so wird sich jede Erschütterung im Lande an der ganzen Verwaltung rächen. Die finanzielle Lage kann nicht auf der be­­­stehenden Basis verbessert werden. Redner glaubt auch nicht, daß die ge­­­mäßigte Opposition auf der schlechten Basis den schlimmen Zuständen abhelfen künne. Redner wünscht noch die Entwicklung der Kunstindustrie und erklärt, für den Acteentwurf der Unabhängigkeitspartei zu stimmen.. (Lang anhaltende Zustimmung und Eljenrufe auf der äußersten Linken.) Sosef Weres (Antisemit) legt in anderthalbstündiger Rede auseinander, daß er nur diejenigen Juden verabscheue, die mit Hilfe unehrlicher Mittel reich geworden seien, dagegen reiche er jedem Juden, der ich ehrlicher Arbeit befleißige, und sei es ein Lumpensammler, gerne die Hand. Die Juden sondern sie von den übrigen Elementen der Ges­ellschaft ab, sie wieder für die Gesellschaft näglich zu machen, sei der Zweck der Antisemiten. Die Juden rühmen sich ihrer Bildung, sie besuchen die Schulen, aber die mit der Gründung und Erhaltung von Schulen verbundenen Lasten wollen sie nicht tragen. Neben der Bildung, die sich viele Juden aneignen, dürfe man übrigens nicht übersehen, daß sie auch unter denen, die gegen das Strafgeset verstoßen, in einem unverhältnismäßigen Berzentrag vorkommen. Er erklärt zum Schlusse, für den Adreßentwurf des Baron Andreansky zu stimmen. Alexander Cranady: Geehrtes Haus! In parlamentarischen Staaten pflegt die Thronrede der verläßlichste Ausdruch der Bestrebungen des Minister­­­präsidenten zu sein und die vorliegende Thronrede ist denn auch), der unwürdige Ausdruch der politischen Zweideutigkeit des Herrn Ministerpräsidenten Koloman Tipa, ein würdiges Produkt seiner jesuitischen Hinterlist, feiner Täuschungen und seines politischen Nenegatentums. Darum breche ich auch den Stab über ihn und verdamme ihn. Ich hatte gehofft, daß der Herr Ministerpräsident Koloman Tipa in diesem Neid­etage das V­ersprechen einlösen werde, das er im Jahre 1875 machte, als er seine politischen Prinzipien aufgab und verriet, um in den Minister­ Fauteuil zu gelangen. Allein ich habe mich ge­­­täuscht; er hatte nämlich gesagt, er habe das Portefeuille auf der auch von ihm verdammten fluchtwürdigen gemein­samen Basis — ich habe dieses Wort von ihm gelernt­­­— nur deshalb angenommen, um das Gleichgewicht im Staatshaushalte herzustellen und daß er seine Prinzipien nur vorläufig an den Nagel gehängt habe, um die erste Gelegenheit zu ergreifen, Die vater­­­ländische Unabhängigkeit wiederherzustellen. Allein er hat seine Versprechen nicht gehalten. Im Jahre 1861 würdigte Koloman Tipa als Mitglied der Betchluß­­­partei Se. Majestät nicht einmal deffen, si mit ihm in ein Gespräc, einzu­­­lassen, er wollte nicht einmal eine Adresse schicken und heute verfaßt er eine Thronrede, aus welcher erhellt, daß er nicht einmal daran denkt, Ungarns Selbständigkeit wiederherzustellen. Redner ist überzeugt davon, daß Se. Majestät in dem Glauben lebt, es gebe seine glücklichere und zufriedenere Nation, als die ungarische. Was trägt die Schuld daran, daß Se. Majestät der König irrige Be­­­griffe hat von der heutigen Lage und dem Lose der Nation? Die Schuld hieran ist der Umstand, daß der Herr Ministerpräsident Koloman Tipa die Lage und das 208 der Nation vor Sr. Majestät in rosigen Farben darstellt, was ich mit Bestimmtheit behaupten kann. (Lebhafte Heiterkeit rechts.) Sie lachen umsonst! Ihr Lachen bringt mich nicht aus der Fassung und ich wiederhole daher und behaupte es mit Bestimtheit, daß Sr. Majestät den Glauben hegt, diese Nation sei eine der glück­chsten Nationen und zwar be­­­haupte ich dies infolge einer Unterredung, die­ ich einst mit Sr. Majestät hatte. (Hört! Hört!) Wenn Sie befehlen, erzähle ich den ganzen