Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1923. März (Jahrgang 50, nr. 14925-14951)

1923-03-23 / nr. 14944

SE: ‚Siebenbürgis-Duf | En mit Dessen. " Es Seland: ·.sz., u. Les ur­ag­es = He: euhsuhener Auhiaf ee ange Br. 14944 Hermannstadt, Freitag 23. März 1923 50. Jahrgang Die Rede des Abgeordneten Br. Hans Otto Roth zum Verfassungsent­wurf, Gehalten in der Rammerfigung vom 19. März 1923. Herr Präsident! Meine­ Herren Abgeordneten! Im Sinverständnis mit allen politischen Organisationen Der Deutschen in Siebenbürgen, dem DBanat, Bessarabien, der Bulowina und den übrigen Teilen unseres Landes, erkläre ich im Namen der Deutschen Parlamentspartei in Groß­­rumänien, Daß­ ich den vorliegenden Entwurf zur neuen Staatsverfassung auf das Entschiedenste bekämpfen und die Verantwortung für seine eventuelle Geregtwerdung ab­­­ehnen muß. Das deutsche Bolt in Rumänien hat fünf Jahre mit Sehnsucht und Ungeduld auf den Tag ger wartet, an dem die Freiheiten und Rechte der völkischen Minderheiten unseres Landes in die neue Staatsverfas­­sung Aufnahme finden sollten. Die Beichlüsse von K­arls- Burg stellten für uns die Bürgschaft eines freien völkischen und kulturellen Lebens im neuen Staate dar. Wir knüpf­­ten unsere Hoffnung an die Verheifungen von Karlsburg nicht allein wegen der Rückhaltlosigkeit ihres Bekenninis­­ses zu­ den ursprünglichsten Menschheitsrechten, sondern vor allen Dingen deswegen, weil wir aus der Geschichte und dem gemeinsamen Zusammenleben mit unseren romani­­gen Mitbürgern: genau wußten, daß die Karlsburger Beichlüffe in­ Wirklichkeit Fleisch und Blut des um seine Freiheit kämpfenden romanischen Boltes sind. Wir finden die nationalpolitischen Grundlage der Beichlüffe von Karls­­burg fast wörtlich schon im Programm der romänischen Rationalversammlung von Hermannstadt aus dem Jahre gewordenen Memorandum des romantischen Bolles an den ungarischen König vom Jahre 1892 und aus allen anderen geschichtlichen Urkunden des Grebenbürger Romänen­­tums. Die Beischlüsse von Karlsburg sind also in Wirk­­lichkeit nichts anders, als­ das­ politische Glaubensbekennt­­nis, dem das romänische Bolf Siebenbürgens durch Jahr­­hunderte mit ganzer Hingabe gelebt hat. Dieses Glaubensbekenntnis ist dann an die Rechts­­quelle des in Karlsburg vollzogenen Anschlusses S­ieben­­bürgens an Großrumänien geworden. Die lette Kraft er« halten die K­arlsburger Beschlüsse für uns­chließlich da­­durch, daß sie auf die’ staatspolitische Erfahrung und Sıkenntnis eines Bolfes gegründet­ sind, das aus der eige­­nen­ Geschichte genau weiß, welche Grundlage der Min­­derheitspolitik allein aufbauend und staatserhaltend wir­ fen. Aus Achtung vor der eigenen Vergangenheit, aus Anerkennung der Grundräte des Minderheitsh­auses und der Selbstbestimmung, denen es seine Befreiung verdankt, und aus staatspolitischer Einsicht hat das romänische Ball Siebenbürgens die Karlsburger Dreischlüsfe gefaßt. Sie stellen staatsrechtlich den Vereinigungsalt Siebenbürgens mit dem Altteich dar und haben in­ dieser Eigenschaft seinerzeit au) in aller Form die Sanktionen des Königs und der damaligen Regierung des Herrn Dratianu er­­halten. So wurden sie in Wirklichkeit die Rechtsgrund­­lage des neuen Staates und müssen für uns den Aus­gangspunkt der Kritik des Verfassungsentwurfes bilden. Im dritten Punkt der Beischlüsse von Karlsburg ist mit Borbebac­ht wörtlich ausgesprochen, daß die im Terte fol­­genden sechs politischen Thesen „als Fundamentalgrund«­­füge’für die Bildung des neuen Staates proklamiert