Oedenburger Zeitung, 1881. April (Jahrgang 14, nr. 39-51)

1881-04-01 / nr. 39

besonnenen, verständigen, mit den Bedürfnisen der er­­werbenden und arbeitenden Klassen vertrauten und vor allem ehrlich „liberal“ gesinnten Bürger! E. M. Gegen die „exklusiven“ Sreife. Dedenburg, den 30. März 1881. Die Mederschrift zu diesem Wriifel, die Unterfärift am Schluße desselben, in Beziehungen zu­einander gebracht, werden natürlich wieder den ges­tammten scheinheiligen Pharisäertrag von Wohldienern, Spez­elledern und Herrenk­echten, zu den seit einiger Zeit beliebten Beringlimpfungen der angeblich so „um würdigen‘ ja „skandalösen" Pfeffe entfeffeln. Mit obligaten geeignerischen Augenverdrehen und krummen Rüden wird abermals von der tiefen Entrüstung befla­­mm­t werden, die jeden „Öutgesinnten“ ergreiffen müsse, sobald den B Personen, deren Namen mit „dem Auf- Thhwunge ihrer Vaterstadt so innig verknüpft ist“ nicht mit jener Ehrfurcht gehuldigt wird, die ihrem (wahr: feinlihh von Jahre 1873 h­errührenden) V­er­­d­ienste (!) gebührt . ... .. und aufs Neue wird mit alter Emphase die bodenlose Depravation beklagt werden, von welcher ein Theil der Heimischen Journalistik befallen sein soll. Freilich werden ganz dieselben fromm „Entrüsteten“, die als so abscheulich verlästerten Zeitungsblätter fleisig von Haus zu Haus folportiren, überall die „Schandartikel (!)“ mit selbstverständlicher Ansignation vorlesen und sich (wenn sie allein sind) dann ganz im Stillen hämisch freuen, daß den „großen Herren“ wieder einmal Eins an’8 Zeug geflicht wurde. Die „großen Herren“ aber, deren sonst vielleicht Harerer Blit von der übertriebenen Vorstellung ihres eigenen Werthes geblendet ist, werden bdieses dudmäuferirege Verfahren ihrer sogenannten: „Verehrer“ nicht durchhschauen, sondern sich in dem Wahne aufblähen : Dete­ jan ann so nn Allein genug der Vorrebde, Diejenigen, die wir hier meinen, befinden sich diesmal auf falsch­er Fährte, wenn sie vorausfegen wir verstehen unter den „ekflusiven“ Kreisen, von welchen in diesem Auflage die NMNede fein für „achtbare Mit­­bürger“ Dießmal ist — was schon der Charakter eines Leitartikels mit fi bringt — von ministe­riellen Ekflusivitäten die Rede. Was der „Peter Lloyd“ mit fein fein fallender Stomie behauptet, ist leider trauiger Ernst: Sämmtliche ungarischen Minister von heutzutage ver­­dienen wirklich, natürlich der Eine mehr der Andere etwas minder, daß man an ihnen (wie sagt da der „Better Lloyd“ ?) richtig­t: „Kein gutes Haar läßt“, daß die Gefeggebung wie sie jet entsteht und in Kraft gefegt wird, wenig oder gar nichts taugt, daß an den Öffentlichen Zuständen fast mehr sein Heiler led ges blieben ist, daß sehlecht, verderbt und forumpirt beinahe Alles sei, was mit der Verwaltung des Landes betraut wurde. Wie­ oder wäre es etwa nur eine böstwillige Erfindung elender Zeitungsschreiber, daß die Regierung Tipa’s bislang seine fegenbringende für Uns­garn war ? die staatsrechtliche Grundlage ist verfälscht und erschüttert, die Finanzen liegen im Argen, die Wolfe­­wirtschaft ist versümmert, die Justiz verhängt, der Unterricht verfommen, Stilstand, ja Rückgang aller Wegen — furz, ganz Ungarn ist aus den Zügen und die gemäßigte Oppositon muß er wieder einrichten. Und in der That! die Megungen bürgerlichen Bemwußtseins beginnen immer kräftiger einzugreifen, um wo möglich mit der bisherigen Mitwirthschaft aufzuräumen. Endlich, von der zwingenden Nothwen­digkeit durchdrungen, machen die verschiedensten Bevölkerungen Hafen Front gegen einzelne Negierungsmaßregeln oder gegen das vom Kabinet Tiga repräsentirte ganze System. Die einst dem volfsbedrohenden Landvogt Gehler zuge­­­­rufene Drohung, daß der allzu straff gespannte Bogen bricht, ist nun an von einer der geduldigsten Menschen- Hafjen in Ungarn, von den