M. Gritzner: Der Adel der Russischen Ostseeprovinzen. Erste Theil: Die Ritterschaft

Vorwort

Vorwort. Dies Vorwort sollte eigentlich „Nachwort" heissen, denn es ist erst nach Vollendung des Ganzen geschrieben worden. Allein sein Inhalt ist fast genau der des schon vor Beginn des Werkes niedergeschriebene und lediglich den veränderten Zeitverhältnissen angepasst. Vor Allem liegt mir daran, den verehrten Leser vor dem Irrthum zu bewahren, als hätte ich je die Absicht gehabt, eine „vollständige Geschichte des Baltischen Adels", oder ein „Baltisches Adelsbuch" zu schreiben. Diese Absicht auszuführen, konnte mir nie in den Sinn kommen, zumal in der Zeit nicht, als ich meine Arbeit begann. Denn während jetzt sich allenthalben wieder ein hocherfreuliches Interesse der Familien an ihrer Geschichte zeigt, musste ich im Anfang der sieb­ziger Jahre das direkte Gegentheil erleben. Obwohl ich damals weder Mühe noch Kosten scheute, um die Baltischen Familien zu veranlassen, mich wenigstens durch die Zusendung ihrer Stammtafeln in meiner Arbeit zu unterstützen, war, mit wenigen lobenswerthen Ausnahmen, der Erfolg gleich Null und bestätigte mir nur, was der f Ritterschafts-Sekretär Herr v. Grünewaldt in Riga mir vorausgesagt hatte. Ungeachtet dessen Hess ich in meinen Bestrebungen nicht nach, denn der Wunsch, authentische, wenn auch nur kurze Nachrichten über die „Baltischen Adels­geschlechter", zugleich mit Abbildung ihrer Wappen, als eine Abtheilung des neuen Siebm ach er­sehen Wappenwerkes zu bringen, war ebenso stark, als berechtigt. Gab es doch damals kaum einen Menschen ausserhalb der Baltischen Provinzen, der auch nur die Namen der dortigen adeligen Familien kannte. Mittlerweile erschien 1882 Klingspors Baltisches Wappenbuch. Dasselbe füllte inso­fernschon eine grosse Lücke aus, als es die fast durchweg unbekannten Wappen der Geschlechter brachte, sodass nunmehr durch diese wenigstens ein Verzeichnis der indigenirten Familien vorhanden war und kurze Notizen über deren Ursprung einiges Licht gaben. Dies Licht aber war insofern noch ein recht winziges, als ausser den Adelsmatrikeln und dem spärlichen Text, genea­logische Notizen gänzlich fehlten und dem Irrthum und Zweifel, zumal bei gleichnamigen Ge­schlechtern, Thor und Thür geöffnet blieb. Und doch gewährt die Geschichte jener uralten, der Heimath nach fast durchweg deutschen Familien, welche einst zu dem gewaltigen Orden nach Osten zogen, das Kreuz gegen die Heiden zu tragen, doch wahrlich interessante Gesichtspunkte in Menge, um ihrer mit mehr als einigen Worten zu gedenken. Und nicht weniger interessant ist auch die Geschichte der alten Raths- und Patrizierfamilien, welche aus den Städten Lüneburg, Soest, Münster, Lübeck, Wismar, u. a. herbei­eilten, die Baltischen Städte gründeten und durch ihr Wesen und ihre Gemeinschaften bald genug zur friedlichen Gestaltung des eroberten Landes beitragend, sich hohe Verdienste erwarben. So begann ich denn vor fünfundzwanzig Jahren, zunächst aus gedruckten Quellen, Werksteine für den Bau des Werkes herbeizuschaffen, denen sich späterhin nach und nach auch handschiiu­liche Nachrichten gesellten. Grosse und umfassende Stammtafeln zu veröffentlichen, lag ursprünglich weder in meiner Absicht, noch im Plane und Rahmen des Werkes. Bei den grossen alten Rittergeschlechtern musste ich mich daher darauf beschränken, Notizen über die Ur-Heimath, erstes Auftreten in dieser, sowie in den Baltischen Provinzen, Verzweigung in die Hauptlinien, Diplome, Güterbesitz, Eintragung in die Matrikeln und ev. Erlöschen zu bringen. Ingleichen war es nothwendig und interessant, auch der ill. li. *

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