wer­­den“. („Adunarea nationala proclama ca principit funda« mentale la alcatuirea noului Stat roman urmatoarele: ...").. Diese Rechtsauffassung bestätigt die in­ der Sit­­zung des Reichstages vom 9. März d. J. abgegebene &r­­lärung des Herrn Maniu, des Präsidenten der rumänis­­chen Nationalpartei, derselben Partei also, die die Ber­­einigung von Karlsburg durchgeführt hat, nochmals in feierlicher Form­. Herr Manitu­­ erklärte­ wörtlich: „Aus dem Bereinigungsalt fließen nicht nur Verpflichtungen moralischer Art für die Krone und die romänische Regie­­rung den vereinigten Provinzen gegenüber, sondern auch ein bestimmtes Rechtsverhältnis zwischen diesen Provin­­zen und dem Altreich. Infolgedessen kanıt man sich über die wesentlichen Klauseln Dieser Sk­lärungen ohne tiefe Mißachtung und schreiende Verlegung des Rechtes nicht hinwegfegen.“­­ E35 . Meine Herren Abgeordneten!Wenn ich nun heute nach gewissenhafter Prüfung des Verfassungsentwurfes sagen solh ob die den völkischen Minderheiten in Karls­­burg in bindender sonnt gewährten Freiheiten und Rechte in der Vorlagenregierung Aufnahme und Bes r­cksichtigung gefunden habein sonui sich zum einem auf­­richtigen Bedauern mit einem, entschiedenen „Nein“ anzu­worten. Die Deutsche Parlamentspartei hat in­ den seb­­ten­ Monaten im Verfassungsausschuß, in den Sektionen der Kammer und in direkter­­ Verhandlung mit der Regie­­rung alles getan, um die maßgebenden politischen Kreise auf die­ verhängnisvollen staatspolitischen Folgen einer derartigen Außeraichtlassung des Schutes der völkischen Minderheiten aufmerk­fjam zu machen. Gleichzeitig hat sie die Forderungen­­ unseres Volkes in flarer und knapper Form zusammengefaßt und si für ihre Erfüllung mit allen Argumenten und ganzer Beredsamkeit eingelest. Der E­r­­folg­ ist­ leider ausgeblieben. Die Regierung hat uns bloß erfucht, wir möchten Vertrauen in die freundschaftlichen Gefühle und in die Duldsamkeit des romänischen Volkes sowie in die staatsmännige Einsicht der reitenden Boli­­tifer haben. Es ist uns nicht möglich, aus der Frage der Staatsverfassung eine D Vertrauensfrage von Bolt zu Bolt zu­ machen... Die Berfaffung hat doch staatsrechtlich und­­ politisch nur Dann einen tieferen Sinn, wenn Die Grundfreiheiten des Staatslebens in ihr in Far umschrie­­bener Form verankert sind und damit die Grundfälle der Staatspolitik auf lange Sicht festgelegt werden. Zu den ursprünglichsten Grundfreiheiten des modernen Staatsle­­­bens gehört aber heute ohne Yiveifel die nationale und­ kulturelle Freiheit der völfischen Minderheiten. Gerade das ÜBertrauen von Boll zu Boll hätte dazu führen müs­­sen, daß die Karlsburger Besschlüsse in­ der DBerfassung unverkürzt Aufnahme finden. Regierungen kommen und Die Minderheitspolitif aber wird nach der Ber­­fafsungsvorlage stets abhängig sein von der’ Laune und der politisch mehr der weniger großen Hinsicht der je­­gen . ‚Die Schaffung eines derartig « .i­s­­en er unruhe ınd in iherhet ” egt am­­­ie D Interesse der romänischen Staatspolitis. ‘sten im ö . Die Regierung hat zwar erklärt, daß die Bestim­­mungen­ der Berfaffungsparlage die Beischlüffe von Karls­­burg nicht verlegen. Ich will das bis­ auf drei Fragen, die ich hier nicht weiter erwähnen­ möchte,­­ gerne­­ zur geben. Aber es­ ist mir doch nicht möglich, auf diese Argumentation ernstlich einzugehen. Wenn Die Regierung die Durchführung der Beschlüsse von Karlsburg wirklich für politisch zweckmäßig und günstig hielte, so könnte ich seine Begründung dafür finden, warum die Grund« füge