Spezereihändlern, bet­ätigt worden. Bekanntlich hatte das Ministerium das mit einem Sturm von Entrüstung aufgenommene Gefeg über die Besteuerung des Zuders, Kaffees und Bieres trag der aus­ allen Theilen des Landes einge­laufenen energischen Demonstrationen nicht zurücgezogen, sondern mit einer Majorität von 21 Stimmen im Neichstage durchgebracht. Wenn das vorliegende Blatt erscheint, am 1. April, tritt das Gefeg in Kraft, wel­­ches die ganze Bevölkerung, insbesondere aber die Kaufleute den maßlosesten Chikanen der Finanzorgane auszufegen droht. In legter Stunde nun, vielleicht er­­mut­igt durch den glänzenden Erfolg der zu Gunsten der Aufrechthaltung des Budapester Schiedsgerichtes in Szene gefegten Agitation, haben sich — wie man weiß — in Folge eines vom Stuhlweißenburger Handels­standes erlassenen Aufrufes mehrere hundert Provinz. Kaufleute in Budapest versammelt und in sehr er­­bitterter Stimmung eine Modifikation verschiedener Bestimmungen des Gefeges, respektive praktische Durch­­führungsmodalitäten für Dieselben gefordert. Der Finanz­­minister ist au, duch das refolgte Auftreten der in ihrer geschäftlichen Existenz bedrohten Geschäftsleute ein­­geschüchtert worden, und hat nicht nur der aus der damaligen Versammlung an ihn entsendeten Deputation namhafte Zugeständnisse gemacht, sondern fi schon vorher mit dem Willenstomu­s in Verbindung gefett und die erregten Gemüther zu beschwichtigen gesucht, von denen bei den bevorstehenden Wahlen in manchen Wahlbezirken die Wagfhale der Opposition zu Ans­gunsten der Regierungspartei niedergedrüht zu werden droht. Aber die Zugeständnise kommen zu spät, die Wahlen werden in relativ nur sehr geringer Ziffer zu Gunsten der gegenwärtigen Regierung anh­­alten. — — Nun fragt er si aber wo die Hebel anzuregen sind, um die Negeneration des ungarischen Parlamenta­­rismus anzubahnen. Zu großen, die Geister mächtig ergreifenden Prinzipienkämpfen fehlt gegenwärtig das Terrain. Oh es ist leider nur zu wahr: Wir haben nicht die Muße, um uns solchen Kämpfen hingeben zu können, wir haben mit der täglichen Noth des Lebens zu schwer zu ringen, als daß wir die möthige geistige Süiide und Elastizität hätten bewahren können, um mit voller Kraft die Verwirklichung unserer politischen Reale anzustreben. Wir fühlen instinktiv, daß die politische Atmosphäre der Gegenwart fühneren Aspirationen nicht günstig ist, alleingefundene Zustände müssen denn da geschaffen werden, wenn der Parlamentaris­­mus bei und wieder zu seinen alten Ehren gelangen sol. Er muß einen gründlichen Purifikati­­onsprozeß durchmachen, er muß von seinen Schladen und Auswüchsjen gereinigt werden, er muß wieder die höchste Blüthe der Nation darstellen. Die Stelle eines Deputirten muß wieder als vornehmste Auszeichnung betrachtet werden, welche der Bürger im konstitutionellen Staate erlangen kann, nicht aber als ein Objekt des noblen Sportes, oder gar des gewöhnlichen Schaders, nicht als ein Gradus, gut genug, um Einzelnen fette Aemter, eine hervorragende äußere Stellung in der Ge­­sellschaft oder eine lukrative Advokatenklientel zu ver­­schaffen. Daß es aber besser werde, dazu bedarf es vor Allem eines anderen, besseren Geiftes bei der Wählerschaft selbst. Nicht äußere Machtmittel, nicht woc­­henende Titel sollen die Wähler blenden. Wählt seine Minister à la Trefort, der sich um die Erhaltung des Vertrauens seines Wahlbezirkes, viel weniger als um die seines Ministerfauteuilles kümmert, wählt einen ‚Wir berichteten, wie alle anderen in- und auslän­­dischen Blätter von den Vollzug einer für ganz Europa sensationellen­­Ihronerhebung: Fürst Karol von Rumänien, bekanntlich ein Hohenzollern, also ein preußischer Prinz zu den Monarchen Deutschlands und Rußlands in nahen verwandtshaftlichen Beziehungen stehend, dankt er wohl hauptsächlich die­sem Umstande, daß die Mächte gegen seine etwas starf eigenmächtige Erhebung zum Könige nichts, oder doc nur wenig einwenden. Man will bloß nicht gelten lassen, daß fr neue Majestät, Herr Karol, Ran Ra nennt, weil er sonst leicht die außerhalb seines Neic­es, namentlich in Ungarn lebenden Rumänen als feine Unterthanen betrachten künnte. Nun benügen wir die Ausführungen des „PB. 8.