Ungarische Revue 14. (Budapest, 1894)

1894 / 1-2. heft - Jókai's Leben

124 jókai’s leben. Das gebildete Ungarn von heute weiß: sehr wohl, was es an Jókai besitzt; es schwelgt ebenso im Genüsse seiner phantastischen, zauberhaften Welt der Illusionen, wie es sich an der reichen Quelle seiner patriotischen Wärme erquickt; jede Zeitstimmung, jede allgemeine Empfindung, alle Wünsche und Hoffnungen, jede Freude und jeden Kummer der Nation hat kein Schriftsteller so unmittelbar zum Ausdruck gebracht, wie Jókai. Seine hinreißende Liebe zum Vaterland, zur Nationalität und zu seinem Volke (denn wer kennt dieses besser, als er?) erfüllen mit ungeschwächter Wirkung eine Generation nach der anderen. Neben Petőfi ist unstreitig er der gelesenste und populärste Schriftsteller Ungarns und als Meister in der Darstellung beherrscht er ebenso die Empfänglichkeit der Jugend, wie die des Alters — reich und arm stehen in gleicher Weise im Banne seiner bestrickenden Kunst. Wie erwähnt, betrachtet Jókai selbst sein im Alter von 18 Jahren verfasstes Drama als den Beginn seiner literarischen Laufbahn. Als Student der Bechtsgelehrsamkeit war er in so jungen Jahren an die Bechtsakademie zu Kecskemét gekommen, nachdem er (am 19. Februar 1825 in Komorn geboren) seine Vorbildung in seiner Vaterstadt und in Pressburg, theilweise aber auch in Pápa erworben hatte. Hier brachte ihn ein gütiges Geschick mit Petőfi zusammen, der später als Mitglied einer wandernden Schauspie­ler-Truppe die Copierung des dramatischen Erstlings unseres Dichters besorgte, was uns als kostbare Beliquie glücklicherweise erhalten geblie­ben ist. Jókai hatte aber schon früher Beweise eines vielseitigen und überra­schenden Talentes gegeben, eines Beichthumes der Talente, wie wir sie in solchem Maße nur bei Göthe bewundern konnten : auch von ihm kann man behaupten, dass er in den bildenden Künsten ebenso groß geworden wäre, wie in seinen dichterischen Schaffungen. So wie er sich in drei Jahren die französische, englische und italienische Sprache angeeignet hat, so hat er, ohne jemals die Führung eines berufenen Lehrers zu genießen, im Modellie­ren, Schnitzen, ja selbst in der Malerei sich eine solche Fertigkeit angeeignet, dass er nicht nur im Jahre 1842 Petőfi für die Copie seines dramatischen Erstlings mit einem wohlgelungenen Porträt in Oel entschädigen konnte, sondern in den sechziger Jahren, als politischer Verbrecher in Haft gethan, seine Frau mit sprechender Aehnlichkeit in Holz schnitzen konnte. Der Erfolg seines ersten Dramas, wenn er auch nur ein moralischer war, veranlasste den jungen Dichter, nach Pest, in das natürliche Zentrum der ungarischen Literatur zu gehen. Trotzdem die gewissenhaft absolvirten Studien ihm einen Broderwerb sicherten, waren es doch die literarischen Kreise, welche ihn hauptsächlich fesselten. So war er denn vorübergehend bei verschiedenen periodischen Unternehmungen beschäftigt, doch drängte ihn Petofi’s stets wachsender Buhm auch zu selbstständigen dichterischen Versuchen. Als gottbegnadetes Genie, war er sich bald seines eigentlichen

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