Fall, ob­­­zwar dies nicht meine Absicht war. (Hört! Hört!) Bei einer Gelegenheit befahl mich Sr. Majestät zu einer Begegnung. Die erste Frage an mich war: „Nun, Herr Abgeordneter — der König war bester Laune —, nicht wahr, die Nation ist endlich zufrieden und dem Wolfe bleibt nichts zu w­ünschen übrig 2” Ich befenne e8, diese Frage Sr. Majestät überraschte mich, um aber meiner Pflicht als Volksvertreter nachzukommen, mußte ich er sagen, daß die Nation unzufrieden sei. Wohl überraschte diese meine Aeußerung den König (Lärm, Zegiffeten., Aus der Jugendzeit. Bon 8. Migula. (2. Fortsetung.) Drittes Kapitel. Die geheimnisvolle Fremde Und einen Verkehr Hatte ich doch, der mich innig befriedigte und be­­­glücte; ein sonderbarer Zufall Hatte ihn vermittelt. An der Landstraße, die am Fuß unseres Berges vorüberführte, lag, etwa eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, ein einsames, Feines Hang, das einem armen Schuhmacher gehörte. Mein Vater ließ dort arbeiten und da wunderschöne Obstbäume in dem dazu gehörigen Garten standen, so fand ich mich zur Herbstzeit öfter dort ein. Ich spielte gern mit den kleinen paus­­­bädigen Buben des Schuhmachers und war daher auch von den Eltern wohlgelitten. £ „Fräulein Magdalenchen“, sagte eines Tages die Hübsche Frau Meisterin aufgeregt zu mir, „wissen Sie denn schon, daß wir eine neue Mieterin üben ?” . „Eine Mieterin?" Lautete meine erstaunte Gegenfrage, denn nie hatte ich gehört, daß in dem ohnehin beschränkten Raum des Häuschen nach Bimmer­ zu vermieten seien. „Zam wohl, und eine feine Dame muß es sein, das erkennt man gleich, wenn sie ss auch mit der rechten Giebelstube und den beiden Kämmerchen begnügt. Soll ein feines, weißes Gesicht, und die schönen Sachen, die sie mitgebracht, man kann sie gar nicht satt sehen! Ja, ja, da oben ist jeßt eine Bradt, Sie würden staunen !” „Sit sie denn noch jung?” „Ru, nein, sie mag wohl ja an die fünfzig, sechzig Jahre sein; aber wissen Sie, was ich denke, Magdalenchen? Sie ist gewiß eine Prinzessin, die — die, na die vielleicht ihren Sohn oder ihren Mann verloren hat und mun in der Einsamkeit um ihn trauert.” „Kann ich sie nicht einmal sehen ?” „D, ja, kommen Sie nur gegen Abend her, da macht Sie alle Tage einen Spaziergang. Aber, Herr Gott, da plaudere ich, und drinnen giebt, so viel Arbeit. Adien, Magdalenchen, auf den Abend also." Damit ließ sie mich stehen und versch­wand im Hause. Meine Neugier war lebhaft erregt und meine Phantasie schuf wunderbare Bilder von der trauernden Brinzessin, die ein so feines, weißes Gesicht und wunderschöne Sachen hatte. Natürlich trieb mich die Sorge, die geheimnisvolle Fremde ja nicht zu verfehlen, schon früh am anderen Nachmittag hinunter. Ich feste mich unter einen Baum, der Hausthür gegenüber, diese fortwährend im Auge haltend. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich öffnete und eine weibliche Ge­­­stalt heraustrat. Leider war die Entfernung zu groß, um die Züge des Gesichtes unterscheiden zu können. Ich mußte mich begnügen, das schtwere, graue Seidenkleid, die Leichte Meantille und das über schon rar ergrautes Haar gefnüpfte Seigentuch zu mustern. Im den mit Handschuhen bedeckten Händen trug sie einen Schirm und ein Buch. Sie schritt langsam den schmalen Fußpfad hinan, der das Steingeröll nach einem kleinen Wäldchen führte, und ließ mich mit einem vor Aufregung klopfenden Herzen zurück. Man wird diese Aufregung leicht begreifen, wenn man meine abgeschlossene Erziehung und mein einförmiges Leben berücksichtigt und dabei meine lebhafte Phantasie in Anschlag bringt, die stets bereit war, um das Natürlichste, Alltäglichste einen geheimnisvollen, berauschenden Nimbus zu eben. So glaubte ich auch hier nur zu gerne mit der