“ über das neue Königreich, um auch unserem Lesern etwas tieferen Einblick in die Verhältnisse zu verschaffen. Das Königreich Rumänien — Mit- und Nach­welt werden sich an den etwas fremdartig ingenden Namen gewöhnen müssen — ist an Ausdehnung und Bevölkerung nir geringer als Baiern oder Belgien, es ist an Bevölkerung fast zweimal so groß als Däne­­mark, die Niederlande oder die Schweiz. Also ein ganz respektables Königreich, wenn man die Seelenzahl ber tragtet — „eine Seele auf jeden Kopf gerechnet,“ würde Heine sagen. Immerhin ist es anzuerkennen, daß das Land im Laufe des legten Jahrzehnts unge­wöhn­­liche Fortfäh­rte gemagt hat und daß die Negierung durch einen Hohenzoller nit ohne Spur an dem Dorfe vorübergegangen ist. Die militärische Orga­­nisation des Landes zumal ist eine solche, welche in Europa noch nur einmal genügend gewürdigt wird, eine Kombination des preußischen und des sch­weizeri­­schen Systems. Die männliche Jugend wird von der Elementarsgale aus zum Militärdienst erzogen, zu 15 Jahren werden die Zöglinge im Gebrauche der Schieß­­waffen unterwiesen und zweimalige Schießübungen in der Woche sind obligatorisch. Zur Ausrüstung der Truppen wollten die Kammern bereitwillig verhältniß­­mäßig große Summen, und wenn in den legten Jahren auch diverse „Unregelmäßigkeiten“ in der Verwaltung des Kriegbudgets aufgedeckt worden sind, so scheint es doch, daß die Wehrkraft des Landes in einer M­eife ausgebildet ist, daß sie ziemlich Hoch über den Armeen der anderen Balkanwölfer, z. B. der ewig rüstenden griechischen Armee, steht. Die­set vollzogene Standeserhöhung, durch welche Rumänien er selbst und seinen Fürsten auszeichnete, ist dur die Bukarester Regierungsmänner von seit längerer Zeit vorbereitet gewesen. Es scheint, daß man der Sache sehr gewichtige Folgen beimißt und vielleicht ist es dem Wunsch zugutgreiben, in einem so großen Momente in guten Beziehungen zu allen Großmäch­­ten zu stehen, wenn die rumänische Politik neuestens wieder vielfach einer intimeren Verbindung mit Peters­­burg verdächtigt wird. Wir haben vorläufig keinen Meaßstab zur Beurtheilung dieser Verhältnisse, als die Aeußerungen der rumänischen Presse, welche zumeist von einer himmelhohen S Konfusion und Selbstüberhe­­bung zeugen, und die Haltung der rumänischen Staats­­u­mfortfegung in der Beilage BEE Europa’s jüngster Königsthron. Die­ ­­se En ma­nn­mes Seuilleton, Die SInsurgentenbrauf. An den Ufern der Pilica, nicht weit von der Stelle, wo sie in die Weichsel mündet, liegt das pol­­nische Dorf Mieszlow mit den zwiigen ungeheuren Wäl­­dern. Die Heinen [häugigen Hütten haben sich rings um die hölzerne Dorfkirche gelagert, denn der polnisce Bauer liebt vor Allem die Nähe der Gotteshäuser ; weiterhin erhebt sich ein altes Adelsschlag und spiegelt seine verwitterten Mauern in den rasch dahineilenden Wellen des F­luffes. Ueber der ganzen Gegend lagert der Hauch der Monotonie und der Abgeschiedenheit ; selten verrvet sich wieder ein Fremdling, und noch sel­­tener kommen die Dorfbewohner über ihre eigenen Grenzen hinaus. Er it Sonntag, die Glocken der alten Dorfe five rufen zur Messe. Von dem Schlosfe her kommt eine mit vier Pfer­­den bespannte Equipage raschen Laufes gefahren, sie hält vor der Kirche. Aus dem Senfter beugt sich das bleiche Antlig einer swarzgekleideten Dame, als suchte sie etwas unter der herumstehenden M­enge, aber Feiner von den Bauern rührt sich, um