Ungarische Revue 14. (Budapest, 1894)

1894 / 1-2. heft - Das Jókai-Jubileum

DAS JÓKAI-JUBILÄUM. 101 ■zerstreut, in schmalen Gässchen versteckt. Die Häuser sind ohne Ausnahme durch ziemlich hohe Holzplanken oder Mauern geschützt, so dass jeder Blick auf den Hof unmöglich ist. Um wie viel freundlicher ist hier alles! Der Hof bildet, genau genommen, einen großen Garten und hinter reichem Obst versteckt liegt das Häuschen, dessen blendend weiße Wände von unzähligen Blumen geschmückt werden. Alles prangt von Beinlichkeit in diesem, wie eine Feste sicheren Heim, welches gegen jedes neugierige Auge, gegen jede fremde Hand geschützt ist. Die Häuser liegen so weit von einander, dass sie von einem fremden Auge nicht bemerkt werden können. Nur etwas erinnert an die echt türkischen Ortschaften, und das ist die belebteste Straße der Insel: das «tscharschi». Die Häuser durchgehends Ge­schäftslocale, die zwei Caffeehäuser und als Amtsgebäude die Ortsvor­­stehung, Marktplatz und Promenade, der lebhafteste Fremdenverkehr, der Mittelpunkt des Handels und der Gewerbe, die reichlichste Aeußerung des türkischen Lebens. Auch von den muhammedanischen Denkmälern hat sich nichts verloren, weder in den äußeren Sitten, noch in der sittlichen Auffassung, abgerechnet freilich die durch das Klima oder die Bassen­mischung bedingten Wandlungen, welche dem Häuflein ein eigenes Ge­präge verleihen. Ebenso beachtenswert sind auch die sprachlichen Erscheinungen, welchen wir in einem zweiten Aufsatze unsere Aufmerksamkeit schenken wollen. Dr. Ignaz Kunos. DAS JOKAI-JUBILÄUM. Die feierliche Huldigung, die unser Vaterland am 6. Jänner dem ruhm­gekrönten Dichter darbrachte, der nunmehr in das sechste Jahrzehnt schriftstelle­rischen Schaffens tritt, absorbierte das gesammte Interesse des Tages. Es schien) als wären all die mannigfachen Gegensätze, deren Kampfgeräusch sonst unser öffentliches Leben erfüllt, eine Waffenruhe eingegangen, als wären die zerklüften­­den Momente, deren Wirkung sich bei uns geltend zu machen pflegt, durch eine Zauberformel hinweggebannt. In der erhebenden Stimmung eines Gottesfriedens gehörte heute die Nation ungetheilt und in einmüthiger Freude dem Dichter an, der ihr seit fünfzig Jahren mit der wunderbar-fruchtbaren Schaffenskraft seines Geistes, mit den Schätzen seines goldenen Gemüths angehört. Der Gedanke an Moriz Jókai hatte die Parteienfehde entwaffnet, jegliche Zersplitterung beschwo­ren und die Dissonanzen harmonisch aufgelöst: die ganze Nation war eines Herzens und eines Sinnes in der Kundgebung ihrer liebevollen Dankbarkeit. Das Fest, das der Ehrung Jókai’s galt, war großartig durch seinen Prank und ergrei­fend durch seine Innigkeit. Wie ein Triumphator wurde der Dichter von der glänzenden Versammlung im Bedoutensaale, die einen Mikrokosmos der Nation darstellte, bejubelt; ihm neigten sich die Häupter, ihm pochten begeistert alle

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