Wirtin derselben, in der Fremden eine vielleicht verbannte Brinzeffin zu sehen, und meine späteren Erlebnisse waren nicht dazu angethan, mich von diesem Glauben zurüczuführen. Ich fühlte das brennende Verlangen, mit der Dame in nähere Be­­­ziehung zu kommen, und erwog in meinem jungen, phantastischen Kopfe Hun­­­dert Möglichkeiten, es zu fü­llen. Vorläufig beschloß ich, sie möglichst zu beobachten, und infolge dieses Entschlusses fand mich der Abend fast stets auf dem Wege nach dem Kleinen Schuhmacherhaus. Ungesehen oder auch vielleicht unbeachtet folgte ich der Fremden, sobald sie das Haus verließ, auf ihren ein­­­samen Wanderungen, ohne jedoch an mein Bier zu gelangen, bis endlich meine Unvorsichtigkeit den Anlaß zu dessen Erreichung bot. Ich fand sie eines Tages eifrig in ihre Lektüre vertieft im Schatten einer Hohen Buche fitend. Dieser Moment erschien mir günstig, um mich ihr nähern zu können. Vorsichtig be­­­gann ich über die Steinblödke zu klettern, die mich von ihrem Plabe trennten, als einer derselben fi unter meinen Füßen löste und ich mit einem leisen Angstlaut zu Boden janf. Die alte Dame blickte empor; als sie meine vergeblichen Anstrengungen, mich aufzurichten, sah, legte sie ihr Buch bei Seite und war in wenigen Augen­­­blicken neben mir. „Hast du dich verlegt, Liebes Kind?” fragte sie mit wohltönender Stimme. „So weiß nicht; ich glaube, ich kann nicht auftreten”, entgegnete ich zaghaft und warf einen ängstlichen Eid in ihr Gesicht, das sich mit dem Ausdruck freundlicher Teilnahme über mich neigte. „Weshalb mnwählst du auch einen so gefährlichen, unmwegsamen Pfad? Wo­­m wolltest du denn hin? „Ich wollte gern — ich hatte” — stammelte ich schuldbewußt, namen­ 108 bedrüht duch mein heimliches Sorfchen, und um dem weiteren Verhör zu entgehen, versuchte ich mich zu erheben, empfand aber einen so stechenden Schmerz in meinem Knöchel, daß ich fühlte, es sei unmöglich, ohne Unter­­­stüßung weiter zu gehen. »O Gott,mein Fuß ist gebrochen«,rief ich angstvoll und sank zurück. Erschrocken beugte sich die Fremde nieder,um das beschädigte Glied näher zu untersuchen. ,,Nun,es ist nicht so schlimm,meine Kleine«,meinte sie nach sorg­­­fältiger Prüfung,,,aber wir müssen so schnell als möglich kalte Umschläge machen.Vielleicht kannst du gehen-wenn ich dich stütze.« Ich versuchte mit ihrer Hilfe aufzustehen,was auch ziem­lich ging,und hinkte dann,von ihr geführt,dem zum Glück nahen Schuhmacherhäuschen zu. »Meister Friedrich!"rief sie ihren vor der Thür arbeitenden Wirt an, ,,tragen Sie m­ir doch das lahme Kindchen in mn ein Zimmer;die Kleine hat sich den Fuß vertreten.« Der Angerufene blickte auf,und mich erkennend,brach er in laute Rufe des Bedauerns aus,hob mich rasch empor und trug mich die Treppe hinauf,die zur Wohnung der alten Dame führte. Ich hatte heftige Schmerzen und um die Thränen nicht ausbrechen zu lassen,schloß ich die Augen.Erst als ich mich sanft niedergelegt fühlte,schlug ich sie langsam wieder auf.Aber wie erstaunte ich,als ich die Pracht um mich hererblickte!Unwillkürlich tauchten in meinem Gedächtnis all die Märchen von Elfen und Feen auf,denn m­ ein Feenreich glaubte ich mich versetzt,so zauberhaft wirkte die prächtige Umgebung auf meine Sinne. Nur gedämpft fiel das Sonnenlicht durch die mit veilchenfarbenen Sammet-Vorhängen be­­­kleideten Fenster, auch die Thüren waren durch denselben schweren Stoff verdeckt,. Die ehemals einfach weiß getünchten Wände zeigten fest eine rost­­­bare, weißglänzende Tapete mit großen Veilchen-Bouquets und das ganze Zimmer, in dem ich früher oft mit den kleinen fehmusigen Schuhmacherfindern gespielt, war von einem feinen Beilchenduft durchströmt. Die eleganten

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