don Karlsburg nicht in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Die Stellungnahme der Regierung zu der Sprachenfrage in der allgemeinen Verwaltung und zu der Frage der Staatsschulen mit nichtromanischer Unter­­richtssprache widersprechen dieser Annahme auf das Ent­­schiedenste. Ebenso entnehme ich einem im Rotjahre von einem führenden Mitgliede der gegenwärtigen Regierung gehaltenen » Bortrage, daß die "Anschauungen­ der­ libera­­len Partei in entscheidenden Fragen nicht auf der Linie der Deschlüffe von Karlsburg und eines­ modernen. Minder­­heitsfchtiges Liegen. Die Ausführungen des Ministers gipfelten in­ folgenden Aftstellungen: „Es ist­ umso not­­wendiger, unsere Ansicht in der Frage des einheitlich nationalen­ Charak­ers des romänischen Staates zu klären, als versucht worden ist, d­iesen Charakter unter dem Dechk­mantel des Minderheitsvertrages abzuschwächen und durch Versprechungen — die zum Slnd nicht erfüllt worden sind —.Danach zu streben, aus Großrumänien ein­ neues und unglückliches Oesterreich-Ungarn zu machen. Hinter­­ Huma­­nitären Gedanken und internationalen Utopien versteht sich in Wirklichkeit der Wunsch einiger Staaten mit ge­­sicherter nationaler Konsolidiertheit, außerhalb ihrer Gren­­zen eine Bolität des Imperialismus und ‘der Al­ter- ‚jodung zu treiben.“ Wir müssen nach diesen Aeußerungen, die eine nicht mißguderstehende Anspielung auf Karls- Burg, enthalten, wie auch nach den sonstigen "Erfahrungen der Tetten, Jahre bezüglich der zu erwartenden­ ‚Spezial­­gefesgelung, auf die wir­ immer­ wieder berwiesen und vertröstet werden, ernste Befürchtungen legen. Ich mi ehrlich. .­bekennen.. daß ich Die Männer für wagemutig Balte, die­­ nach den­ Erfahrungen des Weltkrieges und­­ dem weltgeschichtlichen Siege, den der Gedanke des Min­­derheitsjchuges und des Rechtes der Selbstbestimmung am Kriegsende gefeiert hat, glauben, daß Die­ Frage der prölfischen Minderheiten auch in ihren­ Hauptprinzi­­pien ohne weiteres dem Spiel der Parteipolitif­ und der Entscheidung der normalen Gejeggebung überlassen werden kann. Die Herren vergessen doch zu leicht, daß in unserem Lande fünf Millionen Nichtromanen leben, also mehr Staatsbürger als Dänemark, Nor­wegen oder die Schweiz überhaupt Einwohner hat. Vor allem wird ganz außer»­acht gelassen, daß die völkischen Minderheiten, die in Rumänien leben, zum Teil Völker mit reichen Über­­lieferungen,­­reifer Kultur und entschlossenem Lebens­willen sind. Ueber die Frage, ob ein Minderheitspost politische Nation im richtigen Verstande des Wortes ft, entscheidet. ‚nicht ‚seine Seelenzahl, sondern — wie N. Dascobici in seinem kürzlich erschienenen „P­rincipiul Na­­tionalitatilor“ überzeugend sagt — das nationale Bewußt­­sein. „So faßt die Batniten der Nation in die Worte zusammen: „Das Wesen einer Nation besteht in­ einem eigenen Bewußtsein“. (Cjenta natiunii este conftiinta ‚Hro« prie‘) Ein solches eigenes völfisches Bewußtsein be­­wigen die meisten Minderheiten unseres Landes im Hohem Mare. Wir Deutsche in Rumänien sind ein geschichtliches Bolt mit kampf erprobtem nationalem Bewußtsein und ungeschwächten Lebenswillen. Sollten Minderheiten muß eine Staatsverfassung volle nationale und kulturelle Frei­­heit geben. ·­ · Meine Herren Abgeordneten! Die Konzeption des Verfassungsentwwurfes ‚in der Minderheitsfrage­ ist ‚bolls lommen negativ. Die Regierung hat es für gut befunden, den Schleier von ihrer Minderheitspolitik bei der Schaffung ‚­der neuen Staatsverfassung nicht­ zu lüften. Demgegen­­über­ ist es meine