Neppendorfer Blätter, 1925 (Jahrgang 23, nr. 3-52)

1925-01-18 / nr. 3

Seite 2 OMeppendorfer Blätter 5 « ME« Die Neujahrswünsge für die Rand. Es wird wohl seine Richtigkeit haben, daß die Güte der Wünsche im umgekehrten Verhältnisse zu der­ Menge, in diesem Falle zur Anzahl der­ Zeilen gestanden ist. Aber auch die der Kürze halber bessern Wünsche schienen eine gewisse Unfreiheit erkennen zu lassen. Wem die „shornaliffischen“ Phrasen nicht gar so zuwider sind, der könnte hier das schöne Wort „einstellen“ einstellen. Was fi doch „Silbermann“, der aus der O­er­­senkung, in der er nach D Verdienst­­ verschwunden war und gar zu früh wieder aufgetaucht ist, gedacht haben mag, als er dem Lande wünschte, „Die Regierung möge nicht mehr lügen“. Und ein Mitglied der Regierung wur „Kultur, Ausftur“ wünschte. weit mehr, als alle diese hohen Töne würde er unserem armen V­aterlande frommen, wenn alle unsere großen und kleinen Mach­thaber die Hände zu einem neuen ARütlichwuz erheben möchten, der etwa laufen konnte: "Mir wollen freu zusammenhalten in jeder Not und Stets beherzigen das siebente Gebot! —re. Geschworener Montag. Melche brave fäc­hliche Sermannstädter Hausfrau hätte nicht im Verlauf einiger Jahre manche Erfahrungen gesammelt und könnte ein Liedchen singen ü­ber Mägde­­wahl und Mägdewechsel. Auf dem „weißen Sklaven=­markt“ des geschworenen Montags geht es lebhaft zu. Diese Mütter vom Dorf, dick vermummt in wollenen Tüchern, und einige viel begehrte, aber nicht begehrens­­werte Neulinge im Dienen gibt es da. Es ist so ziemlich nur Ausschußware, was fi hier zur Schau stellt, die „bessern Meedchen“ gehen von Hand zu Hand gleich aus einem Dienst in den andern und kommen gar nicht auf den „Sklavenmarkt“. Mir hatten immer nur „bessere Meedcchen“ ‚ Unter denen sie aber auch Exemplare befunden hatten, die weder „besser“ noch „Mädchen“ waren. — „Die erste hieß Sophie, schön und tugendhaft war sie“ — wenig­­tens als sie bei uns jungen Leuten in unseren bliß­­blanken neuen Haushalt eintrat, hatte sie alle Erinne­­rungen lockerer Seiten über Bord geworfen, oder klarer ausgedrückt, ins nackte Dorf in Pflege gegeben und fing bei uns ein neues Zelten an. Die Tugend gelang ihr erstaunlich gut, viel besser als die Kochversuche, die fast täglich mit einer sehr eingekochten Suppe endigten, die einem winzigen vertrockneten Braten voranging. Die Besorgnis meiner Frau, das Essen könne zu knapp sein, beruhigte sie immer­ mit der Versicherung: „Gnä ‚­frau, ich zerreiß mich nicht um die Suppe und was den Braten anbelangt, bleibt mir der doc immer in den Zähnen stecken, mir ist weiches Brot lieber.“ — Besonders wie wir später bemerkten, mit dem Obern der Mil, das sie alle Morgen sorgfältig abrahmte. Bald bescherte uns das­ Sch­laf Silberm­ädchen, gift, die das Wickelkind kopfabwärts, auf­­ dem Divan und sich selbst ebenso ins Genfer Igle, ‚wenn wir fort‘ gegangen waren. .. Später kam Kanni die den­tlicken dreijährigen Zubi auf die Porzellanplatte vom reizenden Arbeitstisch seiner Mutter aufstellte und beim Arad, der darauf folgte, einfach sagte: „Die ist hingeworden, weil Zubi so dick­­ und schwer ist.“ Als Kathi in unser Haus einzog, war Bubi [hon in der ersten Klafse und faßte als heller Kopf alle die schönen Berschen, die sie der Kleinen Maika sang, so­­fort auf, sodaß er in der Schule, vom Herrn Lehrer aufgefordert, ein schönes Liedchen zu singen, mit schmet­­terndem Tenor loslegte: „Einst bin ich gefahren in dem Luftballon, begleitet von dem jungen, dem feichen Herr Baron ..* — an der Gielle: „Er faßt mich fest am Mieder“ unterbrach ihn der Herr Xehrer und nö 16) die Forsteßung für „ein anderes Mal“. — Schon das nächste Jahr brachte ein anderes Unikum: Karoline, die Köchin, die bald kurz und treffend die Schnapskaroline hieß; da sie aber ihren Nachmittags­rausch auf dem Aufboden ausschlief und sonst gut­­ kochte, hielten wir sie einige Monate, bis der Krug zu lange zum Wasser gegangen war und brach, d.h. Karo­­line hatte zu viel Schnaps getrunken und brach ein Bein, als sie sich wieder um ihr Ruhepläßchen hinauf­­ziehen wollte. Dann konnten wir uns an Ilona, dem „Hölgyerske*“, erfreuen, die immer ihre Eroberungen von Faldyings= maskenkälten zum besten gab, wo die Herren sie als „Dämchen“ (Hölgyecske) angeredet hatten. Ihr folgte Marie, die flink wie ein Wiesel war und deshalb beim Staubabwischen die Tupfmet­hode hatte, als Malerin hätte sie Schule gemacht, mußte aber in Unehren ab­­ziehen, als mich mein kleines Töchterchen aufmerksam machte, daß Mariens hübsche lila Bluse, die ich lobend bewundert hatte, eigentlich die weiße von meiner grau war, kunstvoll aufgefärbt. Noc viele Originale, brave und schlimme, kamen in dreißig Jahren in unser S Haus, jeit im Rückblik erscheinen sie mir wie Meereswogen, die an den Strand branden und zurückebben. Nun haben wir, wie es tüchtigen Beamten in der Pension ziemt, Ebbe für immer. Uns ängstigt kein Geschworener Montag mehr, wir müssen nie mehr mitten im Jahr Christtag machen und die erschreckend hohen Mägdelöhne und anspruchs­­vollen Dienstboten haben ihre Schrecken für uns ver­­loren, ja nicht einmal als tägliches Gesprächsthema sind uns diese Gesellschaftsschichten notwendig, nur manchmal sagt meine Frau nachdenklich: „Wenn wir immer so gute Dienstboten gehabt hätten als h­­­ier eine bin, wie zufrieden und ruhig hätten wir leben können.“

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