den Kutschenschlag auf­­zuzeigen. Ueberall begegnen ihr finstere Blick, und als sie endlich mit Hülfe des Dieners den Wagen verlassen hat, weichen die Leute fheu zur Seite, als ob sie sich fürchteten von ihr berührt zu werden. Der Gottesdienst hat begonnen. Die Bauern singen ihre eintönigen Kirchenlieder, die Meßgloden tönen und die Weihrauchhäffer duchduften den bescheis Same Baum Ok horn nunberiten Meibe Eniet die bleiche Dame. An ihren ästrigen, gramdurchfurchten Zügen spricht sich während der ganzen Zeremonie die höchste Berfnisfhung aus, und von dem trüben, halberlosce­­nen Augen rinnen beige Thränen auf das Falte, s hmud­ Iose Ziegelpflaster des Kirchleins herab. Die Schaaren der Andächtigen strömen ins Freie hinaus. Unter den Leuten, welche die Kirche verlassen, befindet sich auch die swarzgekleidete Frau; den Bird zur Erde gehettet, schreitet sie über den Kirchhof, sie sieht es nicht, wie ihr die Bauern scheu ausweichen. Je Schritte sind nach dem äußersten Ende des Kirch­­hofs gerichtet ; dort, vor einem schmalen gitterumzäuns­ten Grabhügel bleibt sie stehen und frügt die warnen­­den Glieder an das Geländer. Von neuem füllen si die vertrocneten Augen mit Thränen, und leise, leise sinkt ihr Haupt auf das Falte Gitter herab. Sie steht am Grabe ihrer einzigen Tochter. Auf dem Dentksteine steht der Name Halina von Przewysla ausgehauen. Und die dort unten schlummert, die jugendlie, frühgem­ischte Blume, sie ist durch Die Schuld der Frau zu Grunde gegangen, die jegt am Grabe steht, der Frau, melde die Mutter der Verbli­­chenen war. Einen Bli seitwärts und wir finden die Er­ Märung. Nahe am Grabe des Mädchens liegt ein größeres, ein Masfengrab ; dort liegen Constancy, AJnsurgenten, die im Kampfe für das Vaterland gefallen sind. Kein Denkstein ziert es, nur ein sohmucloses Kreuz zeigt an, daß hier unten Menschen schlummern. Halina war das einzige Kind ihrer Eltern ges­wesen. Der Vater, ein alter Hauptmann aus den na­­poleonischen Kriegen, war gestorben al sie noch jung war, so wuchs sie unter dem Schuge der Mutter in dem einsamen Schloffe an der Pilica zur blühenden Jungfrau heran, dr edel geschnittenes, von üppigen blonden Loden umrahmtes Antlig, auf dem jener echt flavische, halb übermüthige, halb melangolische Typus lag, entzüg­e die junge adelige Männerwelt der gan­­zen Umgegend, und wo nur zwei Kieser noblen polnis­chen Dandy’s zusammenfaßen, konnte man sicher sein auch von der schönen Halina zu hören. Sie aber blieb gegen Alle gleich zurückhaltend, so Viele sich auch ihr zu nähern suchten, am meisten aber gegen den russischen Obersten Bedunoff aus der nahen Garnisonstadt, ob­­gleich bdieser ihr eifrigster­­ Verehrer war und ss nicht ohne Grund der Gunst ihrer Mutter rühmen durfte. Man behauptete, Halina wäre unempfänglich für jene Regung des Herzens, wenigstens behaupteten dies die aristokratischen Dandy’s, welche die Fruchtlosigkeit ihrer eigenen Bemühungen einsahen. Und doc liebte dies Herz im Geheimen so glühend wie nur je eins geliebt hat und geliebt wurde, wenn auch hoffnungs­ 108 . Halina liebte den jungen Dorflehrer. Sie hatten erst vor kurzem Bekanntschaft ge­­macht, als er in das Schloß der Gutsherrschaft Tan, um das gnädige Fräulein im Gesange zu unterrichten, und aus dem Unterrichte war Theilnahme, aus der Theilnahme Liebe entstanden. Einst als sie zusammen die Miciewicz’schen Sonette lasen, war Henryk vor ihr niedergefunden und hatte ihr seine Liebe gestanden. Und das junge Mädchen sagte nicht Nein, sie beugte si zu dem Jüngling herab und ihre Lippen begegne­­ten den feinen im ersten Kuffe. E85 war im Jahre 1861, die polnische Revolu­­tion brach aus. Ueberall strömte die polnische Jugend zu den Fahnen der nsurgenten, an Henryk wirkte im Ges A aka

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