Pflicht, festzustellen, dab ‚alle Staaten. Die in­ der Zeit nach dem Weltkrieg neue Verfassungen geschaffen haben, die Minderheitsfrage in positivem,­ schö­­pferischem Sinne gelöst oder, behandelt haben. Ich nenne hier ‚Bolen, die Tschechoslowakei, Jugoslavien, Finnland, Lettland, Estland, Georgien. Das ist natürlich sein Zu­­­fall, sondern entspricht dem Geist unserer Zeit und dem staatspolitischen Erfahrungen, die der Verfall des russs­­chen Reiches und der ehemaligen österreichisch-ungari Dingen ‚möchte ic hervorheben, daß die Berfaffungen aller Nachfolgerstaaten des ehemaligen Habsburgerreich die Minderheitsfrage eingehend behandeln. Nur Rumänien macht eine Ausnahme.­­ Da­ ist es, erstaunlich, daß sich ein besonderer Artikel­ des Entwurfes mit­ der Frage, der Bleichberechtigung der Juden, beschäftigt. . Der Friedens«­­ertrag von St. Germain verpflichtet Rumänien im Artikel 7 allerdings dazu, die Juden­ als­ vollberechtigte Staats­bürger anzuerkennen. Aber ebenso­ verfügt der Artike­l 1 desseben Friedensvertrages ausbrüchlich, da h. Rumänien der Gemeinschaft der Sachsen und Szekler in Siebenbürgen in Kirchen­ und Schulfragen totale Autonomie, zu ge­­währen hat. Wenn die in St. Germain verfügte Gleich­­berechtigung der Duden. in der ‚Berfaffung Aufnahme findet — was ich natürlich für vollkommen richtig halte —. so hätte auch­ der Artikel 11. des Friedensvertrages Eingang­en. die Berfaffung finden­ müssen, und ebenso eine­ Reihe seiner sonstigen , Bestimmungen. Es ist nur natürlich, daß uns diefe verschiedene Behandlung der Judenfrage und der allgemeinen Minderheitsfrage im Berfaffungsentwwurf ernstlich beunruhigt.­­ Ich erinnere mich an den Ausspruch, den der Herr Ministerpräsident seiner­­seit bei den Bariser Friedensverhandlungen getan hat und der uns damals mit viel Hoffnung für das Leben im neuen Staate erfüllte. Er sagte bei der Verhandlung der Minderheitsklausel, daß­ die­ Auferlegung derartiger internationaler Verpflichtungen bei Rumänien nicht note­wendig sei, weil es seinen völkischen Minderheiten sowieso mindestens ebensopiele, wenn nicht mehr Rechte zuerlennen werde, als es der Friedensvertrag tue. Wie anders sieht nun das Staatsgrundgefeg Rumäniens aus, das der Herr Ministerpräsident dem Reichstag zur Reichsußfassung por» gelegt hat. Der Hinweis auf die Spezialgefeßgebung kann uns» seinen Stoff Bieten.‘ Seine Frage, die zu "Bölker« Kriegen geführt hat, die auf allen internationalen­ Kon­gressen immer wieder von neuem beraten wird, muß ihre Röfung unbedingt in der Berfafsung finden und dann ohne ernste Gefährdung der Staatspolitik nie der Entscheidung der­ Spezialgejeggebung und damit dem Spiel der Bar­­­teien überlassen werden. Nicht nur die völfischen Minder­­heiten, sondern auch der größte Teil der romänischen Breite vertritt diese Anschauungen, die ja heute schließl­ich zu den feststehendsten politischen Aziomen überhaupt gehören. Eine ganze Reihe von Parteiprogrammen und Berfaffungsent­würfen romanischer Parteien hat sehr seltene Lösungen für viele Fragen der völkischen Minderheiten gefunden. Die Beschlüsse von Karlsburg, das Beispiel der übrigen Staaten, der Friedensvertrag und die ent­­scheidende Stellungnahme romantischer Parteien zeichnen den Weg scharf vor, den der Reichstag bei der Schaffung der neuen Staatsverfassung in der Minderheitsfrage gehen muß. »&s: wäre eine vollständige Verremnung und Ber» leugnung der eigenen Lebensinteressen, sollte sic­h ein­­­gehen. landes @ ze /

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